Kommentar

Sprachlust: An ihren Marken sollt ihr sie erkennen

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Da klebt die Welt, und rundherum steht GLOBAL USA FOREVER. Aber keine Angst: Was als Briefmarke daherkommt, ist auch so gemeint.

Aus den Briefmarken, die zum Jahresende mit guten Wünschen um den Globus flattern, sticht eine heraus: Kreisrund ist sie, just diesen Globus bildet sie aus Satellitensicht ab, mit dem Atlantik in der Mitte, und am Rand trägt sie die Inschrift: GLOBAL USA FOREVER. Versprechen uns hier die Vereinigten Staaten von Amerika, sie würden auf ewig global bleiben, oder drohen sie uns gar damit? Jedenfalls scheint uns die Botschaft zu ein paar Gedanken einzuladen oder gar zu zwingen – darüber, wie wir die USA denn lieber hätten: als Weltmacht mit dem irritierenden Anspruch, ihre Gesetze überall anzuwenden, oder auf dem Rückzug auf sich selber, für internationale Aufgaben nicht mehr zu haben? Oder weltverträglich, irgendwo dazwischen? Dürfen wir die Marke so lesen?
Marke GLOBAL USA
Wir dürfen wohl, aber gemeint ist sie nicht so, sondern überhaupt nicht als Motto. Die Rückfrage beim Absender ergibt, dass USA-Briefmarken keine Wertangaben mehr tragen (in der Tat: die einzige Zahl auf unserem Exemplar ist 2013). Vielmehr ist der Verwendungszweck aufgedruckt, in diesem Fall eben der globale für einen Normalbrief. Und die Marke bleibt ewig gültig, oder «solang es uns gibt», wie eine Postangestellte in einer Karikatur sagt. Auf offiziellen Abbildungen im Internet ist FOREVER säuberlich durchgestrichen – nicht etwa, um solchen Zweifeln Vorschub zu leisten, aber auch nicht, um den aufgeschreckten Rest der Welt zu beruhigen, sondern damit diese Bilder nicht ausgedruckt und als Marken verwendet werden.
Auserwählt – wie alle?
Doch da die Fantasie nun einmal angeregt ist, auch mit USA FIRST-CLASS FOREVER (für A-Post im Inland), lassen wir ihr weiteren Lauf. Wie steht es heute mit dem Anspruch der USA, sie seien auf dieser Welt «die unentbehrliche Nation»? Der Ausdruck selber, «the indispensable nation», ist neueren Datums: Zwei Berater haben ihn 1996 für Bill Clintons zweiten Präsidentenwahlkampf ausgeheckt. Doch die Idee der Besonderheit ist älter als die USA selber: Schon religiös motivierte englische Auswanderer machten sich auf den Weg ins gelobte Land; ob sie auch schon von «God’s own country» sprachen, wie es später sprichwörtlich wurde, ist nicht sicher überliefert.
Die Idee von der Auserwähltheit Amerikas wird oft mit «exceptionalism» umschrieben, was man frei als «Sonderfall-Denken» übersetzen könnte. Präsident Obama hat sich ausdrücklich zum «American exceptionalism» bekannt, auch mit den Worten von der «unentbehrlichen Nation», aber er gestand andern Nationen ebenfalls den Glauben an den jeweils eigenen «exceptionalism» zu und nannte als Beispiele die Briten und die Griechen (es war vor deren Finanzkrise).
Sonderfall – wer nicht?
Könnten somit auch andere Länder ihre Briefmarken mit einem Motto schmücken, mit oder ohne Nebensinn für Postzwecke? SONDERFALL SCHWEIZ läge auf der Hand, wenn nicht die Übersetzung in die andern Landessprachen Probleme bereitete – schon an sich, und erst recht auf dem engen Raum eines Postwertzeichens. Hoffmann von Fallerslebens Worte DEUTSCHLAND ÜBER ALLES werden zwar in der Nationalhymne seit dem Zweiten Weltkrieg aus naheliegenden Gründen nicht mehr gesungen, waren aber ursprünglich nichts als ein flammendes Bekenntnis zum Heimatland.
Für Frankreich bietet sich LA GRANDE NATION an, nur schon um französische Wörter zu verbreiten; allerdings ist die Bezeichnung im deutschsprachigen Raum weit geläufiger als in ihrer angeblichen Heimat. FELIX AUSTRIA geht gewiss, auch wenn mit diesem Glück einst die habsburgische Heiratspolitik gemeint war. Für Italien drängt sich BEL PAESE auf: Das schöne Land besangen schon Dante und Petrarca mit diesen Worten. Da nun aber auch ein Käse so heisst, dürfte die Briefmarke in diesem Fall nicht rund sein.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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