Kommentar

Sich empören genügt nicht

Beat Allenbach © zvg

Beat Allenbach /  Die Verstrickungen der Schweiz in den Sklavenhandel werden immer offensichtlicher. Empörung ist keine genügende Antwort.

Etwas überrascht und mit Befremdung mussten wir in den letzten Jahren zur Kenntnis nehmen, dass viele Persönlichkeiten auch berühmter Schweizer Familien sich dank der Sklaverei und des Sklavenhandels bereichert haben. Es steht jetzt fest, dass auch die Stadt Zürich an diesem unwürdigen Geschäft Geld verdient hat. Die begüterte Stadtgemeinde erwarb bereits 1727 Anteile an der «South Sea Company», einem Unternehmen, das im Sklavenhandel tätig war. Die Stadt war während mehreren Jahrzehnten daran beteiligt. Einer Studie, welche die Stadt der Universität Zürich in Auftrag gegeben hatte, erforschte mittlerweile die Umstände. Doch nicht allein die Stadt Zürich, auch Basel und Bern haben von der Sklaverei profitiert; viele Personen aus der ganzen Schweiz haben ebenfalls direkt oder indirekt aus diesem für uns unzulässigen Geschäft Profit gezogen.

Indienne-Stoffe aus Zürich gegen Sklaven getauscht

Die Stadt Zürich war «finanziell an der Verschleppung von insgesamt 36’494 Afrikanerinnen und Afrikaner beteiligt», stellte Studienautor Frank Schubert in einer Mitteilung der Universität Zürich fest. Weiter war die Zürcher Textilwirtschaft in die Sklaverei verwickelt. Im 18. Jahrhundert wurden auch in Zürich die farbigen Indienne-Stoffe hergestellt, die ein begehrtes Tauschgut für den Kauf von Sklavinnen und Sklaven in Westafrika waren. Und im 19. Jahrhundert bezog die Züricher Baumwollindustrie ihren Rohstoff vor allem von den Sklavenplantagen im Süden der USA.

Von den zahlreichen Zürcher Familien, die in unterschiedlicher Weise mit dem Sklavenhandel verstrickt waren, ist die Familie Escher das prominenteste Beispiel. Alfred Escher, einer der Wegbereiter des wirtschaftlichen Aufschwungs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, hatte selber nie Sklaven. Doch sein Grossvater finanzierte ein Sklavenschiff, sein Vater Heinrich war ein erfolgreicher Händler und Investor in den USA und sein Onkel Friedrich Ludwig betrieb auf Kuba eine Kaffeeplantage mit 80 Sklavinnen und Sklaven.

Die Studienautoren Marcel Brengard, Frank Schubert und Lukas Züricher regten gemäss einer Mitteilung der Uni Zürich an, die Stadt Zürich solle aufgrund der neuen Erkenntnisse und angesichts der Debatte um historische Denkmäler ihrer Beteiligung an der Sklaverei gedenken. Dazu sagte die Stadtpräsidentin Corinne Mauch «Wir dürfen die Augen vor der kolonialen Vergangenheit nicht verschliessen. Die Stadt will nun prüfen, wie das Thema im öffentlichen Raum in zeitgemässer Form sicht- und erinnerbar gemacht werden kann.»

Empörung nutzen, um heutiges Unrecht zu beseitigen

Es ist wichtig, dass auch andernorts die Verstrickungen in die Sklavenwirtschaft aufgearbeitet werden. Es genügt nicht, sich über die aus heutiger Sicht dunkle Seite der Vergangenheit zu empören. Es bringt uns nicht weiter, wenn Denkmäler von Personen, die auch von anrüchigen Geschäften profitierten, zerstört oder weggebracht werden. Die Empörung über die Teilnahme eines Teils unserer Vorfahren am Sklavenhandel können wir umwandeln in Energie, um heutiges krasses Unrecht zu bekämpfen – mit der willkommenen Nebenwirkung, dass unsere Nachkommen sich ihrerseits dereinst nicht über unser Handeln und unsere Gleichgültigkeit empören müssen.

Langjährigen Sans-Papiers eine Bewilligung gewähren

Ein Beispiel: Die Kantone und die Eidgenossenschaft müssten endlich den vielen langjährigen Sans-Papiers in der Schweiz eine Aufenthaltsbewilligung erteilten. Viele der Frauen und Männer ohne gültige Papiere arbeiten seit Jahren als Haushaltshilfen, Betreuerinnen alter Menschen, in der Landwirtschaft, im Reinigungsgewerbe, im Gastgewerbe. Viele Arbeitgeber zahlen Hungerlöhne, aber die Sans-Papiers wagen weder gegenüber den Familien noch den Unternehmern auf korrekte Bezahlung sowie humane Arbeitszeiten zu pochen. Würden sie klagen, käme an den Tag, dass sie keinen gültigen Ausweis besitzen und sie müssten die Schweiz verlassen. Deshalb wollen sie nicht auffallen: Sie verhalten sich stets korrekt und sind praktisch unsichtbar. Für manche Familien und Kleinbetriebe in prekären Verhältnissen sind sie willkommene und wertvolle Arbeitskräfte.

Der Kanton Genf hat vor einigen Jahren einen wichtigen Schritt getan: Nach der Prüfung von einigen Tausend Dossiers hat die Genfer Regierung mit Einwilligung der Bundesbehörden vielen Sans-Papiers eine Aufenthaltsbewilligung gewährt. Jetzt will, wie die Stadt Bern, auch Zürich einen kleinen Schritt machen: Die Stadt will für ihre Einwohner die «Züri-City-Card» einführen, die auch an Sans-Papiers abgegeben würde. Mit der City-Card, die Namen, Adresse, Geburtsdatum und Foto enthalten soll, könnte man sich gegenüber den Behörden der Stadt ausweisen. Es wäre z.B. möglich, damit die Verbilligung der Krankenkassenprämie zu beantragen, doch Sozialhilfe wäre ausgeschlossen. Die City-Card wäre kein Dokument, das einer Aufenthaltsbewilligung gleichkommt. Deren Einführung, die vorbereitet wird, ist ein erster Schritt. Gleichzeitig müssten sich die Kantone endlich dafür einsetzen, dass jene Sans-Papiers, die seit Jahren hier hart arbeiten, aus ihrer unwürdigen Rolle als unsichtbare Rechtlose befreit werden und eine Aufenthaltsbewilligung erhalten. Die Zahl der effektiv in unserem Land anwesenden Ausländer würde sich nicht erhöhten, verändern würde sich bloss die Statistik.

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Siehe zur gleichen Thematik

«Übersehene Skandale der Vergangenheit» (auf Infosperber)


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Industriestaaten profitieren von Hungerlöhnen und Kinderarbeit. An Korruption sind sie oft beteiligt.

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5 Meinungen

  • am 22.11.2020 um 13:11 Uhr
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    Ein Wertesystem ist super. Ethik ist die Grundlage dessen.
    Aus der Vergangenheit zu lernen ist klug, gelingt aber ALLEN mir bekannten Menschen nur bedingt (inkl. meiner Person). Das kriegen wir gerade von der aktuellen Politik facettenreich vorgeführt.
    Sklavenhandel: ich empfehle hierzu die Themenausgabe der Expresszeitung.ch zum Sklavenhandel.
    Man kann dort erfahren, daß die Weitergabe von Gefangenen und geraubten Menschen eine sehr lange Geschichte hat. Da gab es die Schweiz noch gar nicht.
    Die erste Etablierung des Sklavenhandels als Wirtschaftszweig geschah durch Afrikaner. Spätestens dieser Auswuchs des «gewohnten Unrechts» geht dann aber doch zu weit.
    Es wurden offenbar weitaus mehr Weiße als Sklaven in Gegenden von schwarzen Völkern verschickt, als umgekehrt.
    Die Masse der Reedereien gehört in der modernen Form des Sklavenhandels Juden. Die investierten ihr Geld, daß sie z.B. via EITC durch globale Verschiffung von Gütern verdient hatten.
    Ich finde es wenig sachdienlich, sich heute selbst zu geißeln. Das hilft nicht rückwirkend und auch nicht für die Zukunft. Mit mehr Realismus kann man selbst zu dieser Aussage finden.
    Diese Betroffenheitsergüsse verleiden mir aktuelle Publikationen ganz erheblich. Wir haben echte Probleme, geradezu tödliche. Wir sollten uns um diese kümmern.
    Irgendeine Moralität wird uns nicht schützen. Die Geschichte zeigt, daß Derjenige Macht ausübt, der die Ressourcen hat … aus denen seine Macht (z.B. Armee) erwuchs.

  • am 22.11.2020 um 14:10 Uhr
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    Das war damals gang ung gäbe.
    Man darf halt nicht die damalige Zeit mit heute vergleichen.
    Im 21. Jahrhundert kennen wir eine andere Art der Sklavenhaltung.
    Man sollte unser Augenmerk auf die heutige Situation lenken, diese verbessern und das Vergangene ruhen lassen, denn das Geschehene kann nicht rückgängig gemacht werden. In 100 Jahren werden sich die Menschen über die Ungeheuerlichkeiten des 21. Jahrh. empören und so wird es weitergehen, wenn wir uns bis dahin nicht selbst vernichtet haben . . . . . .
    Jean-Claude

  • am 22.11.2020 um 14:30 Uhr
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    Na ja, man könnte die Geschichte auch einfach Geschicht sein lassen. Damals war das Selbstverständnis und die Denkweise, aber auch das Rechtsempfinden völlig anders. Diese Leute haben aus der damals üblichen Denkweise nichts unredliches getan. Sonst könnte man ja heute auch von Frankreich eine Komensation für die Besetzung der Schweiz durch Napoleon verlangen. Und aus einem historischen Hintergrund von vor rund 300 Jahren Forderungen für die heutige Zeit abzuleiten ist völlig absurd.

  • am 23.11.2020 um 08:28 Uhr
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    Das Wort Sklave kommt von Slawe, da man früher Slaven als Sklaven u.a. nach Nordafrika verkaufte. Der Sprachpolizei ist der Begriff ‹Sklave› egal, da Slaven weisse Europäer sind (keine Menschen?). Diametral ‹Zigeuner› kommt von Sinti / Ciganes und da drehen diese Extremisten durch und verbieten den Zigeunerbaron mit Zigeunerschnitzel.
    Dito Sklaven der Römer, Spartakus war ein weisser Europäer, somit kein Mensch?
    Es geht dem Autor nicht um das Unrecht der Sklaverei, sondern ausschliesslich den linksextremen Rassismus, Sklave = Schwarz. Menschenverachtende Geschichtsverfälschung.

  • Portrait_Urs_Schnell
    am 23.11.2020 um 17:46 Uhr
    Permalink

    Guter Dreh im Artikel von Beat Allenbach: Empörung umwandeln in Energie zur Lösung aktueller Probleme. Yes!
    Allenbach benennt eines der Probleme: die seit Jahren in der Schweiz weilenden Sans-Papiers. Lösungsvorschläge zeigt er auch auf.
    Also denn, anpacken!

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