Wenn das nur gut kommt mit den Siemens-Zügen …
Die Probleme mit den Bombardier-Doppelstockzügen haben noch immer kein Ende. Kürzlich mussten die SBB bekannt geben, dass sie an sämtlichen 62 Zügen die Drehgestelle ersetzen müssen (Infosperber berichtete darüber). Ein grosser Teil der Probleme bei den Bombardier-Zügen war darauf zurückzuführen, dass die SBB keinen Standard-Zug bestellt hatten, sondern eine Neuentwicklung.
SBB-Chef Vincent Ducrot hatte vor gut drei Jahren gegenüber dem «Tages-Anzeiger» festgehalten: «Mit unseren Anforderungen haben wir den Hersteller an die Grenzen des Machbaren geführt. Mit den Folgen hatten wir in den letzten Jahren zu kämpfen. Deshalb ändern wir nun die Strategie bei Neukäufen: Wir setzen in Zukunft auf erprobte Standardzüge. Diese haben erfahrungsgemäss weniger Kinderkrankheiten.»
Erstaunlich ist, dass das Bahnunternehmen jetzt schon wieder einen Zug kaufen will, der in dieser Form noch gar nicht existiert. Die SBB sagen es zwar nicht so. Aber es ist so.
«Viele bewährte Komponenten»
Die SBB formulieren etwas verklausuliert: «Die SBB beschafft ihre neuen Züge gemäss folgender Strategie: Bei den neuen Fahrzeugen soll eine grosse Anzahl erprobter und standardisierter Komponenten zum Einsatz kommen. Anders gesagt: Der neue Zug wird ein weiterentwickeltes Standardprodukt mit vielen bewährten Komponenten sein.»
Standardprodukt? Schauen wir uns den neuen Zug an, von dem die SBB 116 Exemplare für insgesamt zwei Milliarden Franken kaufen wollen. Es handelt sich um einen Siemens Desiro HC. HC steht für High Capacity.
Vorne und hinten einstöckig
Der Zug besteht aus angetriebenen Endwagen sowie aus einer frei wählbaren Anzahl nicht angetriebener Mittelwagen. Die Mittelwagen sind zweistöckig und niederflurig, die beiden Endwagen einstöckig. Denn auf dem Dach und im Unterboden der Endwagen befindet sich die ganze Traktionsausrüstung. Das heisst: elektrische Ausrüstung und Antriebsstrang.

Siemens schreibt dazu: «Mit der Kombination aus Singledeckmotor- und Doppelstocktrailerwagen werden höhere Passagierkapazitäten erreicht, und die Anordnung der Grosskomponenten auf dem Dach der Endwagen erleichtert die Instandhaltung und verhilft zudem zu mehr nutzbarer Fläche im Innenraum.»

Die SBB wollen reine Doppelstöcker
Ausgerechnet diese Konstruktion, welche laut Siemens «die Instandhaltung erleichtert», wollen die SBB nicht. Sie haben sich für einen durchgehend doppelstöckigen und durchgehend niederflurigen Desiro HC entschieden. Das heisst: Die Traktionsausrüstung kann nicht auf dem Dach und im Unterboden der Endwagen untergebracht werden.
Infosperber wollte daher von den SBB wissen:
- Existiert bereits ein durchgängig zweistöckiger Desiro HC?
- Falls ja: In welchem Land und bei welcher Bahngesellschaft?
- Welche Komponenten gehören genau zur Traktionsausrüstung?
- Wo sollen sie in den SBB-Zügen eingebaut werden?
Keine Auskünfte: weder von den SBB noch von Siemens
Für die beiden ersten Antworten verwiesen die SBB an Siemens. Zu den beiden letzten Fragen schreiben die SBB: «Dazu können wir während des laufenden Verfahrens keine Angaben machen.»
Was natürlich eine Ausrede ist. Die SBB reden sich mit dem Rekurs heraus, den Stadler-Rail inzwischen beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht hat. Aber die Fragen von Infosperber betreffen ja nicht beschaffungsrechtliche Belange.
Trotzdem fragte Infosperber auch Siemens. Siemens beantwortete die Fragen auch nicht, sondern kopierte stattdessen einfach einen nichtssagenden Auszug aus der Pressemitteilung zum Stadler-Rekurs. Auch Siemens behauptete, sich «während des aktuellen Beschwerdeverfahrens nicht äussern» zu können. Auch das eine Ausrede, da es ja – wie gesagt – nicht um beschaffungsrechtliche Fragen geht.
Stadler-Rail hatte das Modell «Kiss» offeriert, das bei den SBB seit Jahren in Betrieb ist. Beim Kiss müsste gegenüber dem heutigen Modell vor allem die elektronische Zugsicherung modernisiert werden. Der dritte Bewerber war Hitachi. Dem Vernehmen nach diente die Bewerbung der Japaner vor allem dazu, dass sie das Beschaffungswesen in der Schweiz kennenlernen. Ernsthaft bewerben wird sich Hitachi wohl, wenn die SBB ihre Hochgeschwindigkeitszüge beschaffen. Dort hätte Hitachi dann gute Karten. Denn die Firma hat viel Erfahrung mit solchen Zügen. So hat sie etwa für Trenitalia den «Frecciarossa» geliefert.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.









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