Sprache: Nicht lupenrein, aber als Titel tauglich

Daniel Goldstein /  Duden und Heuer dulden manchen Murks wie den «Sprachlupe»-Titel «… mit und ohne guten Grund». Kapitulation vor dem Sprachgebrauch?

«Nicht ganz lupenrein» sei der «Sprachlupe-Titel vom 23. September» über Wortimport gewesen, urteilte ein freundlicher Leser und erklärte mir: «Weil nur die Präposition ‹ohne› den Akkusativ verlangt, die Präposition ‹mit› hingegen den Dativ, darf es nicht heissen ‹mit und ohne guten Grund›.» Just deswegen hatte ich die Formulierung im Duden nachgeschlagen. Band 9 (Zweifelsfälle, Stichwort «mit») schreibt: «Es müsste streng genommen heissen: mit Kindern oder ohne Kinder. Diese doppelte Setzung wirkt jedoch so schwerfällig, dass sich die elliptische Form weitgehend durchgesetzt hat und auch standardsprachlich als korrekt gilt: mit oder ohne meine Kinder.» («Elliptisch» hat hier nichts mit Geometrie zu tun; Ellipse kann auch Auslassung bedeuten.)
Die gewundene Formulierung im Duden vermeidet ein Urteil über «richtig oder falsch». Heuer («Richtiges Deutsch», NZZ-Verlag, Randziffer 415) ist etwas entschlossener: «Zwei Präpositionen, die verschiedene Fälle fordern, können ohne Bedenken vor demselben Wort stehen, sofern der Fall nicht erkennbar ist: mit oder ohne Salz. Wenn der Fall erkennbar ist, richtet man sich nach der näheren Präposition. Besser ist es freilich, das Nomen oder Pronomen zu wiederholen: mit oder gegen ihn (besser: mit ihm oder gegen ihn).» In meinem Fall wäre der formal bessere Titel aber zu umständlich und zu lang gewesen, etwa: … «mit gutem Grund oder ohne solchen».
«Ein Kreuz mit dem Duden»
Meinen Hinweis auf den Duden beantwortete der Leser so: «Für mich ist die Formulierung ‹mit und ohne guten Grund› eindeutig zu dissonant, als dass mich die blosse Zulässigkeit gemäss Duden zu ihr verleiten könnte. Es ist ja auch ein Kreuz mit dem Duden. Leicht wird vergessen, dass dieses ‹Regelwerk› nicht normativ ist, sondern nur den aktuellen Sprachgebrauch abbildet, an dem nun einmal nicht alles gefällt.» Für mich ist das kein Kreuz, sondern liegt in der Natur der Sache.
Für alles, was über die Rechtschreibung hinausgeht, gibt es im Deutschen keine amtlich-allgemeingültige Regelung. Grammatiker können nur versuchen, aus dem allgemeinen Sprachgebrauch möglichst logische Regeln abzuleiten, die mit möglichst wenigen Ausnahmen auskommen. Handbücher wie Duden oder Heuer pflegen wiederzugeben, was unter Fachleuten unbestritten ist. In Fällen wie jenem des fraglichen «Sprachlupe»-Titels geben sie an, dass man verschieden streng sein kann, und lassen zuweilen erkennen, was sie vorziehen.
Das ist falsch und tu ich nicht
Die mehr oder weniger deutliche Duldung einer – nach strenger Lesart – falschen Konstruktion bedeutet nicht, dass man sich dazu «verleiten» lassen muss. Man ist nur aufgefordert, Milde walten zu lassen, wenn jemand anderes es tut. Auch ich vermeide manche Sätze, die nach den Handbüchern zulässig sind, etwa so einen: Dass Katalonien nach der Abspaltung in der EU verbliebe, «hätte nicht nur Spanien verhindert, sondern auch andere EU-Staaten». Duden wie Heuer finden, wenn eine Verbform von zwei unterschiedlichen Subjekten abhänge, sei das näher stehende massgeblich, hier also «Spanien», ergo «hätte». Für mich überwiegt der Plural; näher am Verb stehen muss er aber schon, also: … «hätten auch andere EU-Staaten verhindert, nicht nur Spanien».
Besonders aufpassen muss man, wenn man eine Duldung auf eine andere Konstruktion übertragen will, etwa bei «nicht erkennbarem Fall». So war über Rheinhäfen zu lesen: «Swissterminal würde mit dem GBN Konkurrenz erwachsen und hat ein Interesse, dass kein [neuer] Terminal entsteht.» Wem erwüchse Konkurrenz? (Dem) Swissterminal, aber dann schlüpft das Wort aus dem Dativ in den Nominativ: Wer hat Interesse? Nach den Handbüchern (und mir) ist diese Konstruktion unzulässig, das Wort muss wiederholt werden, hier am besten mit einem Stellvertreter: … «und die Firma hat ein Interesse». Im letzten Zwischentitel würde ein zweites «das» reichen.
Wo liegt der springende Punkt?
Warum aber darf man «ohne Bedenken» schreiben «mit und ohne Grund», und mit Bedenken sogar «mit und ohne guten Grund», jedoch weder mit noch ohne Bedenken «das ist ein Fehler und tu ich nie»? Ich glaube, es hat mit der Stellung des Corpus Delicti und seiner Bezüge zu tun, die unterschiedliche Fälle verlangen: Sagt man «das ist ein Fehler», dann ist «das» als Nominativ fixiert und darf nicht ohne Wiederholung als Akkusativ verwendet werden. «Grund» aber steht am Schluss und kann bis dann im einen oder andern Kasus erwartet werden. Steht «guten Grund», dann wird zwar die Erwartung eines Dativs (wegen «mit») enttäuscht, aber man kann diesen Kasus als mitgemeint ansehen.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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4 Meinungen

  • am 21.10.2017 um 14:29 Uhr
    Permalink

    Frage mich nur: wen interessiert das heute noch? Es kommt bei mir fast so etwas Nostalgie auf und ich denke an meinen einstigen 6-er in Deutsch an der Matura.
    Die «Jungen» sind zufrieden, wenn sie sich mit ihrem Handy-Kauderwelsch einigermassen verstanden fühlen, gleich welche Sprache ihnen dafür gerade einfällt.
    Keine Ahnung wie man heute noch Grammatik und Rechtschreibung lernt und prüft.
    Für Sprachgenuss flüchte ich mich in die Literatur. Und die stammt meist nicht von heute. Sprachkultur, das war einmal?

  • am 21.10.2017 um 16:54 Uhr
    Permalink

    Goldstein ist Hammer. OK, keine besonders elaborierte Aussage, stimmt aber inhaltlich und bildet den heutigen Sprachgebrauch ab. Und, vor allem, meine Meinung!

  • am 25.10.2017 um 09:06 Uhr
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    "In Fällen wie jenem des fraglichen ‹Sprachlupe›-Titels […]"
    Ebenfalls aus Duden Bd. 9, unter «jener»:
    3. jener / der[jenige]: Es ist nicht korrekt, «jener» anstelle von «derjenige» oder hinweisendem «der» zu gebrauchen. Also nicht: Jener, der das getan hat … Sondern: Derjenige, der das getan hat … Oder: Der, der das getan hat … Nicht: Das sind meine Absichten und jene meiner Kollegen. Sondern: Das sind meine Absichten und die meiner Kollegen.

  • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
    am 25.10.2017 um 22:39 Uhr
    Permalink

    Erstaunlich, zu welcher Urteilskraft sich der Duden 9 hier aufrafft – in einer Frage des Wortgebrauchs, bei der es anders als in der Grammatik kaum wissenschaftliche Argumente geben kann. Ich nehme an, Sie zitierten aus der neusten Auflage; «nicht korrekt» wäre dann eine Abschwächung gegenüber der 6. Auflage von 2007, in der die fragliche Verwendung von «jener» noch als «falsch» taxiert wurde. Angesichts der Häufigkeit, mit der sie vorkommt, würde «umgangssprachlich» eher der gängigen Praxis im Hause Duden entsprechen. Auf Duden.de werden «jener» und «derjenige» wechselseitig als Synonyme aufgeführt, was natürlich nicht bedeutet, dass sie in jeder Verwendung austauschbar sind: «Er hat dieses und dasjenige gesagt» bleibt unsinnig. Umgekehrt aber steht im Online-Duden als Beispiel: «jene berühmte Rede, die sie schon vor Jahren gehalten hat» – was nach Duden 9 «nicht korrekt» ist. Ich finde «derjenige» ein umständliches Wort: Man nehme das Fürwort «jener», mache daraus ein Eigenschaftswort «jenig» und aus diesem wiederum ein Fürwort: «derjenige». Und das nur, um dem Wort «jener» nicht zwei verschiedene Verwendungsarten zuzumuten, bei denen kaum Verwechslungsgefahr besteht. «Derjenige, welcher …» lädt zum parodistischen Gebrauch ein, etwa mit der Fortsetzung «es mit den Regeln ganz genau nimmt …». Der Duden 9 mag indessen «welcher» nicht: Es «wirkt häufig schwerfällig». Und «derjenige» etwa nicht?

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