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Verteidigungsminister Maurer setzt seine Armee durch © Screenshot SRF

Maurer weiss, was er will – und macht es

Niklaus Ramseyer /  Ueli Maurer will die Armee nicht für die ganze Welt, sondern für die Schweiz. Damit unterscheidet er sich von seinen Vorgängern.

Mit diesem Artikel eröffnet Infosperber eine Debatte zur Schweizer Sicherheitspolitik. Mehr Informationen dazu am Schluss des Artikels.

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«Ich wünschte mir, die Schweiz würde sich international mehr einmischen.» Das sagte zu Beginn dieses Monats Stan McChrystal in Zürich. Er meinte damit: militärisch mehr einmischen. Und darin kennt er sich aus. Als früherer Viersternegeneral der US-Armee hat er viele gewalttätige «Einmischungen» seines Landes weltweit mitgemacht. Zuletzt als oberster Kommandant der internationalen Truppen in Afghanistan.

«Einmischungen» sind tabu

Was der US-General a. D. wohl nicht wusste: Der Schweizer Verteidigungsminister Ueli Maurer (SVP) hatte solchen «Einmischungen» nur wenige Wochen zuvor in Thun vor Schweizer Milizoffizieren eine klare Absage erteilt. «Die Nähe zu einem wirtschaftlichen oder militärischen Block ist für ein kleines Land gefährlich», hatte Maurer gewarnt.

Er zeigte sich überzeugt, dass McChrystal und seine US Army immer mehr als Verlierer dastehen: Einheimische Widerstandsgruppen hätten in Afghanistan mit einfachsten Waffen den modernsten Armeen der Welt grosse Verluste an Menschenleben zugefügt, sagte Maurer. Militärisch verliere der Westen so an Gewicht. Das würden die Niederlagen in Afghanistan und im Irak deutlich zeigen.

Der Schweizer Wehrminister ist offenbar froh, dass sich sein Land da nicht einmischt. In Thun nannte er als Leitlinien seiner Politik: Neutralität verbunden mit dem Milizprinzip. Er warnte vor Terrorgruppen, die irgendwo und irgendwann zuschlagen können. Aber auch vor modernen Armeen der Grossmächte: Mit ihren ferngelenkten Drohnen führten sie «einen anonymen Krieg auf Distanz, wo sie gezielt und unberechenbar zuschlagen, aktuell in Jemen oder in Pakistan». Es wachse die Gefahr, «dass rechtsfreie Räume entstehen».

Den Offizieren machte Maurer klar, was in dieser Weltordnung ihr Auftrag sei: «Als Verteidigungsarmee müssen wir die Sicherheit der Bevölkerung sowie die Unabhängigkeit des Landes jederzeit garantieren können.» Er hielt fest: «Es ist keine Armee denkbar, die über mehr Kompetenz verfügt und sich besser in unser ziviles Leben einfügen kann, als eine Milizarmee.»

Ogi wollte Kooperation mit der Nato

Das sind neue Töne: Nur etwas mehr als zehn Jahre ist es her, dass US-Generäle mit ihren Wünschen nach weltweiter Einmischung oder weltweitem Engagement der Schweiz in Bern auf offene Ohren stiessen. Ab 1998 konzipierte Ogi seine «Armee XXI» unter dem Schlagwort «Sicherheit durch Kooperation» mit der Nato. Sie sollte eine international operierende Einsatzarmee werden, statt eine Verteidigungsarmee, die nur notfalls mobilisiert wird.

Ogi meinte zwar damals noch, ein Nato-Beitritt der Schweiz käme frühestens in zehn Jahren in Betracht. Doch «Interoperabilität» und «Standards» der Nato waren fortan bei den meisten strukturellen und rüstungstechnischen Weiterentwicklungen seiner Armee XXI die Messlatte. Welsche Zeitungen freuten sich: «Adieu Miliz, jetzt kommen die Profis.» Die NZZ titelte: «Keine Sicherheit im Alleingang.»
Ogis Generäle meinten, innert zehn Jahren sei die Schweiz ohnehin Mitglied der EU – und bald auch in der Nato. Die Bundesräte Ogi und Cotti besuchten im Frühling 1999 eine grosse Nato-Tagung in Washington. Sie unterzeichneten einen «Partnerschaftsvertrag» mit dem Nordatlantikpakt, die man als Vorstufe zum Beitritt betrachten kann. Dem Schweizer Volk wurde der Partnerschaftsvertrag nicht zur Abstimmung vorgelegt. Und die Schweizer Neutralität, die dem allem im Weg stand, wurde in Teilen des Bundeshauses bald nur noch als «Problem» behandelt.

Das Volk sagt Nein

Doch Ogis Armee-Umbauer hatten ihre Rechnung ohne die Schweizer Bevölkerung gemacht. Sie stimmte zwar der Bewaffnung von Schweizer Truppen im Ausland zum Selbstschutz 2001 noch ganz knapp zu. Doch die ETH-Studien zur Sicherheitspolitik zeigen seither, dass es in der Schweiz für weltweite Einmischung und Kooperation immer weniger Zustimmung gibt: Letztes Jahr waren nicht einmal mehr 20 Prozent der Befragten für einen Beitritt zur EU oder zur Nato (was allerdings nicht gleich zu setzen ist mit Auslandeinsätzen).

Umgekehrt verbucht die in Bundesbern bereits von Manchen abgeschriebene Neutralität neue Rekordwerte. 95 Prozent der Leute im Land erklärten in einer Umfrage, die Schweiz solle ihre Neutralität beibehalten.
Die weltweite Entwicklung scheint ihnen recht zu geben: Die zuweilen als «Friedens-Operationen» getarnten, neuen Kriege um Rohstoffe enden häufig im Chaos. Maurer meinte in Thun trocken: «Das teure Nato-Engagement in Afghanistan liess die meisten westlichen Partnerstaaten der USA kriegsmüde werden.»

Maurer folgt grossen Linien

Teuer kam für die Schweizer Steuerzahler Ogis Abenteuer mit der «Partnerschaft für den Frieden», der militärischen Zusammenarbeit der Nato mit Nicht-Nato-Mitgliedern: Satte 1,7 Milliarden Franken sollte ein futuristisches «Führungsinformationssystem (FIS)» kosten. Kleine Videokameras an den Stahlhelmen der Soldaten im Schützengraben vorne sollten den Planungsgenerälen in ihren sicheren Führungsbunkern weit hinter der Front das Gefechtsgeschehen in Echtzeit laufend auf Bildschirme übermitteln.
Als es Maurer nach seinem Amtsantritt 2009 das FIS stoppte, waren schon 700 Millionen ausgegeben. Funktionieren tun die bereits beschafften Geräte bis heute nicht recht.
Noch fragwürdiger war die unüberlegte Umstellung der bewährten Logistik auf das Nato-kompatible, aber untaugliche «Bring-System». Bisher galt es für einen defensiven Einsatz des Militärs im eigenen Land als effizient, Material und Munition selber in den Magazinen zu holen. Doch für Armeen im weltweiten Kriegseinsatz funktioniert das nicht. Für solche Armeen gilt ein «Bring-System». Zuvor solide Schweizer Versorgungsstrukturen mit Fachleuten in geordneten Zeughäusern wurden aufgelöst. Jahrelang kam es immer wieder zu einem logistischen Chaos. Erst im letzten November konnte die «Basler Zeitung» vermelden: «Die Zeughäuser der Armee funktionieren wieder.» Maurer sei es gelungen, «in einem zentralen Bereich der Armee aufzuräumen».

Für die internationale Ausrichtung der Armee wollten die Bundesräte Ogi und Schmid auch zwei weltweit einsetzbare Transportflieger beschaffen.
Auf Inlandeinsätze konzentrieren
Erst etwa 2020 würden die gröbsten Fehler der missglückten Armee XXI einigermassen aufgeräumt sein, sagte Maurer. Dabei folgt er den Leitlinien, die er in Thun dargelegt hat:

  • Die Schweizer Armee soll enger mit den Kantonen «subsidiär» zusammenarbeiten, vorab in Katastrophen- und grossen Unglücksfällen.
  • Er will die Führung der Truppen wieder mehr den Milizoffizieren anvertrauen.
  • Die Mobilmachungsorganisation, die in der Armee XXI versandet war, wird wieder aufgebaut: Ein «differenziertes Bereitschaftssystem» soll innert drei Wochen 20’000 Mann mobilisieren können – ausgerüstet und bewaffnet.
  • Landesverteidigung wird wieder die zentrale Kompetenz der Armee. Doch in Friedenszeiten sollen die Diensttage für Milizsoldaten «flexibel» massiv reduziert werden.

Diensttage flexible reduzieren

Das sind entscheidende Neuerungen: Eine Milizarmee, die sich rüstungstechnisch und in punkto Ausbildung darauf beschränkt, notfalls «subsidiär» das Land zu verteidigen, kann die Dienstzeiten in Friedenszeiten massiv herunterfahren: Nach diesem Konzept wäre eine Halbierung der insgesamt immer noch etwa 270 Tage pro Milizsoldat derzeit zur Entlastung der Wehrmänner und der Wirtschaft möglich. Jetzt soll wenigstens auf rund 200 Tage reduziert werden. Eine solche defensive Notfall-Armee braucht auch nicht mit den modernsten und teuersten Hightech-Waffen aufgerüstet zu sein.

Für eine weltweit operierende «Einsatz-Armee», wie sie die Bundesräte Schmid und Ogi anstrebten, wäre eine Aufrüstung mit modernsten Hightech-Waffen eine Voraussetzung. Doch auch eine aufgerüstete Armee der kleinen Schweiz könnte weltweite Einsätze nur im internationalen Verbund leisten, zum Beispiel als Hilfstruppe einer «Koalition der Willigen», dominiert von Grossmächten und Bündnissen. Eine Armee für solche Einsätze würde die Schweiz ungleich mehr kosten als eine Armee nur zur Verteidigung im Notfall. Und es bräuchte wahrscheinlich eine Berufsarmee. Schon nur die 250 Schweizer Soldaten, die im Kosovo infanteristisch bewaffnet zum Einsatz kamen, waren grösstenteils vom Bund angestellt und bezahlt – eine Art temporäre Söldner.

Mit keinem Wort erwähnt

Solche «Auslandeinsätze», die Ogi und Schmid noch ins Auge fassten, hat Maurer in seiner Grundsatzrede in Thun mit keinem Wort erwähnt. Das wundert wenig. Sein Konzept heisst: Möglichst nicht ins Ausland – und wenn schon, dann unbewaffnet mit einzelnen Spezialisten für Minenräumung oder Beobachtung etwa. Nicht aber in bewaffneten Kampfverbänden.

Den ersten und einzigen Schweizer Militärstützpunkt im Ausland, das «Camp Casablanca» im Kosovo hat er darum räumen lassen. Die vom Aussenministerium (EDA) angestrebte Entsendung von Schweizer Truppen auf Piratenjagd vor Ostafrika konnte er schon 2009 verhindern.

Jetzt möchte das EDA Schweizer als Instruktoren zur Bürgerkriegsarmee in Mali schicken. Doch Maurer warnt vor einer Einmischung. Entschieden ist noch nichts. Maurer hat aber schon durchgesetzt, dass höchstens «unbewaffnete» Berater infrage kommen.

Gripen und Mannschaftststärken sind Details

Die Gesamtsicht gelte es trotz tausend Details nicht zu verlieren, sagte Maurer. Und: «Ein solch wichtiges Detail ist der Gripen.» Er hat klargemacht, dass er notfalls auch ohne den neuen Flieger leben könnte.

Auch ob er für seine Armee 4,7 oder 5 Milliarden Franken im Jahr zur Verfügung haben wird, ist ein ähnliches «wichtiges Detail». Wie auch die Mannschaftsstärke der Armee (80 000 oder 100 000 Mann). Maurer verfolgt stoisch gelassen, wie sich Parlamentarier und einige Medien ob solcher «Details» ereifern.

Kein Detail ist hingegen seine Amtszeit: Jenen Funktionären und Generälen, die nach den letzten Wahlen auf einen Wechsel und auf den freisinnigen Didier Burkhalter als neuen VBS-Chef gehofft haben, hat Maurer inzwischen klar gemacht, dass er auf seinem Posten bleibt, bis die Schweizer Armee in seinem Sinne «repariert» ist. Und das kann Jahre dauern.

Derlei Durchhaltewille beeindruckt inzwischen auch die NZZ: Sie attestiert Maurer, er lasse sich trotz «garstigen politischen Windböen nicht vom eingeschlagenen Kurs abbringen».

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In den nächsten Tagen werden Adolf Ogi, Oswald Sigg, Bruno Lezzi und Josef Lang bei Infosperber auf den Artikel reagieren. Adolf Ogi war Bundesrat von 1988 bis 2000. Von 1966 bis 2000 war er Chef des Departements für Bevölkerungsschutz, Verteidigung und Sport VBS. Oswald Sigg war als Vizekanzler Sprecher des Bundesrats und davor Kommunikationschef von Adolf Ogi im VBS. Bruno Lezzi war Generalstabsoffizier und von 1984 bis 2009 Redaktor der NZZ für Sicherheits- und Militärpolitik. Er ist Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich. Josef Lang ist Mitgründer der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSOA, er war von 2003 bis 2011 Nationalrat, und gegenwärtig ist er Vizepräsident der Grünen Partei.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Artikel erschien in einer kürzeren Fassung in der TagesWoche.

Zum Infosperber-Dossier:

Fliegerabwehrkanone

Die Sicherheitspolitik der Schweiz

Wer und was bedroht die Schweiz? Welche Strategie braucht sie für ihre Sicherheit nach innen und aussen?

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2 Meinungen

  • am 27.05.2013 um 11:37 Uhr
    Permalink

    So entfacht man eine Debatte, die weiterführen könnte und nutzt die Möglichkeiten des Internets geschickter als das etablierte Medien tun. Chapeau Niklaus Ramseyer! Chapeau Infosperber!

  • am 28.05.2013 um 00:14 Uhr
    Permalink

    Chapeau für diesen Artikel! Ich schätze es enorm, dass nicht einfach einmal mehr einem vermeintlichen «SVP-Betonkopf» eins ausgewischt, sondern fundiert und fair analysiert wird. Ueli Maurer kann man kritisieren, wie man will, aber mindestens etwas beherrscht er exzellent: ohne grosses Aufheben Fehler der Vergangenheit beheben und die Armee wieder zu dem tauglich machen, was sie wirklich soll – und das sind eben keine Auslandeinsätze, sondern Verteidigung, Unterstützung der zivilen Behörden und Friedensförderung im internationalen Rahmen (wobei ich persönlich auf Letzteres verzichten könnte – Frieden wird nicht von Dritten «gemacht"…). Noch Wünsche offen an diesen erfrischend «normalen» Bundesrat? Von mir her nicht.

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