Augenärztliche Untersuchung

Viele ältere Menschen leiden an Makuladegeneration (Symbolbild). © AndreyPopov / Depositphotos

Mehr Herzinfarkt- und Schlaganfall-Meldungen nach Augenspritzen

Martina Frei /  Die Angst vor den Spritzen kann den Blutdruck erhöhen. Aber auch die Medikamente selbst stehen im Verdacht.

Nur schon beim Gedanken, eine Spritze ins Auge zu bekommen, wird vielen Menschen angst und bange. Bei den Patientinnen und Patienten, die solche Spritzen erhalten, steigt der Blutdruck in teils schwindelnde Höhen. Etwa jeder Zehnte in einer Studie am Berner Inselspital hatte Blutdruckwerte über 200. Im Durchschnitt stieg der obere Wert von 150 vor der Spritze auf 168 während der Injektion.

Ärzte melden nach dem Verabreichen einer Augenspritze auffallend oft, dass bei den Patienten starker Bluthochdruck auftrat. Doch auch andere, weit schwerwiegendere Probleme scheinen sich zu häufen: Herzinfarkte, Herzrhythmusstörungen und Schlaganfälle werden nach den Augeninjektionen vermehrt als mögliche Nebenwirkung gemeldet. Das ermittelten Wissenschaftler aus Südkorea, den USA und Schweden.

Sie griffen auf die Datenbank der WHO im schwedischen Uppsala zu. Dorthin schicken über 130 Länder anonymisierte Verdachtsmeldungen zu Medikamenten-Nebenwirkungen. Von 2004 bis 2023 umfasst diese Datenbank über 25 Millionen Meldungen zu allen möglichen Arzneimitteln. Rund 23’000 davon betrafen eine Herz-, Hirn- oder Kreislaufkomplikation nach einer Augenspritze mit einem sogenannten Anti-VEGF-Wirkstoff. Diese Medikamente sind wichtige Pfeiler bei der Behandlung von Augenkrankheiten wie zum Beispiel der feuchten Makuladegeneration.

Augenspritze «Eylea» an zweiter Stelle bei den Arzneimittelkosten

VEGF ist ein Wachstumsfaktor für Blutadern. Er wirkt unter anderem blutdrucksenkend und trägt dazu bei, dass sich neue Äderchen bilden. Die Äderchen trüben an der Stelle des schärfsten Sehens, der Makula, die Sicht und sind darum unerwünscht. Anti-VEGF-Medikamente unterbinden die Wirkung von VEGF.

Das Wissenschaftler-Team konzentrierte sich auf vier Anti-VEGF-Wirkstoffe: Ranibizumab, Aflibercept, Bevacizumab und Brolucizumab. Bekannt sind diese Spritzen unter Markennamen wie zum Beispiel «Eylea», «Lucentis», «Byooviz», «Ranivisio», «Beovu» oder «Ximluzi». 

«Eylea» war gemäss dem Helsana Arzneimittelreport das Medikament, das 2023 die zweithöchsten Arzneimittelkosten in der Schweiz verursachte: Schätzungsweise 160 Millionen Franken gaben die Krankenversicherungen dafür aus, über 31’000 Personen in der Schweiz bekamen dieses Medikament gespritzt.

Die Beipackzettel zu diesen Spritzen liefern unterschiedliche Informationen. Bei «Eylea» (Wirkstoff Aflibercept) und «Beovu» (Brolucizumab) zum Beispiel steht, es bestehe «ein theoretisches Risiko» für Schlaganfall oder Herzinfarkt nach Augenspritzen mit Anti-VEGF-Medikamenten. Bei «Byooviz» und «Lucentis» (beide enthalten Ranibizumab) wird Schlaganfall als häufige Nebenwirkung genannt. Häufig bedeutet, dass mindestens eine von hundert Personen davon betroffen ist, aber weniger als eine von zehn.

Mehr Herzrhythmusstörungen als nach anderen Medikamenten gemeldet

Die Wissenschaftler verglichen: Wie oft wurde beispielsweise ein Herzinfarkt nach einer Augenspritze gemeldet und wie oft geschah dies insgesamt, über alle Medikamente hinweg? Mit dieser Methode lässt sich erkennen, ob ein Arzneimittel im Vergleich mit allen anderen besonders hervorsticht. Das war bei den Augenspritzen mit den Anti-VEGF-Substanzen der Fall, teilweise sogar stark. 

Bluthochdruck-Krisen etwa wurden nach einer solchen Augenspritze rund sechsmal so oft gemeldet wie nach allen anderen Medikamenten. Auch Schlaganfälle, seien sie durch Blutgerinnsel ausgelöst oder durch Hirnblutungen, wurden signifikant häufiger gemeldet, ebenso Herzinfarkte und Herzrhythmusstörungen wie zum Beispiel Vorhofflimmern.

Vergleich mit anderen Augenspritzen

In einer gesonderten Auswertung verglichen die Wissenschaftler die Anti-VEGF-Augenspritzen, die zum Beispiel gegen Makuladegeneration eingesetzt werden, nicht mehr mit allen anderen Medikamenten, sondern nur noch mit anderen Augenspritzen. 

Nun waren die Befunde bei fast allen untersuchten Gesundheitsproblemen noch deutlicher: Bluthochdruck beispielsweise wurde nach den VEGF-Antikörper-Spritzen viel öfter gemeldet als nach anderen Augenspritzen. Auch Herzinfarkte, plötzlicher Herzstillstand, Schlaganfälle und verschiedene Arten von Herzrhythmusstörungen wurden nach den – im Volksmund auch «Makula-Spritzen» genannten – Arzneimitteln deutlich öfter gemeldet, verglichen mit der Melderate bei anderen Augenspritzen. Das spricht dafür, dass nicht allein die Angst vor einer Spritze ins Auge das Problem ist.

Ein Fallbericht aus Tokio

In geringen Mengen können die als «hoch-potent» geltenden Anti-VEGF-Wirkstoffe vom Auge in den Rest des Körpers gelangen. VEGF wird laut den Wissenschaftlern in nahezu allen Geweben im menschlichen Körper produziert, auch im Herz. Deshalb sei es denkbar, dass ins Auge gespritzte Medikamente auch andernorts eine Wirkung entfalten könnten. Die Studienautoren zitieren den Fallbericht eines Patienten in Japan, der beidseits solche Augenspritzen erhielt. Zwei Tage nach der zweiten Spritze stieg sein Blutdruck stark an und es kam zur Hirnblutung. Der VEGF-Wert im Blut sei bei ihm vorübergehend auf nicht mehr messbare Werte gesunken, mutmasslich wegen der Anti-VEGF-Spritzen.

Personen, die solche Augenspritzen bekommen, haben jedoch allein schon aufgrund ihres Alters oft ein höheres Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Ausserdem leiden viele an weiteren Erkrankungen und benötigen zusätzliche Medikamente. Diese Umstände wurden in der in «Ophthalmology» erschienenen Studie allerdings nicht berücksichtigt.

Mit zunehmendem Alter der Patienten hätten die Meldungen über vermutete unerwünschte Wirkungen der Augenspritzen zugenommen, ergab eine weitere Auswertung. Dabei gab es aber auch überraschende statistische Ausreisser: Meldungen zu Bluthochdruck sowie Hirnblutungen etwa waren bei den 45- bis 74-Jährigen häufiger als bei den über 75-Jährigen. 

Vermutete Nebenwirkungen auch in der Augenheilkunde zu selten gemeldet

Diese Studie kann nicht beweisen, dass die Anti-VEGF-Augenspritzen der Grund für die höheren Melderaten an Herzinfarkten, Schlaganfällen oder Herzrhythmusstörungen sind, sondern bloss einen Zusammenhang aufzeigen. Um festzustellen, ob dieser wirklich ursächlich ist, schlagen die Wissenschaftler deshalb vor, eine grosse Studie über einen längeren Zeitraum durchzuführen. Eine frühere Analyse der WHO-Datenbank im «European Journal of Clinical Pharmacology» fand ebenfalls mehr Herz-Gefässerkrankungen bei Ranibizumab, andere Studien wiederum fanden keine Zusammenhänge zwischen den Anti-VEGF-Augenspritzen und Herz-Gefässerkrankungen.

Insgesamt werden unerwünschte Wirkungen nur zu einem sehr kleinen Teil gemeldet. Dies umso weniger, wenn beispielsweise ein Notfallarzt keinen Zusammenhang mit einer Augenspritze vermutet.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.

Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:



_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Pillen

Die Politik der Pharmakonzerne

Sie gehören zu den mächtigsten Konzernen der Welt und haben einen grossen Einfluss auf die Gesundheitspolitik.

Medikamente_Antibiotika1

Preise von Medikamenten

Medikamente verschlingen jeden vierten Prämienfranken. Warum müssen die Kassen viel mehr zahlen als im Ausland?

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...