Sprachlupe: «Züricher» Tradition: der Saubannerzug

Daniel Goldstein /  «Schuhgestell» verstanden Deusche wohl schon vor der Duden-Neuheit «schweiz. f. Schuhregal». Aber «Musikgehör» gibt’s nicht immer.

Jetzt haben wir es nicht nur schwarz auf weiss, sondern auch prominent gedruckt: Im neuen Duden (Rechtschreibung) steht «Saubannerzug» mit der Erklärung «eine Züricher Traditionsveranstaltung; auch für Ausschreitung». Gemeint ist nicht, dass in Zürich Krawalle – wie so oft am 1. Mai – Tradition haben, und auch nicht, dass die «Züricher» den Original-Saubannerzug feiern, mit dem unzufriedene Innerschweizer Söldner im späten 15. Jahrhundert in Genf ihren Anteil an der Burgunderbeute einfordern wollten.
Des Rätsels Lösung bietet Wikipedia, die neben «vandalistischen Ausschreitungen» angibt: «Am Zürcher Sechseläuten spricht man in Zunftkreisen von Saubannerzügen [und meint damit] informelle Besuche bei einer anderen Zunft». Der eigentliche Traditionsanlass aber, das Sechseläuten selber, fehlt im Duden. Dass dort «Züricher» steht, ist kein Versehen, sondern liegt daran, dass sich die Redaktion an den Sprachgebrauch in Deutschland hält. Unter dem entsprechenden Stichwort aber steht «in der Schweiz nur Zürcher».

Das Ende des Genfer Sees

Immerhin führt der Duden «Zürichsee» an (mit und ohne Bindestrich), nicht aber «Züricher See». Bei andern Seen war die Zusammenschreibung im Duden bisher Glückssache; neu findet sich vorne in der Regel D 64 der Vermerk: «In der Schweiz wird bei Straßen- und Seenamen, z. T. auch bei Bergnamen zusammengeschrieben.» Bisher gab es einen solchen Vermerk nur für Strassennamen. Veranlasst hat diese Änderung der schweizerische Dudenausschuss. Er schlug auch die meisten der mindestens 80 neu aufgenommenen Helvetismen vor – so den «Saubannerzug» mit einer genaueren Definition, die aber von der Dudenredaktion irreführend gekürzt wurde. Insgesamt dürften die Schweizer Besonderheiten gut ein Prozent der jetzt 145’000 Worteinträge ausmachen.
Dem Ausschuss kann auch das Publikum Vorschläge machen; für «Anlass» wird das demnächst erledigt. Im Duden steht «Anlass [zu etwas] geben, haben»; nur auf duden.de und im Spezialduden «Schweizerhochdeutsch» findet man zudem «Veranstaltung». Dass das Wort so nur in der Schweiz gebräuchlich ist, dürfte hierzulande viele überraschen. Dasselbe gilt für einige Neuaufnahmen wie Funkenwurf, Musikgehör (für etwas haben) oder Zeitungsverträger/-in (statt -austräger/-in) und Haushalt[s]papier (statt Küchenrolle). Auch die «Fußdistanz» wird offenbar nur in der Schweiz verstanden und muss sonst umschrieben werden. Dass wir das Eszett – neu auch als Grossbuchstabe offiziell – nicht verwenden, steht nicht in den Einträgen, sondern in der Regel D 160.

Die Kehrordnung im Bundesrat

Einige Helvetismen sind im Duden als «mundartlich» gekennzeichnet; neu werden solche Einträge aber kaum noch aufgenommen. Zu erwarten wäre dieser Vermerk etwa bei «Familienschlauch» oder «Kehr (schweiz. für Rundgang)», aber er steht nicht. Dieser Eintrag wurde neu formuliert, bisher galt das Wort als «kurz für Kehrordnung», und diese wiederum soll in der Schweiz «festgelegte Wechselfolge, Turnus» bedeuten. Das altertümliche Wort steht in «Schweizerhochdeutsch» mit dem Zusatz «dtl. in anderer Bed.». Die deutsche (und österreichische) Bedeutung «Vorschriften für Rauchfangkehrer» findet sich nicht einmal im allgemeinen Duden.
Weitere Neuerungen betreffen etwa Kulinarisches wie Dörrbohne, Hüppe oder Zwischenverpflegung; der Ziger gilt neu nicht mehr als Quark, sondern als «schweiz. für Molkenkäse; Kräuterkäse». Freilich trifft Letzteres nur für Gegenden zu, in denen man «Schab-» weglassen kann. Aufgenommen wurden auch allerhand amtliche Ausdrücke wie Bauzone (mit einigen Ableitungen), Fahrnisbaute, kantonseigen, Heimatschein, Sozialabzug. Oder Alltägliches, dessen schweizerische Besonderheit uns nicht unbedingt bewusst ist: Katzenkiste, Notstromgruppe, Schuhgestell, Sexsalon. Was will man mehr!
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»
— darin zum Thema, als Suchbegriff eingeben:
Goldstein +Helvetismen (mit Abstand vor +)


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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