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Medien haben die «Beweise» US-Aussenministers Powell im 2003 als Tatsachen verbreitet © springer

Syrien, Aleppo. Irak, Mosul. Fragen über Fragen

Urs P. Gasche /  Wenn Krieg herrscht, werden Medien hemmungslos, häufig subtil manipuliert. Von allen Kriegsparteien. Vorsicht wäre angesagt.

Vorsichtige Formulierungen, Hinweise auf ungesicherte Quellen und eine neutrale Sprache sind schlecht für Einschaltquoten, Klickzahlen und Zeitungsverkäufe. Das Rezept «Gute» gegen «Böse» und «Recht gegen Unrecht» eignet sich wesentlich besser dafür. Und es vereinfacht die Arbeit von Redaktionen: Was von der guten Seite kommt, wird ungeprüft als Tatsache präsentiert. Was von der bösen Seite kommt, wird – wieder ungeprüft – als unglaubwürdige Propaganda dargestellt oder ignoriert.
Aus der Vergangenheit wenig gelernt

In Tat und Wahrheit ist das Manipulieren der Öffentlichkeit ein integraler Teil der modernen Kriegsführung. Die grossen geopolitischen Kriege in Vietnam, Afghanistan und zweimal im Irak haben jedes Mal aufs Neue bewiesen, dass auch die westliche Kriegsführung die Öffentlichkeit belügt.

Trotz dieser Erfahrungen greifen viele Medien bei ihren Berichten über Syrien und den Irak erneut zum simplen Schwarz-Weiss-Schema. Aufgrund der Berichterstattung fühlen wir uns in Mosul auf Seite einer Koalition, welche die Stadt mit Bombardierungen und Bodenkämpfen befreien will. Anders in Aleppo: Dort fühlen wir uns auf Seite der Rebellen und der Zivilbevölkerung, welche die Folgen willkürlicher Bombardierungen und Bodenkämpfe der Russen ausgesetzt sind.

Aufgrund des hüben und drüben manipulierten und gezielt eingesetzten Nachrichtenstroms weiss ich nicht, wie die Lage der Zivilbevölkerung in Mosul und Aleppo tatsächlich ist. Ich weiss auch nicht, wie häufig in beiden Städten Kampfflugzeuge im Einsatz sind und wie diese bei ihren Angriffen Zivilisten verschonen können. Auch über die tatsächliche Versorgung mit Nahrungsmitteln und ärztlicher Nothilfe erfahre ich kaum etwas. Eine Überprüfung der Informationen ist sowieso selten möglich.

Aus diesen Gründen stellten sich mir im Laufe der Wochen immer mehr Fragen, die ich im Folgenden zu formulieren versuche.

  1. Die syrische Armee und die von der syrischen Regierung zu Hilfe gerufenen Russen bombardieren den von Aufständischen besetzten Ostteil der Stadt Aleppo. Der «Westen» ruft nach verschärften Sanktionen gegen Russland. Gleichzeitig bombardiert die türkische Armee – gegen den ausdrücklichen Willen von Iraks Regierung – Aufständische in Ortschaften des Iraks und ist auch mit Bodentruppen in Irak einmarschiert. Ein krasser Verstoss gegen das Völkerrecht. Warum verlangt und verhängt der Westen keine Sanktionen gegen die Türkei?
  2. Warum schreiben Medien von türkischen «Militäroperationen» im Nordirak und von «Justierung der türkischen Politik gegenüber Damaskus» (NZZ), während sich Russland «einen Weg zurück auf die Weltbühne bombt» (NZZ a.S.)?
  3. Unsere Medien schreiben, in Aleppo sei die Lage der Zivilbevölkerung so schlimm, dass die Versorgung «nur noch wenige Tage» zum Überleben reiche. In der NZZ liest man von «der Aushungerung Ost-Aleppos» (27.10.2016), aber auch davon, die Regimegegner hätten «nach unbestätigten Berichten Waffenlieferungen ihrer Verbündeten Saudiarabien, Katar und der Türkei erhalten» (24.10.2016). Liefern diese Verbündeten keine Lebensmittel?
  4. Die Medien berichteten, während der Feuerpause in Aleppo hätte «nur eine Handvoll Zivilisten von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Stadt zu verlassen». Die Russen hätten ihnen zu wenig Sicherheit garantiert. Stimmt es, dass der UN-Sonderbeauftragte Staffan de Mistura die Garantie abgab, die Kämpfenden und Zivilisten in Ostaleppo persönlich aus der Stadt zu begleiten? Stimmt es, was die NZZ am 20.10.2016 schrieb, dass die «Rebellen einen Abzug ablehnen und das Angebot als Kapitulation bezeichnen»? Kann es sein, dass die Rebellengruppen in Aleppo die Zivilbevölkerung unter Todesdrohung daran hindern, ihren Stadtteil zu verlassen, weil sie als Schutzschild missbraucht werden? Muss sich die Bevölkerung in Ost-Aleppo mehr vor islamistischen Rebellen fürchten oder mehr vor den Russen?
  5. Ist die Situation für die Zivilbevölkerung in Mosul besser als in Aleppo? Über Mosul schreiben Medien von Massenexekutionen, um die Leute an der Flucht aus der Stadt zu hindern. Passiert in Aleppo nicht Ähnliches? Hindert der dortige «Verbund islamistischer Rebellen» die Zivilbevölkerung nicht ebenfalls am Verlassen des Stadtteils? Missbrauchen die Rebellen in Aleppo die Zivilbevölkerung nicht ebenso als Schutzschild wie in Mosul (TS SRF 22.10.2016)? Falls ja, warum wird denn unterschiedlich darüber berichtet?
  6. «Die Russen begehen in Aleppo Kriegsverbrechen» (NZZ a.S.). Warum wird dort die Bevölkerung nicht «befreit» wie in Mosul (u.a TS SRF)? Werden in Mosul weniger Zivilisten getötet und verletzt? Warum soll Russland und die syrische Regierung ihren Kampf gegen die Rebellen in Ost-Aleppo aufgeben, nicht aber die «Koalition» ihren Kampf gegen die Rebellen in Mosul?
  7. Stimmt der von Medien erweckte Eindruck, in Aleppo befänden sich «gute» Rebellen, während es in Mosul die «bösen» sind?
  8. Warum zum Beispiel berichten Meden, Mosul werde mit einer «Operation» von der «Terrorherrschaft des IS befreit» (TS SRF 1.11.2016, während in Aleppo «unter Begehung von Kriegsverbrechen die Zivilbevölkerung bombardiert» wird?
  9. Medien schreiben regelmässig, bei den russischen Angriffen kämen Zivilisten ums Leben. Wie viele Zivilisten kamen und kommen bei den Luftangriffen der «Koalition» einschliesslich britischer und französischer Kampfbomber auf Mosul ums Leben?
  10. Warum haben in Syrien viele Alawiten, Christen und andere religiöse Minderheiten mehr Angst vor einem sunnitischen Scharia-Regime als vor der Assad-Diktatur?
  11. Russland bombardiert statt nur IS-Kämpfer auch die «freie syrische Armee». Die Türken bombardieren in Syrien und im Irak statt nur die IS-Kämpfer auch «kurdische Rebellen», seit Januar 2016 offenbar nur noch kurdische Rebellen. Warum nicht die «freie kurdische Armee»? Warum berichten Medien über Russland anders als über den Nato-Staat Türkei, wenn beide Ähnliches tun?
  12. Eine UN-Untersuchungskommission kam zum Schluss, Syrien habe mit Fassbomben Chemiewaffen eingesetzt. Warum hilft Russland im Sicherheitsrat nicht mit, Syrien zu verurteilen? Sind Chemiewaffen militärisch von Bedeutung? Wer hat ein Interesse daran, mit Giftgas Zivilpersonen zu töten?
  13. Zu zuverlässigen Quellen: Beruft sich die UN-Kommission auf Quellen der Opposition? Arbeiten Organisationen wie «Weisshelme» oder «Ärzte ohne Grenzen» ausschliesslich im Einflussgebiet der «Rebellen»? Könnten sie dort arbeiten, wenn sie nicht teilweise deren Kriegspropaganda übernehmen? Besteht die oft zitierte «Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte» in Grossbritannien ausschliesslich aus Gegnern des Assad-Regimes?
  14. Russland wurde von der syrischen Regierung um Hilfe gebeten, um gegen bewaffnete Milizen vorzugehen, die von den Golfmonarchien und von westlichen Staaten finanziert und bewaffnet wurden. Ist Russlands Militärhilfe im Einklang mit dem Völkerrecht? Ist das militärische Engagement der USA, Englands, Frankreichs und der Türkei eine völkerrechtswidrige Aggression gegen einen souveränen Staat? Warum nicht?
  15. Wäre der Krieg in Syrien ausgebrochen, wenn die syrische Regierung nicht von Milizen angegriffen worden wäre, die von Katar und Saudiarabien finanziert und teilweise von US-Beratern ausgebildet wurden?
  16. Erlaubt es das Völkerrecht, einen Staat militärisch anzugreifen oder militärisch zu destabilisieren, wenn einigen Ländern die Innenpolitik dieses Staates nicht gefällt? Oder wenn er von einem Diktator regiert wird? Wo bleibt die grundlegende Völkerrechtsregel der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten?
  17. Ist es völkerrechtlich legitim, ohne Beschluss des UN-Sicherheitsrats in Syrien einen «Regime-Change» und damit einen Sturz Assads durchzusetzen? Wäre es ebenso legitim oder illegitim, den saudischen König oder den ägyptischen Präsidenten As-Sisi militärisch und mit Sanktionen zu stürzen? Oder Chinas Präsident Xi Jinping? Oder Lukaschenko, Nasarbajew, Robert Mugabe?
  18. Hat der Westen mit der Zerschlagung des libyschen Staates und des irakischen Staates die Menschenrechtslage in diesen Ländern verbessert?
  19. Warum machen schändliche Angriffe der Russen auf Spitäler und Schulen mehr Schlagzeilen als gleich schändliche Angriffe der Saudis in Jemen? Warum wird über russische Luftangriffe fast täglich berichtet, über die der Saudis in Jemen nur selten? Warum bringen Medien nach «westlichen» Zerstörungen von Schulen oder Spitälern wie kürzlich in Afghanistan ausführliche Stellungnahmen der Angreifer, während zu gleichen Vorwürfen gegen die Russen oder die syrische Regierung diese kaum zu Wort kommen?
  20. Warum wird Putin «hofiert» (NZZ a.S.), der saudische König aber «besucht»?
  21. Warum schreiben Medien von «russischem Muskelspiel» oder russischer «Machtdemonstration» (NZZ 27.10.2016), wenn ein alter russischer Flugzeugträger durchs Mittelmeer fährt, nicht aber ebenso, wenn die Nato Soldaten und Raketen in die baltischen Staaten verlegt? Oder wenn die zehn US-amerikanischen Flugzeugträger auf allen Weltmeeren herumfahren, auch im Schwarzen Meer vor der Nase der Russen? Sind wir genügend informiert darüber, dass die USA nach eigenen Angaben mehr als 700 Stützpunkte rund um den Globus unterhalten und wo sich diese befinden?
  22. Warum decken Medien mit Recht gefälschte und manipulierte Meldungen aus «Putins Trollfabrik» auf, kaum dagegen nicht minder manipulierte Informationen aus der Küche des CIA und anderer westlicher Geheimdienste?
  23. Warum kritisieren Medien nur «Grossmachtsambitionen» von Russland (NZZ 27.10.2016) und China, nicht aber die Grossmachtspolitik der USA?

Auf alle diese Fragen gibt es keine schnellen Antworten. Wenn Krieg herrscht, sind Informationen ein Teil davon. Medien werden instrumentalisiert und manipuliert, subtil oder weniger subtil. Und zwar von allen Kriegsparteien. Deshalb wäre Zurückhaltung angesagt. Vorsichtiges Formulieren in neutraler Sprache und mit deutlichen Hinweisen auf ungesicherte Quellen.
Ob Berichte einseitig und wahrscheinlich irreführend sind, ist häufig wie folgt zu erkennen:

  • Die Wortwahl ist stark (ab-)wertend und emotional anstatt neutral.
  • Die Berichte folgen dem Schema «Gute gegen Böse» und «Recht gegen Unrecht».
  • Informationen einer Seite werden grammatikalisch als Tatsachen dargestellt.
  • Die Quellen der Informationen werden nicht genügend transparent gemacht.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

BasharalAssad

Der Krieg in Syrien

Das Ausland mischt kräftig mit: Russland, Iran, USA, Türkei, Saudi-Arabien. Waffen liefern noch weitere.

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Kritik von Zeitungsartikeln

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16 Meinungen

  • am 2.11.2016 um 12:00 Uhr
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    Danke für diesen Artikel!

    Verrückt, dass eigentlich viele Fragen rhetorische Fragen sind, weil wir die Antwort eigentlich genau kennen, sie aber nicht auszusprechen wagen, besonders in Bezug auf das Völkerrecht, welches eigentlich sehr eindeutig ist. Aber selbst der scheidende UNO Generalsekretär sagte zur Bombardierung der Schule in Hass [sic!] «Wenn er vorsätzlich war, war dieser Angriff möglicherweise ein Kriegsverbrechen».

  • am 2.11.2016 um 12:02 Uhr
    Permalink

    Danke, Urs P. Gasche!

    Wollen wir unsere kognitive Dissonanz anflösen, müssen wir uns konsequent gegen Daesh stellen, in Aleppo und in Mosul, und dürfen wir nicht amerikanische Bomben auf Mosul gut und russische Bomben auf Aleppo schlecht finden. Wer sich in Aleppo auf die Seite der USA/NATO/Golfstaaten stellt, stellt sich auch auf die Seite von Daesh!

    In Aleppo haben USA/NATO/Golfstaaten das Problem, dass Syrien/Iran/Russland gegen ihre Mujahedin-Söldner kämpfen. In Mosul haben USA/NATO/Golfstaaten das Problem, dass sie gegen ihre eigenen Mujahedin-Söldner kämpfen. Deshalb lassen sie offenbar viele von ihnen von Mosul nach Aleppo transferieren.

    http://www.dailymail.co.uk/news/article-3836690/ISIS-fighters-allowed-flee-Mosul-retreat-Syria-agreement-claims-Russia.html

  • am 2.11.2016 um 13:19 Uhr
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    In einer aufgeklärten Gesellschaft sollte sich eigentlich jede/r diese Fragen stellen. Es wäre schon länge nötig, dass in der allgemeinen Schulbildung Medienkompetenz vermittelt wird, damit das Publikum solch einseitige Berichterstattung erkennt und stärker kritisiert.

    Wer eine ausführlicher Untersuchung zu Manipulation und Propaganda in schweizer Medien sucht wird bei Swisspropaganda fündig. Da finden sich unteranderem zwei sehr gute Studien;
    eine zur NZZ: https://swisspropaganda.wordpress.com/die-nzz-studie/
    und eine zum SRF: https://swisspropaganda.wordpress.com/srf-propaganda-analyse/

  • am 2.11.2016 um 13:41 Uhr
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    Ich finde, die allerwichtigste Frage ist folgende: Warum sind die Qualitätsmedien so? Ich gehe davon aus, dass die meisten der Autoren keine Dummköpfe sind. Sie werden sich dieselben Fragen stellen, die Sie oben ansprechen. Aber trotzdem hetzen sie weiterhin einseitig und schlagen sich unkritisch auf die eine Seite des Konflikts.
    .
    Die Frage ist somit: Was haben die Qualitätsmedien-Redakteure davon? Die meisten von denen, die eifrig den nächsten Krieg herbeischreiben, werden darin umkommen. Trotzdem tun sie es.
    Warum?

  • am 2.11.2016 um 13:49 Uhr
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    Zu wenig Zeit, ergo mehr copy und paste?

  • am 2.11.2016 um 13:52 Uhr
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    Glaube ich nicht. Man könnte ja auch russische Agenturmeldungen copy&pasten. Es hat aber Methode, dass man nur die eine Seite berücksichtigt. Manche Medien befinden sich derzeit ja in einem regelrechten Kampf gegen ihre Leser, die sofort die Kommentarspalten mit vorwiegend Widerspruch füllen. Warum?

  • am 2.11.2016 um 18:48 Uhr
    Permalink

    Die Frage Nr. 20 ist sehr kurz und zeigt ganz klar die manipulative Absicht u.a. der NZZ. Abonnenten bezahlen für Informationen, sie werden aber mit suggestivem PR bedient.

  • am 3.11.2016 um 06:45 Uhr
    Permalink

    @Red 18:48: Das ist in der Tat starker Tobak. Es würde erklären, warum Regierungen einknicken. Aber erklärt es, warum Redaktionen einknicken?
    Ich frage mich auch schon lange, wieso sich nicht endlich mal ein Anwalt findet, der für Angehörige eines Drohnenopfers vor Gericht zieht. Man kann diese Anschläge nach rechtsstaatlichen Massstäben ja nur als Mord qualifizieren. Also müssten sie doch auch strafbar sein.

  • am 3.11.2016 um 11:18 Uhr
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    Das sind einfach zuviel rhetorische Fragen also im Grunde nur Aussagen, für die der Autor Beweise oder Hinweise schuldig bleibt. Für einen medienkrtischen Bericht leider zu dürftig. Auch sollte er sich etwas mehr mit dem Völkerrecht beschäftigen ich finde es erschreckend wieviele vielleicht sogar Linke sich hinter diesem Wort verstecken und Despoten morden lassen. Da waren wir schon weiter und haben das universelle Menschenrecht auf Freiheit über die Nichteinmischung gestellt und das nicht nur rhetorisch sondern direkt mit Unterstützung der Befreiungsbewegungen beispielsweise in Südamerika.

  • am 3.11.2016 um 13:15 Uhr
    Permalink

    @Stefan Werner: Da war diese Woche gerade eine Folge der «Anstalt» im ZDF, die sich mit genau diesem Thema beschäftigt hat. Und zu zivilen Kriegsopfern gab es ja auch schon Prozesse, bei denen sich die Staaten leider nicht mit Ruhm bekleckert haben. (Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriff_bei_Kundus#F.C3.BCr_die_Opfer_und_deren_Angeh.C3.B6rige). Ich bin überzeugt davon, gäbe es eine realistische Option, einen Staat auf Schäden durch Krieg an Menschen und Infrastruktur zu verklagen und für jeden Fall einen angemessenen Schadensersatz zu erhalten, wären viele «Stabilisierungseinsätze» nie geführt worden.
    @ Karl Knauser: Dem Argument mit den rhetorischen Fragen stimme ich zu. Allerdings nicht der implizierten Ansicht des «verstecken und Despoten morden lassen». Wie in den rhetorischen Fragen angemerkt wird hier immer mit zweierlei Maß gemessen. Der König von Saudi-Arabien ist auch ein Despot, der morden lässt. Und seine Bevölkerung stimmt ihm da wahrscheinlich sogar überwiegend zu (so wie die in Syrien vor dem Krieg und eventuell auch immer noch). Der herbeigeführte «Regime Change» von innen oder aussen kann nur erfolgreich sein wenn die Masse der Bevölkerung des Landes das auch will. Ansonsten versinkt das Land danach im Chaos. So war es im Irak, in Libyen, in Syrien. Ich wette, nichtmal in Nordkorea würden bei echten freien Wahlen weniger als 60% Kim Jong Un wählen. Die Fixierung der westlichen Medien auf kleine und gut vernetzte Teile der Bildungselite trügt da oft.

  • am 3.11.2016 um 16:59 Uhr
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    Nun, da gibt es noch den Fall „Faisal bin Ali Jaber“, dessen Neffe (Polizist) und Schwager (Imam) bei einem Drohnenangriff in Jemen starben. Dabei geht es Jaber weder um eine Anklage beim IGSH, noch um Entschädigung (er hat sogar eine erhalten, in Form von einer Tüte Bargeld mit frisch gepressten 100 Dollarnoten und einer Summe von $100‘000), sondern lediglich um eine offizielle Entschuldigung, dass seine Freund „Kollateralschaden“ sind und nicht gezielt getötet wurden.

    Bei der Anklage, eingereicht durch die Organisation Reprieve, geht es um die Frage einer „extralegale Hinrichtung“, die in den USA durch den „Torture Victim Protection Act“ von 1991 geregelt wird.

    Dieser erlaubt einen Zivilprozess gegen Personen zu eröffnen, die der Folter oder eben „extralegaler Hinrichtungen“ verdächtigt werden.

    Brisant ist, dass diese Klage nun von US Veteranen unterstützt wird, die selber an Drohneneinsätzen beteiligt waren.

    Mehr dazu unter:
    http://www.latimes.com/nation/la-na-drone-targeting-lawsuit-20160908-snap-story.html

    Um sich das Verhältnis zwischen gezielter Tötung und „Kollateralschaden“ (oder halt „extralegaler Hinrichtungen) vorzustellen: die USA hatten Baitullah Mehsud, ehemaliger Anführer der pakistanischen Taliban, auf ihrer Todesliste. Bis sie ihn erwischten brauchte es 7 Versuche, bei denen insgesamt 164 Menschen starben:
    https://www.theguardian.com/us-news/2014/nov/24/-sp-us-drone-strikes-kill-1147

  • am 3.11.2016 um 22:32 Uhr
    Permalink

    Danke für die Hinweise.
    Habe kürzlich das Buch «Wer den Wind sät» von Michael Lüders gelesen. Er zeigt unter anderem ein Muster, das vielen von der westlichen Wertegemeinschaft initiierten «Regime Changes» gemeinsam ist: Der zu Stürzende wird dämonisiert, zu einem Widergänger Hitlers, einem Teufel in Menschengestalt ernannt, mit dem zu verhandeln oder auch nur zu sprechen bereits ein Verrat an der «guten Sache» wäre, und dem man deshalb nur mit äusserster Härte begegnen kann. Parallel werden Unzufriedene finanziert und wirtschaftliche Sperren errichtet, um das «feindliche Regime» zu destabilisieren, bis es schliesslich sturmreif ist.

    Und wirklich zieht sich dieses Muster von Mossadegh zu Saddam, über Gaddhafi zu Assad, und ein Stück weit auch zu Putin.

    Eigentlich verblüffend, dass so eine im Grunde leicht durchschaubare, und dazu auch noch fantasielos mehrfach replizierte Technik immer noch funktioniert.

  • am 3.11.2016 um 23:57 Uhr
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    Man erinnere sich an die Rhetorik von George W. Bush Jr. VOR 9/11 und die Schurkenstaaten. Noam Chomsky, Linguistikprofessor des MIT, nimmt diese Definition auf, recherchiert und entlarvt die USA als Schurkenstaat Nr. 1 VOR 9/11.

    Was Lüders berichtet hat eine Tradition, seit es die USA gibt.

    Nachzulesen unter:

    http://www.google.ch/url?url=http://www.linke-buecher.de/texte/anarchismus/noam-chomsky-menschenrechte-und-schurkenstaaten.pdf&rct=j&frm=1&q=&esrc=s&sa=U&ved=0ahUKEwjCxN_C143QAhUHPhQKHUOJD58QFggUMAA&usg=AFQjCNEKvwtZu6L0d9cFc9cpvNw_s0HJeg

  • am 4.11.2016 um 00:02 Uhr
    Permalink

    Nachtrag zu Faisal bin Ali Jaber: angeklagt wurde auch Deutschland, weil es zulässt, dass die Drohnenangriffe über die US-Basis in Ramstein auf deutschem Boden laufen.

  • am 6.11.2016 um 21:31 Uhr
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    Die NZZ ist ein Leuchtturm in Sachen subtiler Meinungsmanipulation. Sie weiss, wer die Guten und wer die Bōsen sind und predigt diese Botschaft meisterhaft. Sie war auch eines der Medienhāuser, welche den Irakkrieg befūrworteten. Im Libyenkrieg fiel plōtzlich ein wichtiger, nicht stromlinienfōrmiger, Journalist aus.

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