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Maillard: «Vergütungen von über einer halben Million im öffentlichen Dienst sind unakzeptabel» © srf

Jeder sechste Prämienfranken geht an Spitalärzte

Urs P. Gasche /  Würde kein Spitalarzt über eine halbe Million verdienen, wäre das Gesundheitswesen eine halbe Milliarde Franken günstiger.

Im Durchschnitt verdienen Chefärzte in Spitälern mehr als doppelt so viel wie ein Bundesrat oder wie ein Geschäftsleitungsmitglied eines Unternehmens mit 500 bis 5000 Beschäftigten. Diese Zahlen hat Urs Klingler aufgrund von Daten des Bundesamts für Gesundheit BAG berechnet. Klingler ist auf Lohnsysteme spezialisiert und engagiert sich für marktgerechte, vergleichbare und transparente Vergütungssysteme*.
Die Mehrheit der rund 1000 erfassten Chefärzte verdiente im Jahr 2015 zwischen 275’000 und 1,5 Millionen Franken. Klingler präzisiert jedoch: «Fast 250 Chef- oder Belegärzte aus den untersuchten Spitälern – also fast jeder vierte – verdient mehr als 1,5 Millionen. Es geht hier bis 2,5 Millionen.»

Die allermeisten Chefärzte verdienen mehr als ein Bundesrat und mehr als Geschäftsleitungsmitglieder börsenkotierter Unternehmen.

«Weil Spitalärzte weitgehend von obligatorischen Prämien und von Steuergeldern finanziert werden, sollten deren Vergütungen von den Tarifen getrennt, neu ausgestaltet und offengelegt werden», erklärt Klingler gegenüber Infosperber.

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Der hier erfasste Bruttoverdienst:


Nicht erfasste Zusatzeinnahmen:
Bei den Bruttolohn-Zahlen nicht berücksichtigt sind zusätzliche Einkommen der Ärzte

  • dank spitalexternen Behandlungen von Privatpatienten;
  • als Belegarzt in Privatspitälern sowie
  • Einkommen aus Aktienbeteiligungen an privaten Herz-, Augen-, Schmerz- oder Krebszentren.

Ein Chefarzt in einem Spital kann dort 600’000 Franken verdienen, als «Nebenbeschäftigung» jedoch zusätzlich in einem Privatspital operieren und Aktionär eines spezialisierten Zentrums sein. Die von Klingler ausgewerteten Zahlen erfassen in einem solchen Fall lediglich die 600’000 Franken der Einnahmen im Spital, das ihn angestellt hat.

Externe Einnahmen (rechts) sind bei den Verdienstzahlen in diesem Artikel nicht berücksichtigt (Grafik: SRF Rundschau; Grössere Auflösung hier)

Jeder sechste Prämienfranken für die Spitalärzte
Analyst Klingler zeigt sich nicht überrascht, dass es unter den über 20’000 erfassten Spitalärzten erhebliche Verdienstunterschiede gibt. Am meisten verdienen Radiologen, Urologen, Kardiologen, Gastroenterologen und Intensivmediziner.

Klingler stösst sich an der heute üblichen Art der Abgeltungen: Ärztinnen und Ärzte können ihre Einkommen selber erhöhen, indem sie ihre Patientinnen und Patienten durch viele medizinische Leistungen schleusen, sie intensiv behandeln und im Zweifelsfall operieren. Sie arbeiten kommissionsbasiert und müssen auch keine Garantieleistungen erbringen.

Die Lohnanalyse umfasst 174 Spitäler, die im Jahr 2015 insgesamt 4,6 Milliarden Franken für ihre Ärzte und Ärztinnen ausgaben. Das entspricht 16,4 Prozent der Grundversicherungs-Prämien. Würde kein Spitalarzt über eine halbe Million Franken verdienen, käme das Gesundheitswesen eine halbe Milliarde Franken günstiger zu stehen. Das hat Klingler ausgerechnet.

Anteile am gesamten Lohnkuchen

Unter den 20’679 erfassten Ärzten und Ärztinnen (auf Vollzeitstellen umgerechnet) waren rund
6 Prozent Chefärzte,
11 Prozent leitende Ärzte,
25 Prozent Oberärzte,
17 Prozent Fachärzte und
41 Prozent Assistenzärzte.
Zieht man das Pflege- und Administrativpersonal mit ein, ergab sich eine Einkommensschere zwischen dem tiefsten und dem höchsten Verdienst von 1:50.

Im Folgenden die Aufteilung der Beschäftigten (in Vollzeitstellen umgerechnet) und deren Anteil am Lohnkuchen:


Lesehilfe: In Vollstellen umgerechnet machen Ärzte 14,7 Prozent des Spitalpersonals aus. Sie beanspruchen 28 Prozent der Lohnsumme. Grössere Auflösung hier.
In Zahlen:


Grössere Auflösung hier.

Von Transparenz keine Spur

Um zu einigermassen zuverlässigen Zahlen zu kommen, brauchte Klingler seine ganze Erfahrung als Lohnanalyst. Denn die Statistiken des BAG sind bezüglich der Belegärzte sehr lückenhaft, machen Mehrfachanstellungen nicht transparent und unterscheiden nicht zwischen fixen und variablen Verdienstanteilen.

Trotzdem ist es Klingler gelungen, grosse Verdienstunterschiede aufzudecken. Unter den zwanzig Spitälern mit dem grössten Personalaufwand konnten Ärztinnen und Ärzte im Jahr 2015 in folgenden Spitälern am meisten verdienen:
Klinik im Park Zürich, Hirslanden;
Schulthess Klinik Zürich;
Solothurner Spitäler AG Solothurn und Olten;
Spitäler Schaffhausen;
St. Claraspital Basel.

Sozusagen im «zweiten Rang» waren folgende Spitäler mit immer noch stark überdurchschnittlich hohen Arzt-Löhnen:
Felix Platter Spital Basel;
HFR – Hôpitaux fribourgeois;
Hirslanden Klinik Aarau;
Spital Männedorf ZH;
Universitätsspital Basel.

Im «dritten Rang» mit immer noch überdurchschnittlichen Arztlöhnen figurieren:
CHUV – Centre Hospitalier Universitaire Vaudois;
Clienia Littenheid Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Thurgau;
Forel Klinik Ellikon ZH;
Kantonsspital Glarus;
Spital Netz Bern;
Stadtspital Triemli;
Psychiatrie Baselland;
Universitätsspital Zürich.

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Finanzielle Anreize mit schlechtem Einfluss
Das stark unterschiedliche Niveau der Spitalarzt-Einkommen lässt sich weder durch das Stadt-Land-Gefälle noch durch die Spezialisierungen der Spitäler erklären. Klingler vermutet, dass die unterschiedlichen, im jeweiligen Spital angewandten Vergütungssysteme einen grossen Einfluss haben.
Spitalärzte beziehen ein «Grundsalär». Dazu kommen verschiedenste Zulagen und Nebeneinkünfte. Die Höhe von Honoraren kann davon abhängen, ob ein Arzt Grund- oder Privatversicherte behandelt, oder ob er ambulant oder stationär tätig ist: «Ein Arzt im stationären Bereich der Psychiatrie kann keine Honorare ergattern, während der Psychiater im ambulanten Bereich eine gute Quelle für Mehreinnahmen besitzt und auch neue Patienten ‹akquirieren› kann.» Klingler warnt: «Die Möglichkeit des Arztes, durch die Wahl des jeweiligen Behandlungsansatzes die eigene Vergütung zu optimieren und zu erhöhen, beinhaltet die Gefahr von Mengenausweitungen und zur Erbringung von medizinisch nur teilweise notwendigen Leistungen.»
Radikal neues Vergütungssystem

Aus diesen Gründen stellt Klingler in seinem Report für Spitalärzte ein neues «Schweizer Vergütungsmodell» vor. Die Vergütung von Ärzten soll künftig unabhängig von ausgehandelten Einzeltarifen und unabhängig von der Grund- oder Privatversicherung der PatientInnen sein.
Alter und Dienstalter sollen keine Rolle mehr spielen, sondern nur noch die effektive Funktion. 70 bis 80 Prozent des Lohnes oder der Honorare sollen von der Funktion abhängen und bei einem Funktionswechsel neu bestimmt werden.
Nebenleistungen und variable Vergütungen sollen maximal 20 bis 30 Prozent der Gesamteinkünfte ausmachen und nicht von der Menge erbrachter Leistungen, sondern von deren Qualität und vom kostenbewussten Handeln abhängen. Spesen werden pauschalisiert und spezielle Einkäufe in Pensionskassen für Spitzenverdiener abgeschafft. Nebenbeschäftigungen sollen bewilligungspflichtige Ausnahmen bleiben.


Grössere Auflösung hier.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

*Urs Klingler ist CEO und Managing Partner der «klingler consultants ag» in Zürich. Über das Gebiet «Compensation & Benefits» hat er einen Lehrgang in deutscher und französischer Sprache herausgegeben.

Zum Infosperber-Dossier:

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6 Meinungen

  • am 22.02.2018 um 12:50 Uhr
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    Der Vorschlag einer Entlöhnung der Kaderärzte nach Funktion und nicht nach effektiver Arbeit mutet seltsam an. (Der faule, ungeschickte Chef bekommt gleich viel wie sein fleissiger, qualifizierter Kollege?). Besser wäre, man würde endlich ein System zur Qualitätskontrolle einführen. Es sollte ein spezialitätenspezifisches System eingeführt werden, da Kriterien in verschiedenen Fachrichtungen sehr verschieden sein können. Das ist aufwändig und kostenintensiv, da auch, oder vor allem, die Beurteilung durch den Patienten einfliessen sollte. Die bisherigen Kriterien (Rehospitalisationen, Todesfälle, Infektionen u.a.) sind völlig ungenügend, da zu wenig spezifisch).
    Wäre eine solche Qualitätskontrolle vorhanden, könnten die Kriterien «wirksam, zweckmässig, wirtschaftlich» effektiv angewendet werden. Der Arzt mit guter Qualifikation wird dann immer noch mehr verdienen, als viele für angemessen halten: aber ich lasse mich lieber von einem guten, vielverdienenden Arzt operieren als von einem schlechten, der weniger verdient. Oder mit anderen Worten: Nicht das Einkommen des Arztes entscheidet, sondern die Qualität der Leistung. Und Leistung zieht Menge an. Deshalb ist auch die «Mengenausweitung» ein denkbar schlechtes Kriterium. Und nebenbei: Menge (= Erfahrung) entscheidet eben auch über Qualität. Eine Qualität, die wir im Moment nur in sehr begrenztem Umfang messen. Weil sich niemand dafür verantwortlich fühlt.

  • am 22.02.2018 um 14:59 Uhr
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    Der Grenznutzen von Einkommen über einer halben Million ist minim oder tendiert gar gegen Null. Mit anderen Worten, die Lebensfreude wird nicht wirklich erhöht, ob man Fr. 500’000.- oder Fr. 510’000.- verdient. Die Zahl wir eher zu einem Prestigeobjet: Ich bin x Franken mehr wert als der andere. Klemmen wir dieses Spiel ab mit einem fixen Lohndeckel. Gute Ärzte, die aus Berufung wirken, werden wir trotzdem finden. PS: Ich vermute, dass in der Geldfabrik der Privatklinik Hirslanden, die Bezüge nochmals um eine unanständige Stufe höher sind. Martin A. Liechti, Maur

  • am 22.02.2018 um 15:18 Uhr
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    Wieso Hr. Klingler ausgerechnet die Psychiater als Beispiel nimmt, bleibt ein Rätsel. Gerade in der Psychiatrie sind die Einkommen tief, v.a. in der ambulanten Psychiatrie. Psychiater verdienen am zweitwenigsten aller Fachärzte nur die Kinderpsychiater verdienen noch weniger. Dazu kommt, dass in der ambulanten Psychiatrie ein strikter Zeittarif gilt und keine prviaten Tarife abgerechnet werden können. Ein beliebige Mengenausweitung ist auch nicht möglich, weil nach 8 psychiatrisch-psychotherapeutischer Sitzungen im Tag kurz um die Erschöfpfung eintritt. Also die erwähnten Mehreinnahmen würde ich gerne erklärt haben ebenso die Patientaquisation, die in allen ambulanten Bereichen identisch gilt nicht nur in der Psychiatrie.

    Hans Kurt, Past-Presidetn Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapi

  • am 22.02.2018 um 16:16 Uhr
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    Kein Wunder, dass sich die Mehrheit der Ärzte spezialisiert und Hausärzte immer seltener werden. Vielleicht braucht es einen neuen «Eid des Hippokrates» bzw. der «Genfer Konvention» mit Leitlinien über ethische Lohnansprüche der Ärzte. Die Aussage «Würde kein Spitalarzt über eine halbe Million verdienen, wäre das Gesundheitswesen eine halbe Milliarde Franken günstiger» ergänze ich mit meiner Aussage «Wäre zusätzlich die Pharma-Industrie in ihrer Preispolitik anständiger, wäre wohl das Kostenproblem im Gesundheitswesen bald einmal gelöst». Dann müssten Krankenkassenprämien nicht mehr steigen oder könnten sogar reduzieret werden. Pharma-Unternehmen müssten m.E. ihre Firmen- und Preispolitik primär auf ihren Grundzweck, also auf die Gesundheit der Bevölkerung, und nicht auf die Gewinnmaximierung bzw. auf die Dividenden der Aktionäre ausrichten. Vielleicht wären dann auch mehr Einzelpersonen bereit, mit Vernunft und einem höheren Selbstbehalt zu einem gesünderen Gesundheitssystem beizutragen. Ich weiss, das klingt naiv, doch ich wollte es einfach mal gesagt haben.

  • am 23.02.2018 um 09:43 Uhr
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    Die Frage ist also, wer startet eine Initiative, um diese Missstände zu ändern? die Patienten-Ombudsstelle oder so?

  • am 23.02.2018 um 10:16 Uhr
    Permalink

    @ Helena Neuhaus: Ich bin ganz bei Ihnen. Ich glaube auch, dass es ein neuer Eid des Hippokrates braucht. Spitzenlöhne über CHF 500’000- 1Mio müssen auf jeden Fall hinterfragt werden. Es stimmt doch schon, dass jemand, der über CHF 500’000.- verdient mit 1Mio nicht besser lebt. Bedenkt man dann noch, dass aus Kostengründen die Schwächsten (zB. Hilfspersonal) auf die Strasse gestellt werden, dann wird es doch sehr bedenklich. Hilfskräfte sind oft wichtige Bezugspersonen in zwischenmenschlichen belangen, für die die Fachkräfte keine Zeit mehr haben (da wären wir wieder einmal bei Hippokrates). Dass die Pharmabranche dabei mitmachen müssen ist wohl auch klar. Wie, ist allerdings weniger klar, denn das „Monopoli“ bei Medikamenten/-Behandlungesentwicklungen ist riesig und eine Spitzenfirma, die weltweit zehntausende von Beschäftigten hat, spielt nun mal einfach in einer anderen Liga. Da gelten unterschiedliche Bewertungskriterien, die nicht immer unserem ethischen Verständnis entsprechen. Es braucht also neben der Lohnfrage neue, zusätzliche Anreize um Spitzenleute in unser Land zu holen. Da ist noch viel politische Kreativität gefragt, und diese Diskussion wird noch nicht richtig geführt. Das gilt natürliche für alle anderen Betriebe im Gesundheitswesen auch (Krankenkassen, Generikafirmen, Apothekerketten, Laborketten, Intsrumentenhersteller, ua.)

    In vielen Fällen geht es wohl auch gar nicht nur ums Geld, sondern um Macht, eine Droge, die oft viel schlimmer ist.

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