Kommentar
Trumps hohe Zölle – die Schweiz ist der ideale Sündenbock
Die «grösste Niederlage seit Marignano» oder «das ist der Selenski-Moment für die Schweiz» – die Reaktionen der Schweizer Medienwelt auf den seit dem Morgen geltenden Steuersatz von 39 Prozent auf die meisten Exporte in die USA sind eindeutig. Aber sie sind auch völlig übertrieben. Denn im Unterschied zur Ukraine etwa geht es nicht unmittelbar um Leben und Tod.
Stattdessen geht es «nur» um wesentliche Änderungen im geo-, finanz-, wirtschafts- und handelspolitischen Umfeld. Die Schweiz hatte sich bestens in der regelbasierten Ordnung der vergangenen Jahrzehnte zurechtgefunden. Nun, da sonnenklar geworden ist, dass solche nicht mehr länger gelten, können emotionale Reaktionen wohl kaum überraschen.
Die Schweizer Regierung mag sich in diesem Rahmen scheinbar ungeschickt verhalten haben und Grund für Kritik geben. Aber was heisst das schon, wenn weltpolitisch plötzlich archaische Gesetze das Geschehen dominieren, wenn auch im scheinbar zivilisierten Westen das Recht des Stärkeren gilt und wenn staatspolitische Ziele über den höflichen, diplomatischen Umgang miteinander gestellt werden?
In den Augen Donald Trumps und seiner Entourage jedenfalls hat der «regelbasierte» Freihandel in der Realität nicht gehalten, was Handelstheoretiker aus den Elfenbeintürmen immer versprochen hatten – dass sich die Handelsströme zwischen den verschiedenen Ländern langfristig ausgleichen.

Die chronischen Defizite und der dahinserbelnde Mittelstand der USA widerlegten das bekannte Theorem des britischen Ökonomen David Ricardo über die ausgleichende Wirkung von komparativen Vorteilen, behaupten sie und gehen nun mit aller Macht dagegen vor. Die Schweiz kommt ihnen dabei gerade gelegen, um ein Exempel zu statuieren. Schliesslich erzielt sie merkliche Überschüsse im Handel mit den USA und in den Augen vieler auswärtiger Betrachter war sie schon immer berüchtigt dafür, sowohl den Fünfer und auch das Weggli haben zu wollen.
Nun mag sich die Schweiz kurzfristig gedemütigt fühlen. Letztlich aber ist die Welt nicht untergegangenen, sondern hat sich nur etwas verändert. Bei den Zöllen ist das letzte Wort mit grosser Wahrscheinlichkeit noch nicht gesprochen – und selbst wenn, liessen sich die neuen Rahmenbedingungen gestalten.
«Wie wäre es – wenn wir statt Kommentar-Spalten zu füllen, den Bundesrat zu kritisieren, die Uhrenbosse die Schuld der Pharma zuschieben und die Linken den Rechten und umgekehrt – wenn wir gemeinsam Wege suchen», argumentiert zum Beispiel der langjährige Präsident der Globetrotter Group André Lüthi auf Linkedin. Damit meint er, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen und die Offenheit für den Rest der Welt. Visionäre blicken dabei nicht nur nach Asien, sondern immer öfter auch nach Afrika, einem völlig unterentwickelten Markt.
Bei aller Emotionalität – die Welt dreht sich weiter und die Schweiz wird sich an die neuen Rahmenbedingungen anpassen. Das politische Geschick dafür hat sie in der Vergangenheit zu Genüge bewiesen. Und die Wirtschaft war schon immer anpassungsfähig – auch ohne dass der Staat mit grosser Kelle anrührt, was verschiedenste Lobbyisten gerne hätten und plump dafür plädieren. «Die Option, einfach den Kopf in den Sand zu stecken, nicht mehr zu produzieren und von Steuerzahlern Kurzarbeit zahlen zu lassen, muss die allerletzte Option sein», argumentiert denn auch Simon Michel, CEO der Ypsomed-Gruppe.

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Keine
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