Sprachlupe: Rassifizierte aller Länder, vereinigt euch!

Daniel Goldstein /  Rassenbezeichnungen können gar nicht menschenwürdig sein, weil es Menschenrassen nur in den Köpfen jener gibt, die solche wollen.

«Rasse» definiert der Online-Duden als «Bevölkerungsgruppe mit bestimmten gemeinsamen biologischen Merkmalen», warnt aber in einem «besonderen Hinweis»: «Der Begriff Rasse gilt aufgrund der willkürlichen Auswahl von Eigenschaften heute als überholt. In Bezug auf Zuchttiere ist das Wort korrekt. In Bezug auf Menschen werden stattdessen die Wörter Volksgruppe und Ethnie gebraucht.» Nur gegen das Beispiel «niemand darf wegen seiner Rasse benachteiligt werden» nennt das Wörterbuch keine Einwände.
In der Tat ist die Diskriminierung der springende Punkt: Eine Rolle spielt dabei die angebliche Rasse einer Person als Beweggrund für schlechtere Behandlung oder Beschreibung – oder allenfalls für bessere. Es geht also immer um die Zuschreibung einer bestimmten, als rassisch betrachteten Zugehörigkeit. Folgerichtig spricht die «Dozentin für Soziokultur und schwarze Aktivistin» Rahel El-Maawi in einer Gastkolumne der jüngsten «SonntagsZeitung» von «rassifizierten Menschen».

Der Gewalt ausgesetzt

Solche Menschen seien «immer struktureller, institutioneller und individueller rassistischer Gewalt ausgesetzt», schreibt El-Maawi. Falls sie mit «immer ausgesetzt» eine ständige Gefährdung meint, hat sie damit geradezu eine Definition für «rassifiziert» gegeben. Allerdings gehen ihre Darlegungen in die Richtung, dass die Rassifizierten hier und heute auf Schritt und Tritt solche (nicht unbedingt körperliche) Gewalt erleiden, namentlich wegen fehlender Chancengleichheit. Dieser Punkt war in den Sendungen der TV-Arena umstritten, auch unter Rassifizierten selber.
Streng genommen müsste man auch Leute, die wegen ihrer zugeschriebenen Rasse begünstigt werden, als «rassifiziert» bezeichnen – nicht nur dann, wenn ihnen als Angehörigen von Minderheiten Diversitätsförderung den Zugang zu Bildung oder beruflichem Aufstieg erleichtert, sondern auch dann, wenn sie als Angehörige der Mehrheit automatisch im Vorteil sind. Hierzulande ist diese Mehrheit weiss – wie auch immer man das definiert. Wenigstens sprechen nur noch Unbelehrbare dabei von Ariern, wie das die Nationalsozialisten taten, um Juden und andere ihnen missliebige Hellhäutige auszuschliessen. In der Systematik der US-Volkszählung sind ausdrücklich auch Libanesen und Ägypter als Beispiele für Weisse genannt. Die Herkunft soll dort jeweils als Untergruppe der Rasse genannt werden; bei beidem sind Mehrfachnennungen möglich.

Etiketten nicht nur ändern

Mit dem im Titel abgewandelten Aufruf, dessen Original im Kommunistischen Manifest von 1848 den Proletariern galt, meine ich auch Weisse aller Art: Es gilt die Einteilung der Menschen in Rassen zu überwinden. Soweit das die Sprache betrifft, bringt es wenig, historisch belastete Bezeichnungen durch vermeintlich menschenfreundlichere zu ersetzen: Solange die Vorurteile bestehen, werden sie sich auf die neue Bezeichnung übertragen. Ausser zum Kampf gegen Diskriminierung gibt es überhaupt keinen Grund, einem bestimmten Spektrum an Hautfarben (oder ähnlichen Merkmalen) einen Gruppennamen zuzuordnen. Und auch keinen für Sammelbegriffe, die mehrere Gruppen vereinen.
«People of Color» ist so ein Begriff für Leute, die nicht einer bestimmten Definition von «weiss» entsprechen, aber auch nicht «nichtweiss» genannt werden sollen, sondern eben «von Farbe» (geprägt). In der Arena war auch von «Mänsche of Color» die Rede oder von einem Einzelnen «als People of Color», also «als Leut». Zur Schwierigkeit beim Transfer vom Englischen ins Deutsche kommt auch die Unvollständigkeit: So wird BIPoC verwendet, um «Blacks» und Indigene einzuschliessen, auch etwa Inuit/Eskimos mit weisslicher Haut. Indigene wären Eingeborene, wenn dieses Wort nicht kolonialistisch belastet wäre. Die Buchstabenreihung erinnert an LGBTQIA+, laut Wikipedia die aktuell vollständigste Aufzählung von Identitäten mit Geschlechtsbezug. Statt auch BIPoC zu erweitern: «Rassifizierte» ist sehr treffend.

— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»
— darin: Vor der nächsten Vorlage «Antirassismus plus»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund». Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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5 Meinungen

  • am 27.06.2020 um 22:15 Uhr
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    Was man als Deutscher in der Schweiz sofort spürt und merkt: Daniel Goldstein schreibt aus einem Deutsch-Schweizer Blickwinkel über Rahel El-Maawi, welche in Thalwil geboren und in Zürich wohnend auch aus einem Deutsch-Schweizer Blickwinkel schreibt.

    Die Deutsch-Schweizer glauben immer, die Schweizer seien alle genauso wie sie und auch Schwietzerdütsch würde genauso gesprochen, wie sie es persönlich sprechen. Verstehen Sie Schwietzerdütsch? Ich antworte dann: ‹Sie meinen Züridütsch? Oder etwa Berndütsch…oder?›

    Den Artikel weiter gefasst, wie manche sagen: Spezies = Pan, mit den Subspezies Bonobo, Schimpanse, Mensch. Und gibt es da jetzt Menschenrassen oder sind das Ethnien etc.?

    Das ‹Rassifizieren› sagt ja wohl mehr über den aus, der er sagt/macht. Aber was? Ich empfehle das Buch, New York Times Bestseller, ‹Sex after Dawn’… Der biologische Partnertraum und genetischer Fortpflanzungswunschtraumpartner/in der Deutschschweizer sind genau die Schwarzen und andere ‹Nicht-Schweizer-Gleiche’…The Swiss are just horny for them and don’t allow themselves to admit this…

    Inzucht ist aber nie gut, und auch Ashkenazy Juden (‹das ist ja das gute an Israel, das es sich da mischt›), Adels- und Königshäuser (siehe ‹Windsor› = Coburg-Sachsen-Gotha) müssen ‹mixen’…nur die Luzerner Bauern höre ich hätten noch mit ihren Tanten Sex und jedes 3. Kind sei schwerstbehindert…

    Ansonsten: apropos ‹Mänsche of Color’…britisch English ist das ‹Colour›, welche Schreibweise ich bevorzuge.

  • am 28.06.2020 um 04:45 Uhr
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    Ich finde den Vergleich zu LQBT sehr gut, denn auch dort findet der absurde Versuch statt, Integration zu fördern indem man immer mehr noch kleinere Untergruppen definiert. Leute in Kategorien zu spalten kreiert aber keine Einigkeit. Konnte ein Mann früher verschiedene Charaktere haben, ist er heute demisexuell, asexuell transsexuell oder queer und wir sollen ihn als solches anerkennen, obwohl ich mich gar nicht für die sexuellen Präferenzen meiner entfernten Bekannten interessiere. Bei Rassen/Ethnien ist die Bezeichnung of Color total Komonialistisch weil es ja Japaner mit Bangladeschi und Somalier mit Pakistani in einen Topf wirft. Ich spüre das in China wenn ich immer wieder gefragt werde: ihr Ausländer esst jeden Tag Steak und Hamburger, oder? Wo ich dann auch sage ein Europäer ist kein Amerikaner. Umgekehrt zu behaupten, es gäbe keine Rassen weil wir uns genetisch sehr ähnlich sind, dann wären ja auch Schimpansen Menschen weil sie uns genetisch sehr ähnlich sind. Es geht also nicht um die Gene, sondern um erkennbare Merkmale. Leute aufgrund solcher Merkmale zu benachteiligen ist falsch. Die Merkmale zu negieren ist aber auch ein Angriff auf die Identität anderer Menschen

  • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
    am 28.06.2020 um 09:31 Uhr
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    @Harald Buchmann: Es geht mir nicht darum, «Merkmale zu negieren» – man soll sie nur nicht dazu verwenden, Gruppen zu definieren. Und was Menschen und Schimpansen angeht: Sie können sich meines Wissens nicht miteinander fortpflanzen.

  • am 28.06.2020 um 14:10 Uhr
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    Es ist immer ein Genuss, die Sprachlupen von Daniel Goldstein zu lesen. Für mich ist seine Aussage zur Einteilung der Menschen in Rassen entscheidend: «Soweit das die Sprache betrifft, bringt es wenig, historisch belastete Bezeichnungen durch vermeintlich menschenfreundlichere zu ersetzen: Solange die Vorurteile bestehen, werden sie sich auf die neue Bezeichnung übertragen».
    Wer findet, man dürfte einem Neger nicht Neger sagen, der trägt in sich wohl das Vorurteil, Neger seien weniger wert als andere Menschen. Oder sprachlich überspitzt: Wer einem Neger nicht Neger sagen will, ist ein innerlich ein von Vorurteilen belasteter Rassist.

  • am 29.06.2020 um 09:56 Uhr
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    Rassismus und Diskriminierung sind doch dasselbe, Egal, ob jetzt «Weisser, alter Mann» «LGBTQ», «Schwarzer» oder «Muslim» das «Etikett» ist. Das Problem ist nicht, dass man dieses Etikett trägt, sondern, dass man damit in eine Gruppe gesteckt wird, die man generell «hassen dürfen» soll. Nicht alle Schwulen und Lesben sind gleich, nicht alle Muslime und nicht alle Schwarzen oder Rentner. Auch die Schweizer haben ein «Stereotyp», in das man sie pressen könnte.
    Ich zum Beispiel habe generell nichts gegen LGBTQ, aber wenn mich ein Schwuler ungeniert belästigt, dann darf mir das genauso unangenehm sein, wie es das einer Frau ist,wenn ich das täte. Als «weisser alter mann» soll ich ja auch nicht ungeniert «Schauen». Besonders im Sommer oder Frühling nicht. Das man sich bei «Belästigt fühlen» wehren soll, davon leben eine menge Anwälte auch ganz gut. Da kann man wunderbar über die verschiedenen «Gruppen» argumentieren und die Persönlichkeitsrechte interpretieren. Fakt ist: jede/r wird gesehen. von Wem und mit welchen Hintergedanken auch immer. Ich persönlich ziehe die Grenze beim Berühren.
    Ich weiss ja bei einem «Optischen Reiz» auch nie, was Der/Die betroffene vor hat. Bei einer Berührung spricht man allerdings von Tätlichkeit. Ein Blick kann zwar dazu führen, jedoch kann Den noch jeder ebenfalls mit einem Blick erwidern. Ob nun positiv oder Negativ und damit «Grenzen» abstecken. Beim Gespräch kommt man sich näher, oder nicht.

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