Goetzsche_Toedliche_Medizin_Cover

Ausschnitt aus dem Buch-Cover © © Riva Verlag München

Brisante Enthüllungen aus der Pharmaindustrie

Jürg Barben /  Peter Gøtzsche vergleicht die Machenschaften der Pharmaindustrie mit denen der Tabakindustrie. Und er belegt dies mit Dokumenten.

Red. Infosperber hat das brisante Buch von Professor Peter Gøtzsche bereits im November 2014 vorgestellt. Wir veröffentlichen hier die Sicht des praktizierenden Facharztes für Kinder und Jugendliche Jürg Barben. Seine Besprechung war in der Ärztezeitung erschienen.
Erst bei wenigen Ärztinnen und Ärzten bekannt

Es gibt Bücher, die einige lieber versteckt haben möchten, denn sie enthalten «intellektuellen Sprengstoff» und könnten ungeliebte heikle Diskussionen entfachen. Zur letzteren Kategorie gehört sicher Peter Gøtzsches Buch, das bisher nur wenigen Ärzten bekannt ist. Der provokative Buchtitel schreckt auf, verspricht jedoch eine spannende Lektüre mit vielen neuen Einsichten. Der Autor legt im Buch den Finger unverblühmt auf die heiklen Punkte in unserem Gesundheitswesen und zeigt auf, was die Pharmaindustrie alles unternimmt, um ihre Gewinne zu sichern. Neben der Manipulation von Studien und Unterschlagung von Studienergebnissen beschreibt der Autor auch die Aktivitäten und Marketing-Tricks der Pharmakonzerne, die weit über das Legale hinausgehen und die Ärzteschaft sowie zunehmend auch Patientenorganisationen im Visier haben.
Vergleich mit der Tabakindustrie
Dabei vergleicht Gøtzsche die Machenschaften der Pharmaindustrie mit der Tabakindustrie, was aufhorchen lässt, und belegt diese Behauptung mit zahlreichen Dokumenten. Natürlich sehr zum Missfallen der Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz (VIPS), die das Buch bereits als «unqualifizierten, polemischen Rundumschlag» und «übles Machwerk» abgetan hat und eine inhaltliche Diskussion genauso scheut wie der Teufel das Weihwasser.
——————————————–
Über Peter Gøtzsche

Der Autor ist ein profunder Kenner der Materie. Gøtzsche ist Facharzt für Innere Medizin, hat viele Jahre für Pharmaunternehmen klinische Studien durchgeführt und sich dort um die Zulassung von Medikamenten gekümmert, war später Mitbegründer der «Cochrane Kollaboration» und ist heute renommierter Professor für Forschungsdesign und Forschungsanalyse an der Universität Kopenhagen sowie Leiter des «Nordic Cochrane Centre».
——————————————–
Insider kritisieren
Peter Gøtzsche ist nicht der erste, der die Pharmaindustrie mit der Tabakindustrie vergleicht. In seinem Buch zitiert er auch einen ehemaligen Vizepräsidenten von Pfizer mit den Worten:

  • «Die Ähnlichkeit zwischen dieser Industrie und dem organisierten Verbrechen ist beängstigend: Die Mafia verdient unverschämt viel Geld, diese Industrie ebenfalls. Die Nebenwirkungen des organisierten Verbrechens sind Mord und Tote, und das sind auch die Nebenwirkungen dieser Industrie. Die Mafia besticht Politiker und andere Leute, die Pharmakonzerne tun das ebenfalls.»

Unbestritten ist, dass die Pharmaindustrie sehr häufig mit dem Gesetz in Konflikt gerät und wiederholt zu Strafzahlungen in Milliardenhöhe verurteilt wird. Und trotzdem begeht sie immer wieder die gleichen Straftaten. Dabei geht es ganz profan um sehr viel Geld – vor allem auf Kosten der Gesundheit der Menschen. Im Vorwort schreibt Richard Smith, ehemaliger Herausgeber des «British Medical Journal» (BMJ) prägnant:

  • «Die Industrie tötet viele Menschen, viel mehr als das organisierte Verbrechen. Hunderttausende sterben jedes Jahr an verschreibungspflichtigen Medikamenten. Viele halten das für unvermeidlich, weil diese Arztneimittel gegen Krankheiten eingesetzt werden, die ihrerseits tödlich sind. Aber ein Gegenargument lautet: Der Nutzen der Medikamente wird übertrieben, und die Belege für ihre Wirksamkeit werden häufig gefälscht. Dieses ‹Verbrechen› kann man der Industrie getrost vorwerfen.»

So werden zum Beispiel Nebenwirkungen gezielt verschwiegen, wie beim Vioxx-Skandal von MSD vor 10 Jahren, als der COX-2-Hemmer Rofecoxib (Vioxx) Tausenden von Arthritis-Patienten den Tod gebracht hat.

Schonungslose Darstellung

Peter Gøtzsche beschreibt schonungslos die Mechanismen und Manipulationen der Pharmaindustrie in der Zusammenarbeit mit Fachzeitschriften, Arzneimittelbehörden, Ärzteschaft und Patientenorganisationen. Sein Buch gesellt sich zu Artikeln und Publikationen namhafter Ärzte, die in den letzten Jahren öffentlich Kritik an «Big Pharma» geäussert haben: «The Truth about the drug companies – how they deceive us and what to do about it» von Marcia Angell und «On the take – how medicine’s complicity with big business can endanger your health» von Jerome Kassirer, beides ehemalige Herausgeber der renommierten Fachzeitschrift «The New England Journal of Medicine» (NEJM) sowie «The trouble with medical journals» von Richard Smith, ehemaliger Herausgeber des BMJ.

Besondere Kritik übt Gøtzsche an der Tatsache, dass Pharmafirmen selber entscheiden dürfen, wie sie ein Medikament testen wollen, wie sie Daten auswerten und was sie davon an die offizielle Zulassungsbehörden oder der Öffentlichkeit weitergeben. Die Rohdaten werden dabei als unverrückbares Geschäftsgeheimnis gehütet. Die Fachzeitschriften ihrerseits publizieren teils unvollständige oder gar fehlerhafte Studien, damit Ihnen die Pharmaindustrie für viel Geld Sonderdrucke abkauft. So meinte Richard Horten, aktueller Herausgeber vom «The Lancet», dass

  • «Fachzeitschriften sich zu Informationswaschanlagen für die Pharmaindustrie entwickelt haben.»

Die Sonderdrucke werden dann an die Ärzte verteilt, um sie über die Wirkung und Risiken von Medikamenten zu täuschen.
Werbung vs. Korruption
Im Bereiche der verschreibungspflichtigen Medikamente ist die Pharmaindustrie nach wie vor auf die Zusammenarbeit mit den Ärzten angewiesen. Dazu wurden über Jahrzehnte ein feines Netz und Strukturen aufgebaut, die Ärzte dazu verleiten sollen, diese Medikamente auch zu verschreiben. Oder haben Sie als Arzt oder Ärztin noch nie ein Werbegeschenk der Pharmaindustrie angeboten bekommen? Eine Einladung für ein Fachreferat mit anschliessendem Abendessen? Oder eine gesponserte Reise zu einem Fachkongress? Oder einfach nur Medikamentenmuster zum ausprobieren oder Rabatte bei Bezug von grösseren Mengen? Oder eine Einladung zu einer post-marketing-Studie, deren Aufwand selbstverständlich vergütet wird?
Natürlich stellt sich da die Frage: Wo hört ‹einfache› Werbung auf und wo beginnt die Korruption? Beim Verschenken von Kugelschreibern und post-it-Zettel, die den Alltag des Arztes erleichtern sollen? Oder erst beim «Kickback», der teilweisen Rückerstattung der bezahlten Gelder bei Medikamenten durch die Pharmaindustrie? Der Autor beschreibt diese Problematik derart detailliert, sodass sich anschliessend jeder Leser fragen muss: Wem ist der Arzt verpflichtet? Dem Patienten oder der Industrie? Geht es wirklich um das Wohl des Menschen oder um mehr Umsatz?
Peter Gøtzsche zeigt auch sehr zutreffend die zunehmenden Manipulationen der Patientenorganisationen durch die Pharmaindustrie auf: Offenbar sind die dort investierten Gelder heute viel effizienter angelegt als bei den Ärzten. Damit wird Druck von Patienten und deren Organisationen auf die Ärzte ausgeübt, wie wir es derzeit laufend bei der Einführung von Orphan Drugs bei seltenen Erkrankungen erleben.
Lösungsvorschläge

Das Buch handelt nicht nur von Missständen und Problemen, sondern Gøtzsche schlägt auch Lösungen vor, die eine breite öffentliche Diskussion verdienen.
Neben einem (längst fälligen)

  • Verbot für Direktwerbung von Medikamenten beim Konsumenten (in Presse, TV, Internet usw.)

fordert Gøtzsche auch eine

  • konsequente Offenlegung aller finanziellen Verbindungen zwischen der Pharmaindustrie und Ärzten, Fach- und Berufsverbänden, Patientengruppen sowie Fachzeitschriften.

Ausserdem sollen

  • alle Prüfpläne und Studiendaten, die für die Zulassung von Medikamenten notwendig sind, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und nicht mehr als Geschäftsgeheimnis der Industrie gehütet werden dürfen.

Zudem fordert der Autor einen

  • Systemwechsel bei der Medikamentenprüfung: Medikamentenstudien sollen durch unabhängige Forschergruppen und staatliche Institutionen durchgeführt werden.

Das erfordert eine Stärkung der Unabhängigkeit der Institutionen, die Medikamente zulassen und überwachen. Da die grossen Gewinne in der Pharmaindustrie durch die Gelder der Allgemeinheit (u.a. mit Steuern und Krankenkassenbeiträgen) bezahlt werden, hat diese auch ein Anrecht zu erfahren, ob die Medikamente wirklich nützen oder die Gesundheit gefährden.

Fazit

Zusammenfassend handelt es sich um ein sehr lesenswertes und aufrüttelndes Buch über die Missstände im Gesundheitswesen. Es richtet sich nicht gegen den Fortschritt bzw. Erforschung und Entwicklung von unerlässlichen Medikamenten, sondern zeigt Fehlanreize und zunehmende Korruption im Gesundheitswesen auf. Ein Buch, das zum Nachdenken anregt und beschreibt, wie der zunehmend von Geldgier geprägte Gesundheitsmarkt die bisher bewährte ärztliche Heilkunst bedroht. Ein unerlässliches Buch für jede Ärztin und jeden Arzt, das im letzten Jahr auch Gewinner des British Medical Association’s Annual Book Award wurde.
——————————————–
Lesen Sie:


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Facharzt für Kinder und Jugendliche, spezialisiert auf Pneumologie, in Speicher AR.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

11 Meinungen

  • am 9.07.2016 um 12:05 Uhr
    Permalink

    Endlich wieder ein Beitrag, der dieses brisante Thema publik macht.

    Viele Mensch können oft nicht mehr vernünftig handeln, wenn sie durch die Angst getrieben zu unsinnigem Verhalten verleitet werden. Das war wohl in der ganzen Menschheitsgeschichte schon so.

    Gibt man auf Youtube «pharmaindustrie macht aus gesunden menschen lukrative patienten» ein, lassen sich unzählige Beiträge finden, welche dieses Thema umfassend beleuchten. Sogar bis hin zur Zusammenarbeit zwischen Zulassungsbehörden, WHO und Pharma-Lobby.

    Wir erinnern uns: Der Tamilflu Skandal ist keine 2 Jahre her. Und welches waren die Konsequenzen?

  • am 9.07.2016 um 14:59 Uhr
    Permalink

    In der CH hat man soeben diese mengenausweitende verordnungsbeeinflussende Rabatt- & Kickbackproblematik als Quersubvention der Wirtschaftlichkeit unserer Ärzte, Apotheker und Krankenkassen unter dem Deckmantel angeblicher Qualitätsförderung von Grossrabatten im HMG & KVG durch das Parlament legalisiert!

    Es existiert jedoch keine systematische Förderung und Kontrolle der individuellen Indikationsqualität sowie des Behandlungserfolges, welches eben die erwünschte Kosteneffizienz erzielen würde. EQUAM, das angebliche Qualitätsprogramm der Managed Care Netzwerke zur Rechtfertigung der Grossrabatte von bis zu 70% hat nicht einmal ein solches Modul im Angebot. So dient eher alles zur gezielten Verschleierung und Rechtfertigung dieser erwünschten Quersubventionen auf Kosten der Versicherten und Patienten der OKP.

    2014 hat Pharma mind. 1.5 Mia Fr an Rabatten / Kickbacks geleistet. Grossrabatte von 90% in Kliniken oder 900 Mio. 600 Mio. gegenüber Hausärzten, Spezialisten, Apothekern, Kassen (durchschnittlich 20% bei Originalpräparaten, 30% bei Generika).

    All dies ist als korrupte Verordnungsbeeinflussung zu betrachten, ausser die Prämiengelder werden tatsächlich vollumfänglich und nachweislich transparent für die Erhebung des Langzeitnutzens von Medikamenten im breiten Klinik- & Praxisalltag (Rabattanteil von max. 49%) verwendet sowie ein Fonds für die Finanzierung der teuersten Versicherungsrisiken (seltene Erkrankungen etc) mit dem Anteil der KK’s (mind. 51%) errichtet.

  • am 9.07.2016 um 16:16 Uhr
    Permalink

    Wie definiert man Korruption in einem Land, in dem Opfer keine Rechte haben ?

  • am 9.07.2016 um 18:23 Uhr
    Permalink

    @ Schwannberger: Pathokratie.

  • am 9.07.2016 um 18:30 Uhr
    Permalink

    @Stephan Siegfried – Dann sind wir uns einig – Autogenozid.

  • am 9.07.2016 um 18:57 Uhr
    Permalink

    @ Josef Schwannberger: in der Tat, einig. Die Frage ist dann nur: wie stoppt man diesen Wahnsinn?

  • am 9.07.2016 um 19:48 Uhr
    Permalink

    Das nicht nur Pharmakonzerne sich so verhalten, ist zum Teil Systemimmanent. In einer Gesellschaft wo Geld, Erfolg, Titel, Ansehen und Besitz als oberste Werte Diktat sind, und erst danach die Würde des Menschen kommt, wird das Buhlen, das ungesunde Konkurrenzieren, zum Zwang. In unserer Gesellschaft spiegelt sich mangels der nötigen gesetzlichen Leitplanken das Raubtierverhalten niederer Kreaturen, welche nur überleben können, wenn sie dabei andere vernichten. Obwohl der Mensch alles notwendige zur Verfügung hat, nicht auf dieses Niveau ab zu sinken, so tut er dies unter gewissen Umständen doch. Er kann ja dann am Sonntag in die Kirche gehen, und hinterher so tun als wäre nichts gewesen. Wenn wir keine Justiz haben welche Gute Werte auch bei milliardenschweren Grosskonzernen durchsetzen kann, so ist der Konsument gefragt, auf dass er auf die Produkte dieser Konzerne verzichtet. Wenn der Konsument sich weigert, rigoros und diszipliniert, kann etwas ausgerichtet werden.

  • am 10.07.2016 um 12:06 Uhr
    Permalink

    Seit über 4 Jahrzehnten im Spezialbereich der Zwangspsychiatrie tätig, für welche die Pharmariesen ihre heimtückischen Nervengifte beisteuern, habe ich schon immer auf deren tödliche Wirkungen hingewiesen, zuletzt in meiner Fundamentalkritik der Zwangspsychiatrie: http://edmund.ch/more/1/FundamentalkritikZwangspsychiatrie.pdf

  • am 10.07.2016 um 13:52 Uhr
    Permalink

    @ Stephan Siegfried – Bleiben Sie gesund und seien Sie ein guter Vater, falls Sie schon einer sind habe ich kürzlich jemandem empfohlen.

  • am 11.07.2016 um 10:02 Uhr
    Permalink

    "Das Brexit-Manöver war nicht das erste seiner Art in der EU…» – das gehört wohl nicht in diesen Artikel. Bitte korrigieren.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...