Sperberauge

Tagesschau: PR für Reisebranche

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

upg /  Die EU will Kunden noch besser schützen, die eine Pauschalreise buchen. Die Schweizer Reisebranche will nichts davon wissen.

Als Schwerpunktbeitrag «informierte» die Tagesschau am Dienstag, dass die EU die Rechte der Konsumenten bei Pauschalreisen noch besser als bereits bisher schützen will. Der fast 4-minütige Beitrag mutierte aber zu einer PR-Veranstaltung der Schweizer Reisebranche:

  • Die Tagesschau verheimlichte dem Schweizer Publikum, welche konkreten Rechte die EU-Einwohner künftig erhalten sollen! Es kamen nur schwammige Zitate der EU-Justizkommissarin Viviane Reding, bei denen von «neuen Regeln», «besserem Schutz bei Paketreisen» oder «diversen Garantien» die Rede war, falls eine Fluggesellschaft pleite geht.
  • Die Tagesschau machte die Behauptung der Reisebranche, die Schweizer bräuchten keinen besseren Schutz, zu ihrer eigenen Aussage: «Die Branche hat frühzeitig dafür gesorgt, dass viele Streitigkeiten nicht vor Gericht landen.» Punkt. Das Schweizer Gesetz sei zwar zwanzig Jahre alt, doch es genüge. Auf ihrer Webseite behauptet die Tagesschau sogar, «die Schweizer Reisebranche schützt ihre Kunden besser» (als die EU).
  • Die Tagesschau überliess den Rest des Beitrags dem von der Reisebranche bezahlten Reise-Ombudsmann Beat Dannenberger, ohne ihm auch nur eine einzige kritische Frage zu stellen. In der Schweiz würden sich die meisten Reklamierenden mit dem Reiseanbieter friedlich einigen, lobte Dannenberger. Kein Wort davon, dass sich ein Gang vor Gericht für Schweizer wegen des mangelnden Rechtsschutzes und der Kosten meistens nicht lohnt und die Betroffenen sich deshalb mit wenig zufrieden geben müssen.
  • Die Tagesschau liess weder jemanden vom Konsumentenschutz noch einen unabhängigen, auf Konsumentenrecht spezialisierten Professor zu Wort kommen.
  • Die Tagesschau sagte dem Publikum selbstverständlich auch nicht, dass die Reisebranche ihren Ombudsmanns in erster Linie deshalb zahlt, damit er als Argument dienen kann, den Konsumentenschutz gesetzlich nicht zu verbessern.


Infosperber hat die Tagesschau um eine Stellungnahme gebeten. Sobald sie eintrifft, werden wir sie an dieser Stelle veröffentlichen.

STELLUNGNAHME DER TAGESSCHAU SRF VOM 10. JULI, 18.19 UHR

Die Tagesschau hat die Neuerungen des EU-Gesetzespakets der Verständlichkeit wegen sehr summarisch zusammengefasst, allerdings auch mit einem Beispiel konkretisiert, dass nämlich in Zukunft dafür gesorgt sein soll, dass Touristen auch bei einer Pleite der Airline gratis nach Hause kommen.

Die Tagesschau hat nicht gesagt, dass das Schweizer Gesetz genüge; wir haben nur dargestellt, dass es offenbar wenig Handlungsbedarf gibt, das Gesetz anzupassen. Das drückt sich auch an der politischen Front aus; seit das Bundesgesetz über Pauschalreisen 1994 in Kraft trat, gab es einen einzigen Vorstoss dazu im Parlament, nämlich 2001 von der damaligen Nationalrätin und Konsumentenschützerin Simonetta Sommaruga. Sie wollte unter anderem, dass der Begriff Pauschalreisen auch für Baukastenreisen Geltung haben sollte. Das hat der Bundesrat in seiner Antwort ausdrücklich bejaht und deshalb eine Revision des Gesetzes als überflüssig erachtet. Genau diese Baukastenreisen sind im EU-Vorschlag ein Hauptänderungspunkt, weil sie vor Gericht offenbar Probleme bereiten.

Die Tagesschau wollte mit dem Beitrag die aktuelle Situation in der Schweiz aufzeigen: dass also zur Zeit keine rechtliche Unsicherheit besteht (die Schweizer Gerichte urteilen im Falle von sog. Baukastenreisen nach dem Bundesgesetz über Pauschalreisen), und dass der Schweizer Kunde, wenn er sich mit dem Veranstalter nicht direkt einigen kann, die Möglichkeit hat, kostenlos und unbürokratisch an den Ombudsmann zu gelangen. Das ist der entscheidende Unterschied zum EU-Raum, in dem jegliche Ansprüche vor Gericht erstritten werden müssen.

Das System von Ombudsmännern (bzw. –Frauen) hat sich in der Schweiz breit etabliert und hilft, nicht nur in der Reisebranche, kleinere Streitigkeiten unbürokratisch zu erledigen. Die Ombudsstellen sind zu strikter Neutralität verpflichtet. So heisst es auch auf der Homepage des Ombudsmannes der Reisebranche:
«Der Ombudsman ist absoluter Neutralität verpflichtet. Er ist weder Interessenvertreter jener Partei, die ihn anruft, noch der Gegenpartei. Entsprechend hat er weder von den Parteien noch von aussenstehenden Personen, Organen oder Institutionen irgendwelche Weisungen entgegenzunehmen.»
Dass der Ombudsmann von der Reisebranche bezahlt wird, heisst nicht, dass er automatisch zu Gunsten der Reisebranche urteilt. So haben heute auch sehr viele Kantone und Städte Ombudsstellen, die selbstverständlich auch von diesen Städten und Kantonen bezahlt werden; trotzdem erwartet man von ihnen ein hohes Mass an Unabhängigkeit.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor war von 1985-1995 Leiter des Kassensturz.

Zum Infosperber-Dossier:

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Eine Meinung zu

  • am 10.07.2013 um 12:54 Uhr
    Permalink

    … halt eben, wie es überall in der Schweiz läuft, in nahezu jeder Branche. Das ist der wahre Grund, warum die Schweiz nicht der EU beitritt: all diese schummrigen Pfründe könnten nicht mehr so locker bewirtschaftet werden. Dort kommt der eigentliche Widerstand her: ureigennnützige Partikularinteressen. Das Gegenteil wäre zwar zum Vorteil der Konsumenten, aber denen sagt man das natürlich nicht, die «Tagesschau» schon gar nicht. Die fragt lieber die einschlägigen Interessenverbände und -vertreter und gibt 1:1 brav weiter, was die so den langen Tag erzählen.

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