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Gefordert – das Recht auf die Verbreitung nationalistischer Vorurteile © Pixabay

Kriminelle Nationalitäten, Kantone & Co.

Jürgmeier /  Bekanntgabe der Nationalität in Kriminalitätsberichtserstattung – zwischen Diskriminierung und Zensur

Red. (2019) Das Thema ist ein Dauerbrenner. Vor zwei Jahren entschied der damalige Sicherheitsvorsteher der Stadt Zürich, Richard Wolff, in Polizeimeldungen solle die Nationalität künftig nicht mehr standardmässig genannt werden. Letztes Jahr lancierte die SVP die kantonale Initiative «Bei Polizeimeldungen sind Nationalitäten anzugeben». Am letzten Donnerstag, 25.9., teilte der Zürcher Regierungsrat mit, er werde dem Parlament einen Gegenvorschlag vorlegen («Tages-Anzeiger»). Auch dieser würde die Stadtpolizei Zürich zwingen, künftig die «Täterherkunft» wieder zu nennen. Zur wechselvollen Geschichte der Verknüpfung von Kriminalität und Nationalität stellen wir den Beitrag «Kriminelle Nationalitäten, Kantone & Co.» aus dem Jahre 2015 erneut online.

Red. (2017) «Würde die Polizei Angaben zu Bildungsniveau oder sozialer Schicht von Tätern machen, würden Menschen mit Elementarschulbildung oder in ärmlichen Verhältnissen blossgestellt.» Sagt Strafrechtsprofessor Martin Killias im «Blick» vom 7. November 2017. Den Entscheid des Stadtzürcher Polizeivorstehers Richard Wolff, künftig auf «die automatische Nationalitätennennung» bei Straftaten zu verzichten, kritisiert er allerdings. «Wenn jemand an der Nationalität Interesse hat, teilen wir sie natürlich mit» («Tagesanzeiger», 8.11.). Stellt Wolff klar.

Während Kilias «für eine Kommunikation ohne Verbote» («Blick»), das heisst für die Nennung der Nationalität (wie des Alters und Geschlechts) plädiert, stellt Nina Fargahi in der «Medienwoche» vom 9. November fest: «Kriminalität ist kein Ausländer-, sondern vor allem ein Schichtenproblem… Die medial hergestellte Verbindung einer Ethnie zu einer Straftat, beziehungsweise die ‹Ethnisierung› der Straftaten, ist irreführend und bietet vor allem populistischen Kreisen einen Nährboden. Es ist nur ein kurzer Weg zur öffentliche Hetze gegen Minderheiten…» SVP-Nationalrat Alfred Heer lässt sich im «Blick» mit dem Satz zitieren: «Diese Anordnung ist eine typisch kommunistische Antwort auf die Frage, wie das Problem der Ausländerkriminalität gelöst werden soll: Man verschweigt einfach, dass es ein solches Problem überhaupt gibt.»

Die «Medienwoche» sieht das Problem vor allem in der Praxis der Medienhäuser, «die lieber einmal mehr die Nationalität nennen… Die Regelung der Stadtzürcher Polizei stellt einen staatlichen Eingriff dar in die Informationsfreiheit. Dieser Eingriff ist aber gerechtfertigt, so lange die Medien selbst nicht willens sind, die Herkunftsnennung mit der gebotenen Sorgfalt anzugehen.»

Aus Aktualitätsgründen stellen wir den Beitrag «Kriminelle Nationalitäten, Kantone & Co.» (anlässlich der Einreichung des jetzt beantworteten Postulats vor zwei Jahren auf «Infosperber» veröffentlicht) noch einmal online.

Die Forderung von Zürcher GemeinderätInnen aus SP, GLP, Grünen und AL, die Stadtpolizei solle «aufhören, in Pressemitteilungen die Nationalität von Tätern und Opfern zu nennen» (Tages-Anzeiger, 20. Juni 2015), macht sichtbar, dass das Publikmachen der Nationalität in der Kriminalitätsberichterstattung zur Selbstverständlichkeit geworden ist. «Die heutige Praxis», zitiert der Tages-Anzeiger SP-Fraktionspräsidentin Min Li Marti, «schürt Vorurteile. Und führt dazu, dass die Polizei Ausländer öfter kontrolliert.» So wird «die grosse Mehrheit der Ausländer, die sich nichts zuschulden kommen» lässt, unter Generalverdacht gestellt.

Zwischen Diskriminierung und Zensur

«Bis zu Beginn der Nullerjahre», notiert Beat Metzler im Tages-Anzeiger, «war die Nennung in der Schweiz verpönt, sie verletze das ‹journalistische Diskriminierungsverbot›, schrieb der Presserat. Später lockerte er die Einschränkungen.» Im Kanton Solothurn wurde 2012 eine SVP-Initiative von 70% der Stimmenden angenommen und Polizei beziehungsweise Justiz sogar dazu verpflichtet, die Nationalität in ihren Berichten anzugeben.

Diese Entwicklung ist, auch, das Resultat des (vor allem, aber nicht nur) durch die SVP befeuerten nationalkonservativen Diskurses, der auch schon mal ins Rassistische kippt. Dieser hat die ideologischen Koordinaten von Politik&Medien so weit nach rechts verschoben, dass, zum Beispiel, Polizeireporter Stefan Hohler selbst im auch schon «linksliberal» genannten Tages-Anzeiger im Juni 2015 locker behaupten kann, Medien würden «ihre Glaubwürdigkeit verspielen, wenn sie die Nationalität – auch die der Schweizer [immerhin, Jm] – konsequent verschweigen würden.» Die Denkfigur des «Verschweigens» ist das Echo zu dem vom Stadtzürcher SVP-Präsidenten Roger Liebi angestimmten Kanon: «Die Bevölkerung hat ein Recht, zu wissen, woher Straftäter kommen.» Und der sozialdemokratische Strafrechtsprofessor Martin Kilias sieht laut Tages-Anzeiger gar DDR-Zensur am Werk, wenn nicht publik gemacht werden dürfe, welchen Pass DiebInnen und MörderInnen hätten.

«Zensur» allerdings ist gang&gäbe, wenn damit gemeint ist, dass nicht alle denkbaren Risiken von Kriminalität in jedem Fall genannt werden. Strafrechtler und SP-Nationalrat Daniel Jositsch – nicht gerade als Kuscheljurist bekannt – weist darauf hin, Ausländer verstiessen statistisch nur deshalb «häufiger gegen das Gesetz, weil es unter ihnen mehr junge Männer und mehr Menschen aus tieferen sozialen Schichten gebe» (Tages-Anzeiger). Warum also werden zusätzlich zu Alter, Nationalität und Geschlecht – so die aktuelle Praxis der Stadtpolizei Zürich – nicht Einkommens-, Vermögens- und Gewichtsklasse, Beruf&Hobby, Bildungsniveau und Sozialisationskontext (gewalttätig oder nicht), Konsum- oder Suchttyp (zum Beispiel regelmässiger Alkoholkonsum), Parteizugehörigkeit&Vereinsmitgliedschaften (Karateschule, Fussballclub, Schützenverein u.a.) angegeben? Oder der Wohnort? «In den Städten und der Westschweiz werden mehr Straftaten begangen als in der übrigen Schweiz», schreibt die Neue Zürcher Zeitung am 24. März 2014.

Der Mörder ist immer der Gärtner

Das Problem ist nicht die nationale Einordnung des aktuellen Einzelfalls – Wenn ein Türke einen Schweizer (er)schlägt oder umgekehrt, ist das im konkreten Fall eine verifizierbare Tatsache –, sondern die darüber hinaus betriebene stereotypisierende Propaganda nach dem Muster «Alle Thurgauer sind Langfinger», «Alle Albaner sind Messerstecher» usw. Wobei die Verallgemeinerung nur greift, wenn sie sich auf vorhandene Vorurteile stützen kann und erwünschte Ausgrenzungen verstärkt.

Niemand in der Schweiz glaubt ja ernsthaft, dass AargauerInnen schlechtere AufofahrerInnen sind als FribourgerInnen. Und dass der Gärtner immer der Mörder ist, hat im Alltag der betroffenen Berufsleute vermutlich noch nie wirklich zu Diskriminierungen geführt. Angehörige fremder Kulturen aber haben ganz real unter der logisch unerlaubten Folgerung vom Einzelnen aufs Allgemeine zu leiden. Ein Albaner ist gewalttätig. Alle Italiener sind kriminell. Türken raus.

Wenn die Nennung der Nationalität ihrer Meinung nach zu unzulässigen Verallgemeinerungen verführe, «müssten die Postulanten konsequenterweise auch die Forderung stellen, auf die Nennung von Geschlecht und Alter von Täter zu verzichten». Schreibt Stefan Hohler. Weil, bekanntlich, die Stadtpolizei Zürich in ihren Bulletins Geschlecht, Alter und Nationalität angibt. Bewusst oder unbewusst unterschlägt Tages-Anzeiger-Kollege Beat Metzler in seiner Illustration gegenwärtiger Realitäten kühn die Faktoren Geschlecht und Alter: «Die Stadtpolizei nahm acht Personen fest, sie stammen aus dem Irak, Angola, Kamerun, Kosovo und der Türkei.»

Aber, wenn überhaupt, ist das Geschlecht der signifikanteste Risikofaktor für Kriminalität&Gewalt – kultur- und altersübergreifend. Ausgerechnet diesen Aspekt lässt der Tages-Anzeiger unter den Tisch fallen und maskiert so das Geschlecht durch die Nationalität, die er als einziges Merkmal der Verhafteten nennt. Sollten das Postulat der rotgrünen GemeinderätInnen angenommen und die Unterschlagung des Tages-Anzeigers automatisch nachvollzogen werden, müssten Polizeimitteilungen in der Stadt Zürich künftig so lauten, wie es der Tages-Anzeiger vorformuliert: «Die Polizei nahm acht Personen fest».

Instrumentalisierung von Medien durch TäterInnen

Allerdings wäre es konsequenter&hilfreicher, Kriminellen keine oder nur äusserst beschränkte mediale Beachtung zu schenken. Damit würde diesen ein bedeutendes Motiv genommen – durch eine besonders spektakuläre oder brutale Tat national oder international berühmt, vom «Niemand» zum «Jemand» zu werden. Das gilt für den islamfeindlichen Killer Anders Breivik aus Norwegen ebenso wie für die IS-Terroristen, die ihre Opfer geköpft ins Netz stellen, darauf zählend, dass die Bilder durch die internationale Medienmaschine globalisiert werden. «Der Killer will – an allererster Stelle –, dass seine Taten wahrgenommen werden und – bitte sehr! – zur sofortigen radikalen Veränderung seiner Umgebung – das heisst: der Weltlage – führen. So stellt er seine Tat(en), wo immer er kann, grossartig aus.» Analysiert Klaus Theweleit in seinem neusten Buch «Das Lachen der Täter: Breivik u.a.».

Auch der unpolitische und ganz gewöhnliche Mörder, zum Beispiel der deutsche Student Tarnberg – der am 30. Oktober 1989 seine Zimmerwirtin ermordet hat –, sucht die medialen Scheinwerfer. Im Gespräch mit Wolfgang Korruhn, dem Autor des Buches «Dann hab ich’s einfach gemacht», klagt er: «Wenn nicht diese Sache mit der Wiedervereinigung gewesen wäre, dann wäre meine Tat in erheblich höherem Masse öffentlich besprochen worden.»

Es ist, vermutlich, eher Geschäftstüchtigkeit als die aufklärerische Vision, Wirklichkeit in all ihren Facetten abzubilden und sich keiner Zensur zu unterwerfen, die Medien veranlasst, Kriminalität&Gewalt immer wieder auf der ganz grossen (Boulevard )Bühne spielen zu lassen. Im Gegensatz zur Information – die niemand mehr hören kann&will –, vorgesterngesternheute seien Zehntausende verhungert und vertrieben worden, verspricht die Nachricht vom neusten Postraub, Entführungs- oder Mordfall, möglichst mit gezoomtem Bild, immer noch Auflage&Quote. Tamilin vergewaltigt Schweizer Schwingerkönig. Zum Beispiel.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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2 Meinungen

  • am 23.06.2015 um 13:02 Uhr
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    Ich denke das Problem liegt nicht bei den Angaben der Nationalitäten bei Kriminellen in den Medien, sondern viel mehr, wie es dargebracht wird und beim volksmündischen Leser und Leserinnen.
    1. Warum werden Verbrechen von Ausländern oft groß und Fett gedruckt auf den Titelseiten gedruckt und die Verbrechen von einheimischen Tätern oft nur klein und nicht auf der Titelseite gedruckt?
    2. Warum faßt ein Teil der einheimischen Leser und Leserinnen gerade bei Verbrechen von Ausländern es immer falsch auf? Z.B. «Der Journalist schreibt: Ein in der Schweiz lebender Ausländer aus Hinterem Mond gleich links, erschoß bei einem Streit seine Frau."
    Der Journalist schrieb «ein» und nicht «alle» Ausländer aus Hinterem Mond gleich links. Warum sagt dann ein Teil der einheimischen Leser/Leserinnen dass alle aus Hinterem Mond gleich links kriminelle seien?
    In diesen beiden sehe ich die Diskriminierung mit der dazu autamatischen Zensur gegenüber den Ausländern.
    Wenn ein Schweizer kriminell ist, da sagt ja auch kein Schweizer dass alle Schweizer kriminell seien…

  • am 30.04.2019 um 18:34 Uhr
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    Wiewäre es, wenn wir dafür sorgen würden, dass die Ausländer, die ja auch in einem Land die Inländer sind, dort gerne bleiben würden, weil deren Wirtschaft dies auch zulassen oder fördern würde – zB auch mit unserer Unterstützung rsp, «NICHT-AUSBEUTUNG» derer Löhne oder andere Ressourcen. Das wäre ein mutiger Schritt – aber Politik ist nicht mehr auf echte Problem-Lösung ausgerichtet.

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