Kommentar

Die Maga-Kulturrevolution in Bildung und Forschung als Eigentor

Beat Hotz-Hart © zvg

Beat Hotz-Hart /  Die US-Regierung will Forschung und Wissenschaft gleichschalten. Dies wird den USA schaden und China nützen.

Red.– Beat Hotz-Hart war bis zu seiner Emeritierung 2013 Professor für angewandte Volkswirtschaftslehre an der Universität Zürich. Er arbeitete über 20 Jahre beim Eidgenössischen. Volkswirtschaftsdepartement, unter anderem als Vizedirektor des Bundesamts für Berufsbildung und Technologie. An der Harvard University absolvierte er eine Zusatzausbildung. Als Mitglied des Universitätsrates der Universität Zürich und Experte beim Schweizerischen Nationalfonds setzt sich Beat Hotz-Hart weiterhin für die Wissenschaft ein.

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Zurzeit läuft in den USA eine eigentliche Kulturrevolution. Sie wird durch «Make Amerika Great Again» (Maga), die breit verankerte Maga-Bewegung, vorangetrieben. Die Kulturrevolution, wie sie in Wissenschaft und Forschung exemplarisch deutlich zum Ausdruck kommt, wurde sorgfältig vorbereitet und wird von der Maga-Regierung entschlossen und konsequent durchgeführt. 

Eliten, vor allem Intellektuelle, werden sehr kritisch beurteilt, ausser sie seien Milliardäre. Kaum im Amt, verbot Trump per Verordnung alle, auch bereits laufende Förderung von Forschung, die mit Diversität, Gleichheit oder Inklusion zu tun hat (abgekürzt DEI für Diversity, Equity and Inclusion). Es folgte eine Liste von weiteren in der Regierung verbotenen Begriffen wie Transgender oder Covid. Forschungsgesuche – auch bereits bewilligte – wurden nach diesen Begriffen überprüft. Wurde dabei eines dieser Wörter gefunden, kam es zum sofortigen Entzug der Fördergelder, in einzelnen Fällen sogar zum Arbeitsverbot. 

Forschung soll auf Maga-Linie gebracht werden

Unter der Führung des Office of Management and Budget (OMB) legte jedes Ministerium und jede Behörde den von ihnen gesponserten Partnern wie Hochschulen und Forschungsinstituten eine Liste mit 36 Fragen vor. Damit sollten die bisherige Ausrichtung und eine allfällige politische Gefährdung erhoben werden. Gefragt wurde u.a. nach beteiligten Organisationen, die im Widerspruch zu US-Interessen und Vorstellungen stehen, finanziellen Abhängigkeiten etwa von WHO oder China, erwarteter Beitrag zur nationalen Sicherheit, Zusammenhang mit Migration, kritischen Inhalten in Lehre und Forschung wie DEI, Gender, Rechte der Frauen, Klima- oder Umweltgerechtigkeit, damit verbundenen Bundesbeiträgen und ihren Erträgen. Aus den Antworten wurde gemäss einem Punktesystem eine Beurteilung vorgenommen. Die Skala soll auch künftig für die Priorisierung der Mittelvergabe der Ministerien und Förderagenturen verwendet werden. Dieser Fragebogen ging unter anderen auch an die ETH Zürich, die ihn allerdings nicht beantwortet hat. 

Die Wissenschaft soll auch materiell auf Maga-Linie gebracht werden. Ende Mai 2025 unterzeichnete Trump ein Dekret, das alle Bundeseinrichtungen und -behörden dazu verpflichtet, wissenschaftliche Forschung und die Kommunikation von deren Ergebnissen künftig an einem «Goldstandard» auszurichten. 

Wissenschaftliche Projekte, die nicht diesem Standard entsprechen, dürfen bei der Entscheidungsfindung der Regierung künftig keine Berücksichtigung mehr finden. Auch wenn dafür richtige und wichtige Kriterien gewählt worden sind wie Falsifizierbarkeit von Hypothesen, Transparenz und Reproduzierbarkeit, ist es neu ein Büro in den Bundesbehörden mit einem noch zu ernennenden Maga-Trump-loyalen Beauftragten, der diesen Goldstandard interpretiert und überprüft, ob er eingehalten wird. Die letzte Entscheidung darüber, was wissenschaftlich ist, liegt damit bei einer politisch ernannten Behörde. Diese zensiert nicht einzelne Ergebnisse, vielmehr setzt sie die generellen Regeln für deren Gültigkeit. So hielt beispielsweise der neu eingesetzte Präsident der «National Science Foundation» fest, dass Programme zur Förderung von «Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion» nicht mit dem Goldstandard der Wissenschaft vereinbar seien und deshalb nicht weiterverfolgt würden.

Universität Harvard widersetzte sich, andere Universitäten spurten

Bereits im März 2025 hatte die Maga-Regierung begonnen, die staatliche Unterstützung für insgesamt 60 Universitäten und Hochschulen zu überprüfen. Als Gründe nannte sie unter anderem angeblichen Antisemitismus an den Universitäten im Zuge pro-palästinensischer Demonstrationen seit dem Beginn des Gaza-Krieges und erliess politische Direktiven. Die Universitäten reagierten darauf unterschiedlich. Die Columbia-Universität etwa lenkte ein und reformierte unter anderem ihre Disziplinarverfahren gegen Studierende. Harvard widersetzte sich und klagte gegen die US-Regierung. Daraufhin legte das Bildungs- und Gesundheitsministerium der Harvard Universität einen detaillierten Vertrag vor. Dieser enthält eine Vielzahl einschneidender Forderungen.

Einzuhalten seien Vorschriften für Berufungsverfahren von akademischem Personal und Zulassung von Studierenden – beides mit ausdrücklichem Einbezug der Bundesregierung, Verschärfung der Disziplinarordnung für Studierende, Forderungen zur inhaltlichen Ausgestaltung von Lehrplänen und Ausrichtung der Forschung. Es seien unverzüglich Verfahren einzurichten, mit denen alle Harvard-Mitglieder sowohl der Universitätsleitung als auch der Bundesregierung melden können, wenn die in diesem Vertrag beschriebenen Reformen nicht eingehalten werden. Dabei geniessen diese Personen Immunität. Weiter habe die Universität der Bundesregierung quartalsweise einen Bericht vorzulegen, der ihre Fortschritte bei der Umsetzung der verlangten Reformen dokumentiert. Unterstrichen wurden diese Forderungen damit, dass die eingefrorenen Bundeszuschüsse für Harvard auf 3,3 Milliarden Dollar pro Jahr erhöht wurden, sowie mit zahlreichen weiteren Drohungen. Bereits früher hatte die Trump-Regierung angeordnet, dass an der Harvard-Universität keine Ausländer mehr studieren dürfen. 

Studierende aus dem Ausland sind nur noch mit Vorbehalt willkommen

Da Ausländer gemäss der Maga-Bewegung die USA primär ausnutzen wollten und meistens «woke» seien respektive der Maga-Bewegung ablehnend gegenüberstehen würden, stellt die US-Regierung seit Ende Mai bis auf weiteres für Studierende, Forschende und Austauschschüler keine Aufenthaltsbewilligungen mehr aus. Auch dafür war wesentlicher Auslöser deren vermeintliche Unterstützung von Palästinensern und Kritik an Israels Verhalten im Gaza-Krieg. Deshalb werden neue Richtlinien zur genaueren Überprüfung der Antragsteller erarbeitet, wozu auch ihr Verhalten in sozialen Medien zählt.

Das Ziel sei, sicherzustellen, dass Menschen, die sich in den USA aufhalten, die Gesetze verstehen, keine kriminellen Absichten hegen und einen Beitrag zum Leben dort leisten. Im akademischen Jahr 2023/24 waren mehr als 1,1 Millionen Studierende aus dem Ausland an amerikanischen Universitäten eingeschrieben, mit Abstand am meisten aus Indien und China. Sie steuerten gegen 44 Milliarden US-Dollar zur US-Wirtschaft bei. 

Drastische Kürzungen bei den Forschungsgeldern

Die Maga-Regierung fordert massive Kürzungen in allen Bereichen der Wissenschaftsfinanzierung: Die US National Institutes of Health (NIH), mit einem Jahresbudget von rund 48 Milliarden USD der weltweit grösste Sponsor biomedizinischer Forschung und Hauptförderer der amerikanischen Gesundheitsforschung, sollen etwa 40 Prozent ihres Budgets im Vergleich zu 2024 einbüssen. Das Fördervolumen der National Science Foundation (NSF), wichtigste Institution, um staatlich finanzierte Grundlagenforschung an US-Hochschulen und Universitäten zu unterstützen, soll von jährlich knapp zehn Milliarden US-Dollar (2023) um 57 Prozent gekürzt werden.  

99 Prozent der Mittel der NSF für die Forschung im Bereich saubere Energie sollen gestrichen werden. Die NSF-Abteilung Bildung müsste mit einer Kürzung um 75 Prozent, Mathematik und Physik um 66,8 Prozent und Geowissenschaften um 44,6 Prozent rechnen. Allerdings muss der Kongress diese Anträge noch genehmigen, was bei dessen gegenwärtiger Maga-Mehrheit wahrscheinlich ist. 

Kahlschlag bei den Stipendiaten

Im Visier ist weiter der wissenschaftliche Nachwuchs. Die begehrten Doktorandenstipendien der NSF sollen um die Hälfte gekürzt werden. Damit dürfte die Zahl der Personen, die jährlich Unterstützung für NSF-Aktivitäten erhalten, von 330’000 auf etwa 90’000 sinken. Die politische Kontrolle bei der Vergabe von Stipendien zeigt sich am Beispiel der besonders prestigeträchtigen Fulbright-Stipendien. Dort bereits bewilligte Stipendien wurden annulliert. Das Auswahlverfahren für die Stipendiaten soll rückwirkend den Maga-Kriterien angepasst werden. 

Sollte dies alles Realität werden, dürfte das Forschungs- und Innovationssystem der USA einen für längere Zeit irreparablen Schaden nehmen. Die USA würden ihre weltweit führende Position in Wissenschaft und Technologie verlieren. China holt Talente zurück, gibt wesentlich mehr für Forschung und Entwicklung aus und wird die Führung übernehmen. 

Die Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) steigen in China seit einigen Jahren deutlich stärker als diejenigen der USA und dürften je nach Szenario 2030 rund 70 Prozent grösser sein.  

In China bestimmt die Partei, in den USA die Maga-Regierung

Ähnlich wie die Maga-Bewegung in den USA beeinflusst in China die Kommunistische Partei die Lehrtätigkeit an den Universitäten, wenn auch mit anderen Zielen. Seit einigen Jahren ist sie bestrebt, Neu-Eintretende vermehrt für ein Ingenieur-Studium zu gewinnen: 2022 waren es 36 Prozent aller Erstsemestrigen, was 1,6 Millionen Studierenden entspricht. Studiengänge, welche die Partei als Treiber des wirtschaftlichen Wachstums vor allem im High-Tech-Bereich sieht wie Künstliche Intelligenz, Medizintechnologie oder Drohnentechnologie, werden ausgebaut. Die Studierenden und ihre Familien verstehen dies als ein Signal der Politik, wo künftig Beschäftigungsmöglichkeiten zu erwarten sind, und folgen diesen Angeboten bereitwillig. Andere Studienrichtungen wie Musik oder Englisch werden zurückgefahren. Ausgebaut werden hingegen Studiengänge in Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas, Marxismus oder Xi Jinpings politische Philosophie, die sich alle einer starken Nachfrage erfreuen.

Die Gleichschaltung in den USA gemäss den Maga-Kriterien etabliert eine neue Kultur in Forschung und Wissenschaft. Öffentliche Institution wie Ministerien und Förderagenturen, aber auch Hochschulen und der Wissenschaftsbetrieb werden gleichgeschaltet, Kritiker eingeschüchtert und ausgeschaltet. Dies entspricht einem kompetitiven Autoritarismus (Levitsky und Way) wie er in ähnlichem Stil von Victor Orbán in Ungarn und Recip Erdoğan in der Türkei praktiziert wird.  Die USA werden für sie zur Projektionsfläche und Legitimation und geben autoritären Kräften weltweit auftrieb. China und Russland teilen die Auffassung der Maga-Bewegung über politische Kontrolle dieser Bereiche. Sie werden dies für ihre Zwecke zu nutzen wissen. Und Europa?

Wichtige Aufgabe der Universitäten: Kontroverse Debatten fördern

Die Community von Bildung, Forschung und Wissenschaft muss dagegenhalten. Wer, wenn nicht sie? Der US-Kongress fällt als Korrekturfaktor bis auf weiteres aus. Der Ausgang von Gerichtsverfahren ist angesichts des politisierten Obersten Gerichts ungewiss; zudem dauern sie viel zu lange.

Aufgabe der Hochschulen ist es, unabhängig, unbequem und kritisch zu sein und nicht dem Mainstream zu folgen, insbesondere wenn der Maga heisst. Universitäten müssen, wie es der Rektor der Universität Zürich, Michael Schaepman, am Dies 2025 ausgedrückt hatte, «herausfordern und für Aufregung sorgen». Sie sind der Vielfalt der Standpunkte verpflichtet und müssen den Respekt vor der freien Forschung und kontroversen Debatte verteidigen. Universitäten müssen sich gegen staatliche Machteingriffe wehren und ihre Fähigkeit bewahren, dem Konformitäts-Bias zu widerstehen und weiterhin individuelle Spitzenleistungen zu fördern.


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