Kolumne Pietro Vernazza

Professor Pietro Vernazza © zVg / ChatGPT

Antibiotika in der Schwangerschaft und mögliche Spätfolgen

Pietro Vernazza /  Eine neue Schweizer Studie lässt aufhorchen: Antibiotika könnten relevante längerfristige Nebenwirkungen haben.

Red. – Dies ist ein Gastbeitrag von Professor Pietro Vernazza. Er war bis Sommer 2021 Chefarzt der Infektiologie/Spitalhygiene am Kantonsspital St. Gallen. 

_____________________

Antibiotika gelten als eine der grössten Errungenschaften der modernen Medizin. Seit der Entdeckung des Penicillins haben sie zahllose Leben gerettet, und viele früher gefürchtete Komplikationen bakterieller Infektionen sind heute selten geworden. Auch in der Schwangerschaft werden sie oft eingesetzt – immer mit dem Ziel, Mutter und Kind vor den Folgen einer Infektion zu schützen. Doch wie sicher sind Antibiotika in dieser sensiblen Lebensphase wirklich?

Vom Resistenzproblem zum Mikrobiom

Lange Zeit war die grösste Sorge beim Antibiotikaeinsatz die Entwicklung von Resistenzen. Für die einzelne Schwangere im Moment der Einnahme hat das allerdings meist keine unmittelbare Relevanz. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten ist uns zunehmend bewusst geworden, dass Antibiotika noch eine andere, sehr weitreichende Wirkung haben: Sie verändern unser Mikrobiom.

Die Gemeinschaft von Milliarden Bakterien im Darm beeinflusst unseren Stoffwechsel, unsere Immunantwort und sogar die Entwicklung von Allergien. Studien zeigen, dass Störungen des Mikrobioms – sogenannte Dysbiosen – eine  sogenannte Th2-dominierte Immunreaktion begünstigen und damit die Entstehung von Asthma, Neurodermitis oder Nahrungsmittelallergien fördern können. «»

Eine gross angelegte Studie in «Nature Communications» identifizierte 2021 charakteristische Mikrobiom-Veränderungen bei Kindern mit Allergien: weniger Bifidobacterium longum, mehr entzündungsfördernde Keime wie Ruminococcus gnavus – und damit ein höheres entzündungsförderndes Potenzial.

Neue Metaanalyse aus der Schweiz

Vor diesem Hintergrund ist eine im Januar 2025 im «Journal of Infection» erschienene Schweizer Metaanalyse spannend. Die Autorinnen haben untersucht, welche langfristigen Gesundheitsfolgen bei Kindern nach Antibiotika während der Schwangerschaft in der Literatur bekannt sind.

Die Ergebnisse: Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft Antibiotika erhielten, hatten ein signifikant erhöhtes Risiko für Neurodermitis, Asthma, Nahrungsmittelallergien, Atemwegserkrankungen und Übergewicht. Auch Fieberkrämpfe, Bewegungsstörungen und sogar Krebs traten häufiger auf.

Wichtig ist: Die Studie zeigt Korrelationen, keinen Kausalzusammenhang. Es könnten also auch die zugrunde liegende Infektion oder andere Faktoren sein, welche die beobachteten Risiken erklären. Doch die parallel wachsende Evidenz zum Einfluss des Mikrobioms liefert einen plausiblen Mechanismus, warum gerade Antibiotika solche Effekte haben könnten.

Korrelation – und das Angebot eines Mechanismus

In der Epidemiologie reicht eine Korrelation allein nicht aus, um Kausalität zu belegen. Doch wenn zusätzlich ein biologisch plausibler Mechanismus existiert, wird der Verdacht stärker. Genau hier kommen die Mikrobiom-Studien ins Spiel: Sie zeigen, dass Antibiotika die bakterielle Vielfalt im Darm langfristig reduzieren können – und dass solche Veränderungen mit Allergien und anderen immunologischen Erkrankungen verknüpft sind. Dieser denkbare Mechanismus ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg von der reinen Beobachtung hin zu einem möglichen kausalen Verständnis.

Fazit

Rund ein Viertel aller Schwangeren weltweit erhält mindestens einmal während der Schwangerschaft Antibiotika – in den USA sogar bis zu 40 Prozent. Und etwa 80 Prozent aller verschriebenen Medikamente in der Schwangerschaft sind Antibiotika. Angesichts dieser Zahlen ist die Schweizer Metaanalyse ein deutlicher Hinweis: Wir sollten Antibiotikatherapien in der Schwangerschaft nicht nur wegen der akuten Risiken und Resistenzfragen kritisch abwägen, sondern auch im Hinblick auf mögliche Spätfolgen für die Kinder.

Sicher werden Antibiotika in der Schwangerschaft heute schon zurückhaltend eingesetzt. Doch die Möglichkeit, dass ihr Einsatz auch längerfristige Folgen für die Kinder haben könnte, sollten wir weiter sorgfältig untersuchen.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.

Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:



_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Antibiotika

Wenn Antibiotika nicht mehr wirken

Eine tödliche Gefahr im Spital: Keime, die gegen Antibiotika resistent sind, verbreiten sich seit langem.

Bildschirmfoto 2022-10-28 um 12.25.44

Wissenschaft

Transparent, reproduzierbar und unabhängig von wirtschaftlichen Interessen sollte sie sein.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...