Sprachlupe: «Tschutte» hält sich besser als «bäbbeln»

Daniel Goldstein /  Je üblicher im Alltag Mundart ist, desto weniger ändern sich regional typische Wörter. Diesen Schluss erlaubt eine Netz-Erhebung.

Früher bäbbelten sie in Sachsen gern, während sie in Westfalen pöhlten. Jetzt bolzen sie fast nur noch, wie im übrigen Deutschland – ausgenommen im Südwesten, wo sie nach wie vor am liebsten kicken, wie in Österreich. «Kicken» verstehen wenigstens alle, auch in der Schweiz, und sagen es sogar über Profi-Fussballer. Hier geht es jedoch darum, wie in verschiedenen Regionen das hobbymässige Fussballspielen genannt wird. Just so oder auch fussballen sagt man seit Langem im Westen Österreichs, und früher sagte man es auch da und dort in Sachsen. Die Deutschschweiz aber (t)schuttet getreulich.
Die Wörter von «bäbbeln» bis «tschutte» gehören zu den Objekten einer gross angelegten Dialektforschung, an der seit 2015 etwa zwei Millionen Deutschsprachige teilgenommen haben. Damals schalteten «Tages-Anzeiger» und «Spiegel» die Umfrage «Grüezi, Moin, Servus» auf; gefragt wurde bei 24 Begriffen nach der lokal üblichen Variante. Neben Fussballspielen ging es etwa um allerlei Gerichte, den Schluckauf, Hausschuhe, Etuis oder Uhrzeiten. Über die Resultate haben die Urheber der Umfrage in einem wissenschaftlichen Aufsatz auf der Plattform Plos One berichtet. Die Forschungsgrundlagen waren mit mehreren Apps an der Universität Zürich erarbeitet worden.

Hellgraue Flecken auf der Änderungskarte

Der Aufsatz ist für eine Reihe von Begriffen mit raffinierten Karten illustriert, die in feiner geografischer Unterteilung sowohl das heute überwiegende Wort zeigen als auch den ab 1970 für zwei Wortatlanten ermittelten Sprachgebrauch. Bei der aktuellen Studie steht neben jeder Wortkarte eine zweite, aus der das Ausmass der Veränderung sichtbar wird: Je besser sich die frühere Variante gehalten hat, desto heller ist das Gebiet eingezeichnet. Und da sticht fast bei jedem Begriff die Deutschschweiz heraus. Nur wo es in Deutschland besonders markante regionale Unterschiede gab, haben sich diese zuweilen gut gehalten, am deutlichsten ganz im Westen beim Stuten- und dem Weckenmann (in der Nord- bzw. Südecke), also unserem Grittibänz und dem (ost-)​österreichischen Krampus. Nur dem Pfannkuchen im Westen und dem Eierkuchen im Osten sind die Deutschen treuer geblieben als wir der Omelette: Die Crêpe breitet sich gemäss Umfrage aus, nach Osten sogar bis ins Land der Palatschinken.
In der Gesamtschau sticht wieder die Schweiz mit besonders stabilem Dialekt heraus. Recht hell ist auch Bayern getönt, etwas dunkler Österreich (wegen Angleichungen innerhalb des Landes). Im mittleren Deutschland stellen die Studienautoren die stärkste Annäherung an die Hochsprache fest, die dort mit Sozialprestige verbunden sei. Auch hätten sich die Unterschiede an den politischen Grenzen besser gehalten, selbst an der ehemaligen innerdeutschen, oder sogar verstärkt. So sei «Fleischküchle» (für Hacktätschli) aus der Schweiz verschwunden.

Das Doppelleben des Wortes «tschutte»

Zurück zum Fussball: Das Luxemburger Wörterbuch verzeichnet «schutten» für einen einzelnen Kick, mit dem Beipiel: «da schutt dach!». Nur in der Schweiz kann man auch (t)schutten, ohne gerade am Ball zu sein; jedenfalls zeigt das weit ausgespannte Woerterbuchnetz diesen Gebrauch sonst nirgends. Vom englischen «to shoot» abgeleitet, ist das Wort mit dem Spiel zusammen oder etwas später eingewandert. Es hat sich so gut eingebürgert wie Goal statt Tor, Corner statt Eckball, Offside statt Abseits oder Penalty statt Elfmeter – diese in der Schreibweise englisch geblieben Wörter gehören hierzulande sogar zum Hochdeutsch, während «tschutte» dem Dialekt vorbehalten ist.
Bis ins Idiotikon hat es das Wort noch nicht geschafft; das Schweizerdeutsche Wörterbuch beruht auf dem Stand im späten 19. Jahrhundert. Wohl aber findet man ein Eigengewächs, das schon 1812 ein Idiotikon-Vorläufer so festhielt: «Tschutten v. act. – Kinder mit Kühmilch nähren, statt sie zu säugen; Tschutterinn, die dies versteht; der Tschutt, ein mit Kühmilch ernährtes Schaaf, und überhaupt Benennung eines Lammes im ersten Jahre.»
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund». Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.