Sprachlupe: «Das Anna und ihr Hund» werden erforscht

Daniel Goldstein /  In manchen Dialekten ist eine Frau ein «Es», vor allem wenn ihr Name mit i endet. Ein trinationales Team geht der Erscheinung nach.

«Chas au rede?» Das war die Pointe in einer Cabaretnummer vor etwa 60 Jahren. Eine liebe Verwandte stellte die Frage, nachdem ein junger Schweizer seine Braut aus Afrika mitgebracht hatte. Dass die Sprachfähigkeit des «Negerli» angezweifelt wurde, war schon damals eine Überspitzung – aber dass «es» als Neutrum behandelt wurde, ist ein Schicksal, das bis heute unzählige Schweizerinnen kennen, die da Heidi, Hanni oder auch Ruthli heissen. Das Schluss-i ist eine verkleinerte Verkleinerungsform, aber weder es noch -li sind zwingend nötig, damit die Namensträgerin «es» genannt wird. Damit muss auch nicht unbedingt ein Kind gemeint sein: Selbst erwachsene Frauen sind vielerorts «das» Ruth, Maria oder Anna. Schweizerinnen sind mit diesem Neutrum nicht allein: In Luxemburg und in Teilen Deutschlands kommt es ebenfalls vor.
Ein trinationales Forschungsprojekt ergründet nun diesen Sprachgebrauch; es läuft unter dem Titel «Das Anna und ihr Hund». Schweizer Beteiligte haben mit Befragungen festgestellt, dass neutrale Artikel wie bei «das Anna» in der Deutschschweiz weitherum vorkommen, oft aber mit weiblichem Pronomen wie bei «ihr Hund» bzw. der Dialektform. «Sein Hund» sagt man nur in einem «Neutrum-Kerngebiet», das von Basel über Bern bis Brig reicht. Etwas verbreiteter ist «sein Hund», wenn Frauchen einen verkleinerten Namen trägt. Im Wallis und zuweilen in Berner und Urner Bergtälern können mit «es» auch Männer gemeint sein, meist solche mit Namen auf -i wie Mani oder Ziggi (Franziskus).
Vertraut und «versächlicht»
Zwei Forscherinnen von der Uni Freiburg i. Ue., Gerda Baumgartner und Helen Christen, beschreiben in der Zeitschrift «Sprachspiegel» Erkenntnisse der Forschung, die auch Volkslieder und Todesanzeigen umfasst. Sie finden nicht nur sprachliche, sondern auch soziale Hintergründe. So fällt auf, dass die Verkleinerungsform in den meisten Gebieten nur Frauen und Mädchen zum «es» macht: «Dr Hansjakobli und ds Babettli». Und das Neutrum wird eher verwendet, wenn man mit der genannten Frau vertraut ist: «s Doris» von nebenan, aber «d Doris Leuthard» (ausser in einem Basler Schnitzelbank).
Aber da ist mehr: Die beiden Forscherinnen reden von der «Versächlichung» der Frau. Sie gehen davon aus, dass «neutrales Genus vor allem bei Substantiven erscheint, die etwas Unbelebtes bezeichnen, während das Maskulinum und das Femininum für belebte Wesen gebraucht werden». Und «dass junge oder kleine Personen als noch nicht vollständig ausgereift angesehen werden und damit als wenig belebt gelten». Das kann das Neutrum für Kinder erklären und indirekt jenes für Erwachsene mit Namen in Verkleinerungsform.
Unten und am Herd
Doch warum tritt es weit häufiger bei Frauen auf? Baumgartner und Christen schreiben dazu: «Diese Struktur dürfte einer patriarchalen Gesellschaftsvorstellung entsprungen sein, in welcher das männliche Geschlecht dem weiblichen Geschlecht hierarchisch übergeordnet ist. Dass der neutrale Namengebrauch in den letzten 40 Jahren unter dem Einfluss der Frauenbewegung in Kritik geraten ist, ist wohl einerseits genau dem Umstand geschuldet, dass er mit Kleinheit und Unbelebtheit in Verbindung gebracht wird, andererseits dem Sachverhalt, dass mit neutraler Genuszuweisung Vertrautheit und Nähe evoziert werden, die nicht zu den Lebensentwürfen heutiger Frauen passen.»
Auch die Cabaretfigur, die an der Sprachfähigkeit des fremdländischen «Weibchens» zweifelte, «versächlichte» es. Das erinnert an mittelalterliche Disputationen, die noch 1618 in einer anonymen Schrift so zusammengefasst wurden: «Ob die Weiber Menschen seyn / oder nicht?» Wer von einer Frau als «es» redet, gerät in Verdacht, sie für ein «dummes Ding» zu halten. Das tut er – oder sie – wohl meistens nicht. Aber selber «dummes Ding» geschimpft zu werden, passiert einem Mann so gut wie nie. Eine Frau so verächtlich «tumb» (ursprünglich = stumm) zu nennen, das ist nun wirklich dumm.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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Eine Meinung zu

  • am 9.02.2019 um 17:34 Uhr
    Permalink

    Ergänzende Überlegungen :
    Das ES kann auch ein sogenanntes Expletivum sein, damit sich ein grammatikalisch korrekter Satz ergibt. Z.B., Morgen wird ES Regen geben. Das wird für diesen Sachverhalt nicht in Frage kommen.
    In gesprochener Sprache wirf mit -li und einer besonderen Betonung dabei,
    auch etwas besonders «liebenswertes» bezeichnet. Eine Sachaussage ist auch eine Versachlichung und nicht nur ein Glaube od. Meinung.
    "Es Heidi» od. «Das Heidi» mit einer gewissen Betonung, kann also auch bedeuten, dass es sich um ein besonders liebenswertes Mädchen handelt.

    "Das» ist oft auch nur eine Verkürzung von «Diese» als genaue Auswahl aus einer Mehrzahl. Ob «der» oder «das» in der Einzahl einem Subjekt zukommt, die Mehrzahl heisst dann immer doch «die». Der Mann, die Männer: das Werkzeug, die Werkzeuge.
    Nicht alle Kinder oder Frauen die den Namen Heidi tragen, sind in der Sache liebenswert. Deshalb ist es wichtig zu betonen, dass sich speziell bei dieser Heidi um etwas liebenswertes handelt.
    An solchen Sprachspielen ist ein Wittgenstein verzweifelt, weil er keine allgemeingültigen Sprachregeln über alles Sprachliche zusammen bekam.
    In Fachsprachen und deren Logik geht es.
    Wenn ein Mann in der Alltagssprache mit einer besonderen Betonung sagt,
    Das Weib macht mich total an, ist das nicht Verkleinernd od. abwertend gemeint.

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