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Demo für ein Fracking-Verbot in Europa © greensefa.flickr

Fracking-Firmen sozialisieren radioaktive Abfälle

Naveena Sadasivam, Pro Publica /  Folgen eines Standort-Wettbewerbs: Abfälle von Ölschiefer-Bohrungen landen dort, wo sie am billigsten zu «entsorgen» sind.

Im US-Bundesstaat Ohio werden jährlich tausende Tonnen leicht radioaktiver Abfall aus Fracking (hydraulische Gasbohrungen) bearbeitet: Die riesigen Abfallmengen werden «aufbereitet», in alte und unbenutzte Erdgasbohrlöcher gepumpt oder auf Deponien gelagert. Seit je waren Behandlung und Entsorgung von Fracking-Abfall kaum reguliert. Es gab nur vereinzelt Vorschriften, wie und wo die Radioaktivität und andere gefährliche Stoffe gemessen werden sollten, oder wie und wo die Abfälle transportiert und gelagert werden durften. Ein grosser Teil dieses Sondermülls kommt aus benachbarten Staaten per Lastwagen nach Ohio.
Erst 2012 führte das Gesundheitsdepartement von Ohio angesichts des steigenden Drucks durch besorgte Bürger und Umweltgruppen ausgedehntere Tests durch, um die Risiken der radioaktiven Fracking-Abfälle zu untersuchen. Die Radioaktivität wurde gemessen im Sand, der bei Bohrungen verwendet wurde, dem Wasser, das nach dem Bohrprozess aufsteigt, sowie an Stücken von Fels und Mineralien aus dem Bohrloch, sowie der Flüssigkeit, die für den Bohrprozess gebraucht wird.

Kategorie «schwach radioaktive Abfälle»

Die chemische Lösung, die für das Bohren des Schachts benutzt wird – der Bohrschlamm – enthielt Radiumwerte, die mehr als das 100fache der Grenzwerte für die Lagerung in einer örtlichen Deponie betrugen. Wären Bundesgesetze zur Anwendung gekommen, hätte der Abfall mit Lastwagen zu einem der wenigen Standorte für die Lagerung von schwach radioaktiven Abfällen transportiert werden müssen.

Nach den erfolgten Messungen und auf Druck von Umweltschützern versprachen Gouverneur John Kasich und Parlamentarier von Ohio zu handeln. Doch sie beugten sich vor den Interessen der Industrie und begnügten sich schliesslich damit, nur einen Teil der Abfälle weiter zu untersuchen. Die grosse Mehrheit der während des Bohrprozesses anfallenden Nebenprodukte – Wasser und ausgehobenes Gestein – müssen nach wie vor nicht getestet werden.

Keine Kompetenzen für das Gesundheitsdepartement

Anfänglich versprach der Gouverneur, er wolle die Abfälle vom Gesundheitsdepartement, das am meisten Fachkompetenz besitze, untersuchen lassen. Doch auch hier erwies sich der Druck der Fracking-Industrie als stärker. Die Legislative lehnte diesen Vorschlag des Gouverneurs ab und beauftragte das Rohstoff-Departement, das jetzt die Ölbohrstandorte sowohl bewilligt als auch überwacht, aber kein spezielles Know-How im Umgang mit Radioaktivität hat.

Diese Entscheide fällte das Parlament ohne grössere Debatte. Die neuen Regelungen versteckte es in einem viertausendseitigen Erlass zum Budget des Staates. Umso erzürnter zeigten sich Umweltschützer und Anwohner, die besorgt sind wegen der Risiken von Fracking in ihrem Staat.

Damit bleibt die Abfall-Kontrolle des Staates Ohio sehr beschränkt. Tom Stewart, der Vizepräsident der «Ohio Oil and Gas Association», meinte zufrieden, dass Öl- und Gasindustrie des Staates eine Regulierung wünsche, welche «die öffentlichen Interessen schützt, aber auch der Industrie erlaubt, effizient zu arbeiten».
Anders sieht es Alison Auciello von der Umweltschutzorganisation «Food and Water Watch»: «Wir riskieren eine toxische Hinterlassenschaft, die in weiten Teilen von Ohio Entschädigungen aus dem Fonds für Umweltschäden rechtfertigen könnte.»

Standortwettbewerb auf Kosten der Umwelt und der Gesundheit

Vorschriften für die Entsorgung von Abfall aus Fracking sind von US-Staat zu US-Staat verschieden. In einigen, wie in Texas, gibt es praktisch keine Vorschriften. Andere haben schärfere Massnahmen eingeführt, um die Öffentlichkeit zu schützen. Norddakota und Pennsylvanien zum Beispiel beschlossen, die radioaktive Gefährdung durch amtliche Tests zu identifizieren und zu quantifizieren, und planen entsprechende Schutzmassnahmen. Bereits sind in Deponien Alarmanlagen installiert um zu kontrollieren, ob der gelieferte Abfall die bereits bestehenden Grenzwerte überschreitet. In West Virginia erliess das Parlament ein Gesetz, das den Bau getrennter, ausgekleideter Gruben für die Lagerung von radioaktiven Abfällen aus Fracking vorschreibt.

Die Öl- und Gasförderung ist ein wichtiger Wirtschaftszweig in Ohio, der Tausende beschäftigt. Die Firmen, welche die natürlichen Ressourcen des Staates abbauen wollen, haben Milliarden Dollars investiert. Eine volkswirtschaftliche Studie im Auftrag von Konzernen aus dem Jahr 2011 prognostizierte, dass diese Branche in den kommenden Jahren über 200’000 Arbeitsplätze schaffen würde. Darauf erklärte Gouverneur Kasich seinen Staat Ohio zum zuverlässigen Partner der Industrie.

Die Umweltprobleme, welche die Industrie in Ohio verursacht, fallen in zwei Kategorien: flüssiger Abfall, verursacht durch hydraulische Tiefenbohrungen, der heute vorwiegend durch Zurückpumpen in den Boden entsorgt wird; und fester Abfall, der sich in den Deponien des Staates anhäuft.

Gefahr für das Trinkwasser

Die Menschen in Ohio sind heute sehr gut informiert und besorgt über die Behandlung von flüssigem Abfall. Das Fracking könnte Erdbeben auslösen, die Spalten verursachen, durch die das in den Boden zurückgepumpte radioaktive Wasser das Grundwasser kontaminieren könnte.

Unter Umweltschützern und um die Sicherheit besorgten Bürgern besteht wenig Zweifel dass die Debatte darüber, was mit dem Abfall aus Fracking zu tun sei, durch das Interesse des Staates an einer wachsenden Wirtschaft beeinflusst wurde. Analysten sagen, Ohio erspare den Förderfirmen einen ihrer grössten Ausgabenposten – den Abfall an geeignetere Orte zu transportieren.
Umweltschützer in Ohio verlangen eine echte öffentliche Debatte mit Beteiligung von Forschern und Wissenschaftern, die während vielen Jahren die Gesundheitsrisiken von radioaktiven Abfällen untersucht haben. Nur eine solche Debatte könne zu schärferen Vorschriften führen.

«Skrupellos»

Mit der heutigen Regulierung ist Julie Weatherington-Rice, Assistenzprofessorin am «Department of Food, Agricultural and Biological Engineering» an der Ohio State University nicht zufrieden: «Wenn sich die Politik über die wissenschaftliche Erkenntnis hinwegsetzt, ist dies skrupellos.» Die Behörden würden die Risiken sozialisieren und der Bevölkerung aufladen.

Radioaktiver Abfall entsteht bei fast jedem Schritt des Förderprozesses von Naturgas, heute als Fracking bekannt. Die Schieferformationen, zu denen die Bohrungen vordringen sollen, enthalten radioaktives Metall. Beim Bohren in die Tiefen, bringen die Fördergesellschaften von diesem Metall an die Oberfläche.

In einigen Fällen lösen sich die Metalle im Wasser auf, das für das Fracking des Bohrschachts eingesetzt wird und kontaminieren dieses. In anderen Fällen liegen die Metalle in Steinen und Erdmaterial – dem Aushub, der während des Bohrprozesses anfällt. Um dieses Aushubmaterial wieder unter die Oberfläche zurückzuführen und um die Bohrmaschinen zu kühlen, wird Bohrschlamm verwendet, eine dickflüssige Masse mit einem hohen Anteil an Radium und einer Reihe anderer radioaktiver Elemente.

Dies alles ist nicht neu. Öl- und Gasfelder haben immer schon radioaktive Abfälle produziert. Aber der Frackingboom hat das Bohren intensiviert. Deshalb wird radioaktives Material rascher und in grösseren Mengen gefördert. Ausserdem dringen die Betreiber zu immer neuen Schieferreserven vor, von denen der «US Geological Survey» feststellte, dass sie höhere Radiumwerte aufweisen als konventionelle Öl- und Gasvorkommen. 2013 schätzte das Umweltschutzdepartement von Pennsylvanien, dass 100’000 Tonnen Aushubmaterial von Fracking Standorten in Pennsylvanien in Deponien von Ohio landeten. Der Abfall findet den Weg dorthin, wo er ohne strenge Vorgaben am billigsten zu entsorgen ist.

Übersetzung aus dem Englischen von Barbara Stiner.

Fracking in der Ukraine
Auch in der Ukraine werden westliche Konzerne Risiken mit Fracking-Abfällen sozialisieren können. Die neue ukrainische Regierung hält die Abkommen mit den Energiekonzernen Shell und Chevron von 2013 zur Förderung von Schiefergas ein. Das sagte der ukrainische Energieminister Juri Prodan Anfang April 2014 in Kiew, wie die russische Novosti berichtet. Westliche Medien informieren kaum über die Geschäfte westlicher Konzerne in der Ukraine.

«Diese Abkommen bleiben weiterhin gültig, ihre Konditionen werden nicht geändert», kündigte der Minister an. Im vergangenen März hatte der Minister für Wirtschaftsentwicklung und Handel der Ukraine, Pawel Scheremet, erklärt, dass sein Land die bereits unterzeichneten Verträge über die Erschließung von Schiefergasvorkommen in der Ukraine strikt erfüllen wird.

Chevron befasse sich mit einem Projekt zur Förderung auf dem Olesskaja-Feld im Westen der Ukraine. Dem Kabinett in Kiew zufolge habe das Feld ein Potential von acht Milliarden bis zehn Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr. Sollte die Schätzung stimmen, dürfte das Feld künftig bis zu 20 Prozent des Gasbedarfs der Ukraine decken, der im vergangenen Jahr bei rund 50 Milliarden Kubikmetern lag.

Das Feld Jusowskoje, das sich in den Gebieten Charkow und Donezk im Osten des Landes befindet, werde von Shell erschlossen. Im vergangenen Jahr sei bereits eine erste Bohrung erfolgt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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Eine Meinung zu

  • am 7.07.2014 um 01:41 Uhr
    Permalink

    Typisch. Der Dieb hat keinen persönlichen Bezug zum Diebesgut und versaut es im letzten Akt.

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