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Zitrusplantagen in den USA sind von Citrus Greening betroffen, das Zitrusfrüchte verkümmern lässt. © CC

Zitrusbauern in den USA dürfen wichtige Antibiotika spritzen

D. Gschweng /  Streptomycin and Oxytetracyclin sind für sie die letzte Hoffnung gegen eine Pflanzenkrankheit. Dabei ginge es auch anders.

Das Antibiotikum Streptomycin wird unter anderem gegen Tuberkulose eingesetzt. US-Bauern haben im Dezember 2018 die Erlaubnis bekommen, mit Streptomycin und Oxytetracyclin, einem seltener verwendeten Antibiotikum, Zitrusbäume zu behandeln. In vielen anderen Ländern wie in der EU und in Brasilien ist das verboten. Die US-Umweltbehörde EPA setzte diese Massnahme gegen den Widerstand der Lebensmittelkontrollbehörde FDA und des Seuchenschutzministeriums CDC durch, berichtet die «New York Times» (NYT). Beide Behörden bemühen sich seit Jahren darum, die Nutzung von Antibiotika einzuschränken.

Die EPA schlägt vor, zur Bekämpfung der Krankheit bis zu 295 Tonnen Streptomycin pro Jahr auf amerikanischen Zitrusplantagen zuzulassen. Bisher verbraucht die US-Bevölkerung im Jahr sechs Tonnen Aminoglycoside. Das ist die Antibiotikaklasse, zu der Streptomycin gehört.

Eine Notlage, die sich angekündigt hat

Das Argument der EPA: Den Zitrusbauern in den südlichen USA steht das Wasser bis zum Hals. Eine Krankheit dezimiert seit Jahren ihre Baumbestände. «Citrus Greening» oder «Hualongbing», kurz: HLB, auf Deutsch auch «Zitruspest», hat sich von Asien und Südafrika aus auf der ganzen Welt ausgebreitet und bereits hektarenweise Zitruspflanzen vernichtet. Die Erreger werden durch einen Baumfloh verbreitet und vermehren sich rasant. Dabei verstopfen sie die Nährstoffleitungen der Pflanzen. Ist ein Baum befallen, verhungert er von innen, die Früchte bleiben klein und bitter. Nach drei bis fünf Jahren stirbt er. Weder Insektizide noch Unmengen Pestizide oder das Fällen betroffener Bäume haben bisher dagegen geholfen.


Ausbreitung von Citrus Greening oder HLB in Florida in den Jahren 2005 bis 2009. Inzwischen ist fast jeder Baum betroffen. (FDACS-DPI, National Academic Press)

Die verzweifelte Lage, in der sich die Farmer jetzt befinden, konnte man kommen sehen. Citrus Greening ist 2005 in den USA angekommen. Laut der «New York Times» sind inzwischen 90 Prozent der Orangen- und Grapefruitbäume in Florida betroffen. 50‘000 US-Angestellte sind von diesem Industriezweig abhängig. Die Industrie setzt im Jahr 7,2 Milliarden Dollar um, grösstenteils mit Orangensaft. 2016 hat die EPA den Einsatz von Streptomcyin und Oxytetracyclin gegen Citrus Greening in Notfällen erlaubt, im Dezember 2018 folgte die Erlaubnis für eine generelle Nutzung.

Es ginge auch anders

Viele Bauern fürchten um ihre Existenz und greifen dabei zu einem Mittel, bei dem ihnen teilweise selbst nicht wohl ist. Der Zitrusbauer Roy Petteway, den die NYT befragt hat, macht sich zwar Sorgen wegen Resistenzen. Diese Bedrohung bleibt für ihn aber relativ abstrakt, während seine Bäume sichtbar eingehen. Er sieht keine Alternative, bis ein besseres Mittel gegen die Zitruspest gefunden ist.

Dabei ginge es auch anders.

«Man muss dem Baum helfen, damit er sich selbst hilft», ist Salvator Garibays Devise. Der Agronom am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) weiss, wovon er spricht. Das FiBL betreibt seit 2011 Bio-Orangenplantagen in Mexiko und auf Kuba, in denen es versucht, der Krankheit beizukommen.

Marienkäfer, Wespen und Kohle statt Streptomycin

«Für uns ist es wichtig, eine integrale Massnahme zu entwickeln», sagt Garibay. «Integral» heisst, von allen Seiten anzugreifen – ohne Antibiotika und Pestizide. Dazu gehören neben einer generellen Förderung der Biodiversität gezielte Massnahmen gegen den Zitrusblattfloh, der Citrus Greening überträgt. «Weniger Zitrusblattflöhe, weniger Erreger», erklärt Garibay.

Natürliche Feinde des Flohs, zum Beispiel eine Marienkäferart, oder die Erzwespe Tamarixia radiata, die in der Gegend vorkommen, werden gezielt unterstützt. Ansteckungsherde wurden identifiziert und eingeschränkt.
Eine in Mexiko beliebte Zierpflanze, auf der der Floh gerne nistet, musste weichen. Zwei andere Rezepte umfassen biologische Pflanzenhilfsmittel und die Verbesserung des Bodens durch die Verteilung von verkohlten Pflanzenresten, genannt «Biochar», in der Erde.

Mit der Biodiversität erhöht sich auch die Anzahl der auf den Plantagen lebenden Insektenarten, für den Floh bleibt weniger Lebensraum. Derzeit testet das FiBL die Verträglichkeit eines Pilzes, der als Bioinsektizid gegen den Zitrusblattfloh eingesetzt werden könnte.

Antibiotikaeinsatz ohne erwiesenen Nutzen

Die Bauern in den nahen USA greifen derweil zur chemischen Keule. Dabei ist noch nicht einmal erwiesen, dass die Antibiotikatherapie wirkt. Graciela Lorca, Molekularbiologin an der Universität von Florida und Expertin für Citrus Greening, ist davon nicht überzeugt. Studien, die nach wissenschaftlichen Massstäben durch eine Peer-Review überprüft worden seien, gebe es nicht, sagt sie. Die EPA verlässt sich vor allem auf Angaben der Pestizidhersteller.

In der Schweiz wird Streptomycin nicht mehr bei Menschen und bei Pflanzen nur mit Sonderbewilligung eingesetzt. Aus gutem Grund. Auf Streptomycin empfindliche Bakterien bilden relativ leicht Resistenzen. Sind sie einmal resistent, wachsen sie sogar besser, wenn sie Streptomycin bekommen.

Das Risiko von Resistenzbildungen ist hoch

Das Risiko, dass Antibiotika über Früchte und Saft beim Konsumenten ankommen, sei gering, sagen Befürworter der EPA-Massnahme. Da ihre Anwendung 40 Tage vor der Ernte eingestellt werden müsse, seien sie bis dahin daraus verschwunden. Im Boden könnten sich Streptomycin und Tetracyclin allerdings wochenlang halten, haben Wissenschaftler des Seuchenschutzministeriums CDC nachgewiesen. Resistenzen könnten sich von dort aus ausbreiten.

«Einen so massiven Einsatz dieser Medikamente in der Landwirtschaft zu ermöglichen, ist ein Rezept für eine Katastrophe», findet Steven Roach, leitender Analytiker der Interessengruppe «Keep Antibiotics Working». «Es stellt die Bedürfnisse der Zitrusindustrie über die menschliche Gesundheit.»

Mehr lesen: Infosperber-Dossier «Wenn Antibiotika nicht mehr wirken»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Landwirtschaft

Massentierhaltung? Bio? Gentechnisch? Zu teuer? Verarbeitende Industrie? Verbände? Lobbys?

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Wenn Antibiotika nicht mehr wirken

Eine tödliche Gefahr im Spital: Keime, die gegen Antibiotika resistent sind, verbreiten sich seit langem.

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Eine Meinung zu

  • am 4.06.2019 um 09:46 Uhr
    Permalink

    Erneut ein klares System-Versagen. Wieder einmal in der Profit-Landwirtschaft.
    Alles wird dem kurzfristigen Profit geopfert.
    Man kann zwar jahrelang die Natur und die Biodiversität durch giftige und unnatürliche Monokulturen ersetzen, aber darin liegt fast immer bereits der Keim der Zerstörung – in diesem Beispiel ein kleiner Floh, der eine Nische gefunden hat.

    Was wir wirklich bräuchten, ist eine möglichst vielfältige Biodiversität, durchsetzt mit Nutzpflanzen, welche auch in 100 Jahren noch gute Erträge liefern.
    Dazu bräuchten wir aber ein weniger gieriges Wirtschaftssystem.

    Positive Beispiele:
    Permakultur / Fukuoka: https://www.youtube.com/watch?v=9bnKggdwjEk

    Wir unterstützen die Initiative für sauberes Trinkwasser:
    https://www.friedenskraft.ch/wir-unterstützen

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