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Irans Hardliner drohen mit der Sperrung der Meerenge von Hormuz © wc

Die Sanktionen gegen den Iran sind kontraproduktiv

Erich Gysling /  Der Konflikt zwischen den Westmächten und dem Iran spitzt sich zu. Sanktionen heizen die schwelenden Differenzen nur weiter an.

Die Welt ist, wie sie ist: Es gibt fünf Staaten, die dürfen Atombomben offiziell besitzen (USA, Grossbritannien, Frankreich, Russland und China) und einen Staat, den die Weltmächte stillschweigend in ihrem «Club» tolerieren, nämlich Israel. Pakistan und Indien haben sich in diesen «Club» einschleichen dürfen, und Nordkorea wird ebenfalls akzeptiert, wenn auch grollend. Warum eigentlich? Weil die Diktatur Nordkoreas die Welt vor ein «fait accompli» stellen konnte, indem sie im Jahr 2002 erklärte: Wir haben die Bombe – und sogar noch viel gefährlichere Waffen. Was damit gemeint war, weiss bis heute niemand. Reaktion der USA: Wir werden mit euch alles diplomatisch regeln, nicht mit Krieg.

Die Irrationalität der gegenwärtigen Droh-Spirale begreifen

Dann trat Ruhe in die weltweite Atomdebatte ein, obschon Nordkorea eigentlich Anlass zu grösster Besorgnis hätte bieten müssen: Eine unberechenbare Diktatur, die immer wieder mit einer Attacke gegen Südkorea droht und die fernöstliche Region insgesamt destabilisiert. Und der man eine aggressive Spontanaktion durchaus zutrauen muss.

Dann verschoben sich die Akzente nach Iran, auf das Regime der Ayatollahs. Und man muss ziemlich weit zurückblättern, um die Irrationalität der gegenwärtigen Droh-Spirale zu begreifen: In den 80er Jahren, unmittelbar nach dem Sturz des Schah-Regimes und der Etablierung der islamischen Republik durch Ayatollah Khomeini, schien es – aus US-Perspektive – eine Gefahr zu geben, dass die Mullahs ihre Ideologie der ganzen Region überstülpen wollten. Khomeini leistete dieser Befürchtung Vorschub durch seinen Ausruf, man werde die «Revolution» bis nach al-Quds, also bis nach Jerusalem, führen.

Westmächte alimentierten acht Jahre den irakischen Krieg gegen den Iran

Folgerichtig verbündeten sich die Westmächte mit dem Gegner Khomeinis, mit Iraks Diktator Saddam Hussein und alimentierte danach während acht Jahren den irakischen Krieg gegen Iran mit Waffen. Menschenrechtsverletzungen hin oder her, das war dem Westen egal. Mindestens 500 000 Menschen starben auf beiden Seiten. Wahrscheinlich noch viel mehr.

Danach schien sich die Lage im Iran etwas zu beruhigen: Reformer innerhalb des Systems der islamischen Republik gewannen an Einfluss, konnten sich aber nie wirksam gegen die herrschende Geistlichkeit durchsetzen. Die Reformer suchten den Dialog mit den USA, liefen aber sowohl bei den Hardlinern wie Reagan oder Bush senior wie auch bei Bill Clinton ins Leere. Bei Bush junior gab’s ohnehin keine Chance mehr.

Ahmadinejad baute sich die Revolutionswächter der Pasdaran als Hausmacht auf

Und als sich für die Menschen im Iran herauskristallisierte, dass Persönlichkeiten wie Khatami zum Scheitern verurteilt waren, verloren sie das Interesse an den Reformern. Und votierten bei den Wahlen 2005 für das Amt des Staatspräsidenten zugunsten von Mahmud Ahmadinejad und gegen den angeblich liberaleren Rafsanjani, der für die Iranerinnen und Iraner allerdings vor allem als Oligarch galt und der sich und seiner Familie gewaltigen Reichtum hatte zuschanzen können. Es war ein Votum für einen angeblich sozial engagierten Populisten, gegen einen Neureichen.

Und Ahmadinejad baute sich in den folgenden Jahren konsequent eine Hausmacht auf, nämlich die Pasdaran, die so genannten Revolutionswächter. Sie brachten es in wenigen Jahren zustande, die wesentlichsten Bereiche der Wirtschaft unter die eigene Kontrolle zu bekommen – was im Westen, nicht ganz zuunrecht zur Meinung führte, das eigentliche Problem Irans seien eben diese Pasdaran. Wollte und will man den wirtschaftlichen Trigeminus-Nerv Irans treffen, dann muss man die Pasdaran mit ihren weit verzweigten Wirtschafts-Kontakten eingrenzen.

Ab 2006 tauchte das Schlagwort der Urananreicherung auf

Ahmadinejad ist sozusagen ein klassischer Populist. Er sagt all das, was seiner Meinung nach die Massen gerne hören. Er wies immer wieder darauf hin, dass Iran ein Land mit einer hoch gebildeten Bevölkerung ist und dass er gewillt sei, das Land wissenschaftlich ganz nach oben zu bringen. Der Prozentsatz von Analphabeten ist schon bei der mittleren Generation fast nicht mehr zu messen, verglichen mit Europa ist die Zahl von Hochschulabsolventen überlegen und der Frauenanteil an den Universitäten Teherans beträgt 70 Prozent.

Ab 2006 tauchte das Schlagwort der Urananreicherung auf. Der gelernte Ingenieur Ahmadinejad liebte es offenkundig. Der Mehrheit der iranischen Bevölkerung sagte es zunächst wohl nicht mehr als den Menschen im Westen. Aber dann entwickelte sich eine an sich absurde, inhaltlich nicht zusammenhängende Verquickung.

Strategie Washingtons traf sich nahtlos mit jener von Netanyahu

Die USA erkannten, dass der Iran letzten Endes der Gewinner des von der Bush Administration lancierten Kriegs gegen Irak werden könnte, d.h. dass der Iran zur eigentlichen Regionalmacht aufsteigen werde. Für die Politiker in Washington eine Horror-Vision, aber eine realistische. Die religiöse Komponente spielte und spielt dabei eine Rolle: Schiiten im Iran und Schiiten im Irak haben viele ideelle Gemeinsamkeiten und die Iraker wissen auch, dass sie wirtschaftlich vom Iran profitieren können. Da muss man sich immer wieder die Grössenordnungen vorstellen: Im Irak leben rund 25 Millionen Menschen, im Iran mehr als 75 Millionen.

Den Iran eindämmen, das wurde noch mehr als früher eine Grundidee in der US-Mittelostpolitik und dabei trafen sich die Strategien Washingtons nahtlos mit jenen des israelischen Premiers Netanyahu. Es gab Sticheleien, bisweilen Drohungen aus israelischen «Think Tanks» gegen Iran. Zurückzuführen auf die Tatsache, dass der Iran im Libanon Hizb-Allah (schiitisch) massiv unterstützte und bald auch Hamas (sunnitisch) im Gazastreifen. So entwickelten Strategen in Israel mehr und mehr die Theorie, der wahre Feind in der Region sei Iran.

Irans verhängnisvolle Symbiose von Anti-Israel-Propaganda und Atompolitik

Das nahm im Iran die Entourage von Ahmadinejad sofort auf und eines Tages tauchten in den grossen Städten des Landes Plakate mit einer Sanduhr mit anti-israelischem Inhalt auf, garniert mit der Aussage, die Zeit für den Zionismus und für die USA laufe demnächst aus. Und fast zeitgleich betonte das Teheraner Regime, dass es sich nie und nimmer sein Recht auf die Urananreicherung, d.h. auf den wissenschaftlichen Fortschritt, rauben lasse. Anti-Israel-Propaganda, deklariert als Reaktion auf israelische Drohungen, und Atompolitik gingen von diesem Moment an eine interessante, rückblickend wohl verhängnisvolle Symbiose ein.

Ahmadinejad testete die Toleranz des Westens mit dem Holocaust-Thema

Nun hatte Israel einen Anlass, auf Antisemitismus bei der iranischen Führung hinzuweisen, untermauert u.a. auch durch Äusserungen Ahmadinejads, er zweifle an der Tatsache des Holocausts. Später äusserte Ahmadinejad dann, er habe diese Debatte nur deswegen angezogen, weil der Westen den Islam mit Mohammed-Karikaturen beleidigt und sich danach auf die Meinungsfreiheit bezogen habe. Nun wolle er mal die Toleranz der anderen Seite testen, und daher habe er das Holocaust-Thema aufs Tapet gebracht.

Dass dies dümmlich war, wussten und wissen alle in ganz Iran. Aber es war nicht mehr zu reparieren. Generell kann man dazu allerdings noch anmerken: Anti-israelische Propaganda ist im Iran derzeit durchaus populär, aber einen Krieg gegen Israel zu führen, das wäre total unpopulär. Und spricht man mit Iranerinnen und Iranern, bekommt man immer diese Antwort: «Antisemitismus kennen wir nicht, wohl aber Anti-Zionismus.» Womit sie versuchen, eine Trennlinie zu ziehen.

Eine Garde von Hardliner zog die Lehren aus dem nordkoreanischen Beispiel

Nun geriet Iran, ab 2005/2006, zunehmend in die Isolation. Die Herrschenden in Teheran anderseits hörten wohl mit sehr offenen Ohren, was die Nordkoreaner verkündet hatten: Besitz der Atombombe bedeutet Schutz gegenüber Drohungen. Und zumindest eine Garde von Hardlinern innerhalb der komplizierten Machtstrukturen der islamischen Republik wird aus dem nordkoreanischen Beispiel wohl Lehren gezogen und sich gesagt haben: Besässen wir auch die Bombe, hörten wohl all die Drohungen von seiten Israels und der USA auf.

Was kann man derzeit über das iranische Atomprogramm sagen? Mehrheitlich herrscht in Teheran wohl immer noch die Meinung vor, man wolle nicht in der Direttissima auf die Bombe zusteuern. Aber mehrheitlich, so sieht es aus, möchte man doch eine Schwelle bei der Technologie erreichen, die es gestatten würde, im Notfall rasch eine Bombe konstruieren zu können. Und Notfall heisst offenkundig: Wenn Iran angegriffen würde.

Die Saudis offerieren den Sanktionsmächten im Westen zusätzliches Erdöl

Nun schaukeln sich die Westmächte und Iran gegenseitig hoch. Der Westen (EU, USA, vielleicht auch die Schweiz) wollen die iranische Erdölwirtschaft schwächen, indem sie Ölimporte aus Iran ab dem 1. Juli 2012 untersagen. Irans Hardliner drohen mit der Sperrung der Meerenge von Hormuz, durch die mehr als 30 Prozent der nah- und mittelöstlichen Erdölexporte verlaufen. China warnt, Russland warnt. Die Preise für Öl und Benzin könnten nach oben schnellen.

Und wer mahnt zur Vernunft, wer will wirklich die De-Eskalation? Da kommt eine weitere Komponente ins Spiel: Saudiarabien und die anderen Golf-Anrainer befürchten a) die regionale Dominanz Irans, b) einen schiitischen «Halbmond», d.h. eine religiös-ideologische Allianz zwischen Iran, Bahrain, den Schiiten in Libanon, den Alawiten in Syrien, den Schiiten im Irak.

Also verschweigen die Saudis das möglicherweise heraufziehende Verhängnis und offerieren, den Sanktionsmächten im Westen zusätzliches eigenes Öl. Zu grossartigen Preisen, versteht sich, denn je weniger iranisches Erdöl auf den Markt kommt, desto höher die Preise.

Es wäre verhängnisvoll, wenn sich die Schweiz den Sanktionen anschliesst

Damit lautet die Kernfrage: Sind die neuen, harten Sanktionen der EU gegen den Iran produktiv oder viel eher kontraproduktiv? Ich bin der Meinung, dass damit nichts gelöst wird und dass man so die schwelenden Differenzen nur noch mehr anheizt. Und ich fände es verhängnisvoll, wenn die Schweiz sich diesen Sanktionen anschliessen würde. Aber ich erwarte, dass sie es tun wird.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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Eine Meinung zu

  • am 30.01.2012 um 14:41 Uhr
    Permalink

    Ein guter Artikel. Warum sollte sich der Iran eigentlich davon abbringen lassen, die Bombe auch zu haben, wenn Israel sie ja auch besitzt? Auch auf Israel müsste Druck gemacht werden, der Bombe abzuschören. Für mich sind die USA für den Weltfrieden eine grössere Gefahr als der Iran. Letzterer dürfte nur zur Gefahr werden, wenn er angegiffen wird.
    http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=28863

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