Fabienne_MoserFrei

Als Ausnahme hat in einer Volkswahl in Dietikon ZH die parteilose Fabienne Moser-Frei gewonnen © fmf

Schweizer Richter als Mit-Finanzierer der Parteien

Red. /  Gewählte Richter müssen von ihrem Einkommen ihrer Partei etwas zahlen. Das tangiert die Unabhängigkeit der Richter.

Red. Die Justiz als Dritte Gewalt muss von Regierung und Parlament unabhängig sein. In der Schweiz wird allerdings fast nur Richterin oder Richter, wer einer Partei angehört. Und dieser Partei müssen dann sie oder er jedes Jahr eine Art Steuer zahlen. Damit sei die «richterliche Unabhängigkeit gefährdet», meint die Zeitschrift «Mensch und Recht». Infosperber stellt den hier leicht gekürzten Artikel zur Diskussion.

Ohne Partei keinen Richterposten

Die allermeisten Richter zahlen ihren Parteien jährlich eine kleinere oder grössere Summe. Dieser Geldbetrag wird Mandatssteuer genannt. Sie ist die Gegenleistung für die Unterstützung der Partei, ohne die man in der Schweiz fast nie Richterposten bekommt. Die abgebildete Fabienne Moser-Frei, die kürzlich als Kampfkandidatin zur Bezirksrichterin in Dietikon gewählt wurde, ist eine seltene Ausnahme.

Giuliano Racioppi, Richter des Verwaltungsgerichts Graubünden, selber Mandatssteuerzahler an seine Partei CVP, hat kürzlich eine Studie zu diesem Thema verfasst und in der Richterzeitung* veröffentlicht.
In einem ersten empirischen Teil hat er die politischen Parteien und zahlreiche Richter zum Thema Mandatssteuern befragt, im zweiten Teil wird die Mandatssteuer rechtlich eingeordnet.
Unterschiedliche Abgaben je nach Partei

Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung sind interessant, wenn auch wenig überraschend: Die linken Parteien, die nur wenige Gelder aus der Privatwirtschaft erhalten, verlangen die höchsten Mandatssteuern. Diese stellen für sie eine erhebliche Einnahmequelle dar. Bei den bürgerlichen Parteien sind die jährlichen Mandatssteuern weniger hoch.
Durchschnittliche Mandatssteuern der Bundesrichter:

Grüne    20’000 CHF
SP    13’000 CHF
SVP      7’000 CHF
FDP      3’000 CHF

Beim Bundesgericht arbeiten 38 hauptamtliche und 19 nebenamtliche Richterinnen und Richter. Bei andern Gerichten des Bundes und den vielen Gerichten der Kantone sind die Mandatssteuern meist tiefer. Die gesamte Summe aller Mandatssteuern ist nicht bekannt.
Die meisten Richter werden in der Schweiz auf Vorschlag der Parteien von den Parlamenten gewählt.

Verschaffen sich Parlamentarier einen unrechtmässigen Vorteil?
Zu bemerkenswerten Schlüssen kommt Racioppi bei der rechtlichen Würdigung der Mandatssteuern. ParlamentarierInnen machen sich strafbar, wenn sie von ihren Richtern die Anerkennung der Leistungspflicht der Mandatssteuer fordern. Konkret erfüllen sie dadurch den Straftatbestand des Amtsmissbrauchs gemäss Artikel 312 des Strafgesetzbuches. Dieser lautet:
«Mitglieder einer Behörde oder Beamte, die ihre Amtsgewalt missbrauchen, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem andern einen Nachteil zuzufügen, werden mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.»
Darüber hinaus könnte auch eine passive Bestechung vorliegen. Nach Art. 322quater des Strafgesetzbuches wird bestraft, wer als Mitglied einer richterlichen oder anderen Behörde im Zusammenhang mit seiner amtlichen Tätigkeit für eine pflichtwidrige oder eine im Ermessen stehende Handlung für sich oder einen Dritten einen nicht gebührenden Vorteil fordert.

Richterliche Unabhängigkeit tangiert
Zentral ist sodann die Frage, ob die Mandatssteuer die richterliche Unabhängigkeit beeinflusst. Der Verfasser der Arbeit zitiert zahlreiche Autoren, welche in der Mandatssteuer keine Gefährdung der richterlichen Unabhängigkeit erblicken. Er schliesst sich diesen jedoch nicht an, sondern hält vielmehr fest, dass weder die Höhe noch ein allfälliges Druckmittel ausschlaggebend sein können für die Frage, ob die Mandatssteuer die richterliche Unabhängigkeit negativ beeinflusst.
«Es geht nicht bloss um die innere Unabhängigkeit des Richters, welche durch die Mandatssteuer in der Regel nicht tangiert sein dürfte, sondern auch um den objektiven Anschein der Unabhängigkeit, um den äusseren Eindruck eines Dritten. Das Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in die Judikative wird durch die Mandatssteuer alles andere als gefördert.
Einerseits entsteht der Eindruck, die Richter hätten ihr Amt von der eigenen Partei erkauft oder besser gesagt – aufgrund der periodischen Zahlungen – gemietet.
Die Mandatssteuer fördert andererseits den Anschein, dass der Richter sich der eigenen Partei, die ihren Machtbereich auszubauen versucht, unterwerfe.
Dabei spielt es keine Rolle, ob die Parteien mit den Richtern eine schriftliche Vereinbarung abgeschlossen haben, ob die Mandatssteuern in einem Reglement einseitig geregelt werden oder ob lediglich Empfehlungen abgegeben werden.
Denn selbst die auf blosse Empfehlung hin geleisteten Mandatssteuern widersprechen dem Bild der objektiven Unabhängigkeit der Justiz und der Richterperson. Mit anderen Worten entspricht die Zahlung der Mandatssteuern nicht dem Bild, das ein achtsamer Dritter von einer unabhängigen Justiz erwarten darf.
Alle Parteien geben in der Umfrage an, sie würden selbst bei Nichtbezahlung der Mandatssteuern die «eigenen» Richter zur Wiederwahl empfehlen. Tatsache ist aber, dass sie die Macht hätten, die säumigen Richter abzustrafen. Die «richterliche Unabhängigkeit in objektiver Hinsicht wird jedoch bereits anhand dieser Möglichkeit beeinträchtigt.»

Hinzu kommt, dass die SP im Rahmen einer Umfrage der Schweizerischen Richterzeitung einräumte, dass sie einen Bewerber, der im Voraus die Zahlung der Mandatssteuer verweigere, nicht zur Wahl vorschlagen würde.
Zusammenfassend kommt der Verfasser der Studie zum Ergebnis, dass die Mandatssteuer die richterliche Unabhängigkeit in objektiver Hinsicht tangiert.

Giuliano Racioppi hält eine Abkehr von der Wahl der Richter nach Parteiproporz kurz- und mittelfristig für nicht realistisch, langfristig sei sie aber möglich. Um von der Mandatssteuer abzukommen, wäre einerseits eine staatliche Parteifinanzierung einzuführen. Andererseits seien Zahlungen von Richtern an Parteien zu verbieten.
—————————-
*GIULIANO RACIOPPI, Die moderne «Paulette»: Mandatssteuern von Richterinnen und Richtern, in: «Justice – Justiz – Giustizia» 2017/3


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Die Quartalszeitschrift «Mensch und Recht» wird von der Schweizerischen Gesellschaft für die Europäische Menschenrechtskonvention herausgegeben. Der verantwortliche Redaktor ist Ludwig A. Minelli.

Zum Infosperber-Dossier:

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2 Meinungen

  • am 16.10.2017 um 22:12 Uhr
    Permalink

    Ich verstehe, dass solche Abgaben einen etwas seltsamen Eindruck hinterlassen. Ich glaube aber, sie sind weniger kritisch, als sie auf den ersten Blick wirken.
    Indem ein Richter «seiner» Partei eine Mandatssteuer entrichtet, wird er nicht von ihr abhängig. Generell begibt sich die Seite, die Geld erhält, in eine Abhängigkeit, nicht jene, die gibt. Wenn ein Richter für eine Partei eine wertvolle Geldquelle ist, wird sie ihn erst recht nicht durch unzulässige Einmischung in seine Arbeit vor den Kopf stossen wollen.

    Die Auflistung der Mandatssteuer je nach Partei ist aufschlussreich. Die FDP erhält das Geld aus der «Wirtschaft». Keiner weiss, woher genau. Keiner weiss, zu welchen Bedingungen. Die FDP hat es nicht nötig, von ihren Richtern Geld zu verlangen.

    Der Vollständigkeit halber sollte vielleicht erwähnt werden, dass nicht nur Richter eine Mandatssteuer bezahlen. Als Kantonsrat (der Grünen) bezahle ich auch eine. Weil die Grünen aus den verschwiegenen Quellen der Wirtschaft nicht unterstützt werden, sind sie auf solche Einnahmen angewiesen.

    Eine sauber geregelte staatliche Parteifinanzierung wäre natürlich besser. Auf die Mandatssteuer könnte man dann verzichten. Noch viel wertvoller wäre jedoch, wenn bei der Gelegenheit auch die verdeckten Parteispenden von finanzkräftiger (und lichtscheuer) Seite unterbunden werden könnten.

  • am 18.10.2017 um 14:10 Uhr
    Permalink

    Wesentlich scheint mir, dass es nicht die Parlamentsmitglieder sind, die Personen zur Wahl vorschlagen, sondern die Parteien. Für diese dürfte weder der Tatbestand des Amtsmissbrauchs noch der passiven Bestechung anwendbar sein. Oder läuft dies im Kanton Graubünden etwa anders?

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