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Das AKW Beznau steht mitten in der Aare: Kein Problem, sagt die Axpo und das Ensi © axpo

Atomaufsicht: AKW-Anwältin statt Staatsanwältin

Kurt Marti /  Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) vertritt die Interessen der AKW-Betreiber statt jene der Bevölkerung.

Heute Freitag Nachmittag treffen sich am Sitz der Schweizer Atomaufsicht Ensi an der Industriestrasse 19 in Brugg rund 50 Personen, hauptsächlich Vertreter der Atomaufsicht Ensi und der Atomlobby, aber auch des Bundes, der Kantone, der AKW-Standortgemeinden und aus Süddeutschland. Mit dabei ist auch eine kleine Schar von UmweltvertreterInnen, unter anderem der Energie-Ingenieur Heini Glauser von der Mahnwache Brugg-Windisch. Der Anlass läuft unter dem Titel «Technisches Forum Kernkraftwerke», mit dessen Hilfe das Ensi und die AKW-Betreiber vorgeben, den Dialog mit den AKW-Kritikern zu fördern und deren Fragen zu beantworten.

«Abwehrhaltung und Verteidigungsposition»

Glauser ist «masslos enttäuscht» vom Dialog mit dem Ensi und den AKW-Betreibern, wie er in einem Schreiben ans Ensi vom Mittwoch festhält. Mit einem offenen Informationsaustausch habe dies «wenig zu tun», sondern mehr mit einem «Angriff auf die Fragestellenden und deren Qualifikation». Statt die Belastbarkeit der Beznau-Gutachten der Axpo zu prüfen, habe das Ensi im Interesse der Axpo einfach den Spiess umgedreht und die Belastbarkeit der eingereichten Fragen geprüft. Es sei für ihn «unverständlich, dass das Ganze in enger Absprache zwischen dem Ensi und den AKW-Betreibern passiere, die das Ensi eigentlich überwachen und kontrollieren sollte».

Es fehle ganz klar die Bereitschaft, «detaillierte Fakten zu vielen der Fragen zu liefern und zusammen zu besprechen». Er spüre vielmehr «eine Abwehrhaltung der Verantwortlichen und den Rückzug in eine Verteidigungsposition zusammen mit den vom Ensi zu Überprüfenden». Statt staatsanwaltlich die Interessen der Bevölkerung zu vertreten, schlüpfe die Atomaufsicht in die Rolle der Anwältin der Beznau-Betreiberin Axpo.

Axpo rechnet Risiko klein, Ensi nickt

Bereits seit Jahren stellt Glauser die Hochwassersicherheit des AKW Beznau in Frage. Denn im Wasserschloss bei Brugg im Kanton Aargau fliessen die Aare, die Reuss und die Limmat zusammen, also das Wasser von fast der Hälfte der Landesoberfläche. Mitten in der Aare nach dem Zusammenfluss liegt die Insel Beznau und darauf stehen die zwei ältesten Atomreaktoren der Welt. Ein Extrem-Hochwasser könnte zu einer Situation wie in Fukushima führen und zur Umsiedlung von einer Millionen Menschen.

Nach der Atomkatastrophe von Fukushima verlangte das Ensi von der Axpo einen Hochwasserbericht. Darin rechnete die Axpo das Hochwasserrisiko für das AKW Beznau klein. Das Ensi akzeptierte den Axpo-Bericht im September 2011 und erklärte, das Atomkraftwerk Beznau habe «den Nachweis der Beherrschung des 10 000-jährlichen Hochwassers unter den vom Ensi gesetzten Rahmenbedingungen erbracht».

Rückzugsgefecht: Zuerst 0,37 Meter, jetzt 0,85 Meter und morgen?

Was die Axpo und das Ensi verschwiegen: Der Gefälligkeitsbericht rechnete mit klarem Wasser ohne jegliches Schwemmgut (Holz, Autos, etc.) und Geschiebe (Geröll, Sand). Mit dieser äusserst unrealistischen Rahmenbedingung kam der Axpo-Bericht zum Schluss, dass das AKW-Gelände nur bis maximal 0,37 Meter überschwemmt würde, was weit unter der Sicherheitsgrenze von 1,65 Meter liege. Erst als Glauser zusammen mit Heinrich Weigl, einem ehemaligen Professor an der HTL Brugg-Windisch, die Axpo-Berechnungen vehement bestritt, verlangte das Ensi von der Axpo den Einbezug von Geschiebe in die Berechnungen. Seit über zwei Jahren herrschte Funkstille. Die Fragen von Glauser und Weigl blieben unbeantwortet.

Erst jetzt im Hinblick auf die heutige Sitzung gibt das Ensi in einer saloppen Antwort an Glauser bekannt: «Die aktuellen Berechnungen des KKB berücksichtigen den Geschiebetransport». Gleichzeitig erhöht das Ensi und die Axpo die Überflutungshöhe des AKW-Geländes von 0,37 auf 0,85 Meter, ohne die Berechnungen transparent zu machen. Das Schwemmgut – also vor allem Holz – wird weiterhin nicht berücksichtigt. Weitere Erhöhungen der Überflutungshöhe sind auf Druck der AKW-Kritiker zu erwarten. Glauser bezeichnet das Verhalten des Ensi und der Axpo als «taktische Rückzugsgefechte», mit denen der Abschalttermin des AKW Beznau hinausgezögert werden solle. Im Interesse des Axpo-Konzerns, gegen die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung.

«Unverständlich und hochgradig zynisch»

Mit welchen Scheuklappen das Ensi an die Hochwassergefahr herangeht, zeigt ein weiteres Beispiel. Im Jahr 2008 erschien im Auftrag des Kantons Bern die Studie «Extremhochwasser im Einzugsgebiet der Aare», erarbeitet von vier renommierten Hydrologie-Büros. Glauser forderte vom Ensi den Einbezug dieser Studie, welche auch für die Abschätzung der Hochwassergefährdung des AKW Beznau wichtige Erkenntnisse liefern könne. Das Ensi winkte jedoch ab. Die Studie sei «nicht Basis» der Beznau-Studie. Der Seespiegel der Jurarandseen sei für das AKW Beznau «nicht relevant». Für Glauser ist die Nichtberücksichtigung der Berner Extremhochwasserstudie «nach Fukushima unverständlich».

Als «hochgradig zynisch» bezeichnet Glauser die Erklärung des Ensi, es gebe bezüglich der Hochwassergefährdung des AKW Beznau «keinen dringenden Handlungsbedarf». Da stelle sich doch die Frage, wieso dann der Bund im vergangenen Dezember beschlossen habe, die Hochwassergefährdung an Aare und Rhein in einer breit angelegten Studie untersuchen zu lassen, insbesondere auch in Bezug auf das Hochwasserrisiko des AKW Beznau.

Nuklearforum und Ensi: Erstaunliche Übereinstimmung

Wer die Internetseite des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) liest, dem wird eindringlich kommunizert, dass die Schweizer Atomkraftwerke die sichersten der Welt sind und dass jede Sorge um die Sicherheit völlig unbegründet ist. Denselben Eindruck vermittelt auch die Homepage des Nuklearforums, das seinen Sitz bei der PR-Agentur Burson Marsteller in Bern hat und das regelmässig auf die Ensi-Homepage und dessen Publikationen verweist. Diese Übereinstimmung von Ensi und Nuklearforum ist umso erstaunlicher als deren Rollen eigentlich grundverschieden sind: Das Ensi sollte die Atomkraftwerke kritisch-investigativ unter die Lupe nehmen, das Nuklearforum dient der Atomlobby als PR-Stelle.

«Schweizer AKWs sind grundsätzlich sicher»

Das geschilderte Verhalten des Ensi hängt mit seinem Arbeits- und Rollenverständnis zusammen. Ensi-Chef Hans Wanner geht nämlich von der Arbeitshypothese aus: «Die Schweizer Kernkraftwerke sind grundsätzlich sicher.» Keine gute Voraussetzung für eine Kontrollinstanz der Atombranche. Damit übernimmt Wanner die Position der AKW-Betreiber. Laut Wanner tauschen sich die Ensi-Experten laufend mit den AKW-Spezialisten aus. Man pflege eine Arbeitsatmosphäre, «die grundsätzlich nicht von Misstrauen geprägt ist.» Er sieht keinen Grund, die AKW-Betreiber bei Fehlern «öffentlich an den Pranger zu stellen.» Was andere als «Filz» bezeichnen, nennt Wanner «Professionalität.» Die Filz-Vorwürfe liess das Ensi von einem Büro überprüfen, das ein lupenreines Persilgutachten ablieferte und damit den Filzvorwurf bestätigte.

Es fehlt einzig das Gefühl der Sicherheit

Anfang März veröffentlichte das Ensi sein neues Leitbild, das äusserst spartanisch ausfällt, frei nach dem Motto: Je weniger Worte, desto weniger Anhalts- und folglich Angriffspunkte. Die hehren Ideale im Leitbild lauten: «Unabhängigkeit», «gegenseitige Wertschätzung», «konstruktiver Dialog», «Selbstständigkeit», «Konsequenz», «Wachsamkeit». Die grösste Sorge des Ensi drückt sich in folgendem Satz aus: «Der beste Schutz verfehlt seine volle Wirkung, wenn sich die Bevölkerung trotz aller Massnahmen unsicher fühlt.» Und deshalb fühlt sich das Ensi «als Aufsichtsbehörde gefordert – nicht zuletzt im Bereich der Kommunikation.» Hilfreich unterstützt von der Atom-PR des Nuklearforums.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)

Zum Infosperber-Dossier:

Ensi

Atomaufsichtsbehörde Ensi

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