Meinungsfreiheit

Der Kampf gegen Lügen kann zur Lizenz für Zensur werden. © Depositphotos

«Desinformation»: Das neue Wort, um Meinungen zu verbieten

Heinz Moser /  Der Kampf gegen Desinformation droht die Meinungsfreiheit zu untergraben, findet der Journalist Jakob Schirrmacher.

Die Meinungsfreiheit ist mit dem Regierungswechsel in Deutschland zum umstrittenen Politikum geworden. Anlass war der folgende Absatz im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD: «Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Deshalb muss die staatsferne Medienaufsicht unter Wahrung der Meinungsfreiheit auf der Basis klarer gesetzlicher Vorgaben gegen Informationsmanipulation sowie Hass und Hetze vorgehen können.» In der Desinformation aus dem Internet und von Social Media wird eine der grössten Gefahren vermutet, welcher die Demokratie ausgesetzt ist.

Für Jakob Schirrmacher ist dies das jüngste Kapitel in einer zunehmend unheimlichen Geschichte staatlicher Eingriffe in den öffentlichen Diskurs. Der Journalist und Dozent setzt sich in einer Streitschrift kritisch mit der Meinungsfreiheit in Deutschland auseinander.

Es sei eine Lehre von Ereignissen wie der Coronakrise oder dem Ukraine-Krieg, dass das, was gestern noch als sichere «Fake News» verdammt wurde, morgen vielleicht schon Konsens der Wissenschaft sei. So wird heute die Frage des Ursprungs der Corona-Pandemie aus chinesischen Labors wieder breit diskutiert, während solche Meinungen zu Beginn der Pandemie als klare Desinformation deklariert worden waren.

Desinformation – ein unscharfer Containerbegriff

Problematisch ist für Schirrmacher bereits die Definition dessen, was Desinformation bedeutet. Er sieht drei Spielarten:

1. Desinformation durch irreführende oder unzuverlässige Informationen, wo es um die Frage nach «richtig» oder «falsch» geht.

2. Desinformation als strategische Täuschung und Manipulation.

3. Desinformation als Gefährdung für Demokratie und Gemeinwesen.

Der Begriff der Desinformation sei so unscharf, dass er sich zu einem riesigen Containerbegriff für alles verwandelt, was man bedenklich empfindet. Einmal seien es banale Falschmeldungen, dann aber auch handfeste Propaganda oder komplexe Täuschungsoperationen. Desinformation werde häufig aber auch in den Kontext nationaler Sicherheit gestellt: Man warnt vor fremdgesteuerten Kampagnen, welche demokratische Prozesse destabilisieren sollen.

Doch auch bei solchen politischen Zusammenhängen gehen die Meinungen oft auseinander. So verweist Schirrmacher auf die Pentagon-Papiere der Siebzigerjahre, die aus Regierungssicht als gefährliche Störung betrachtet worden seien, aus der Sicht vieler Bürger hingegen als dringend notwendige Offenlegung eines Missstands.

Nicht immer ist klar und eindeutig, wo die Desinformation beginnt. Dazu gehört die gesamte Bandbreite von Irrtum, gezielter Manipulation und strafbarer Persönlichkeitsverletzung.

Jakob Schirrmacher, Desinformiere Dich!
Jakob Schirrmacher, Desinformiere Dich!

Ein Beispiel aus der Schweiz: Vor den eidgenössischen Wahlen 2023 verbreitete der SVP-Nationalrat Andreas Glarner ein KI-generiertes Video (Deepfake) auf X und Instagram. Darin war angeblich die grüne Nationalrätin Sibel Arslan zu sehen und zu hören, wie sie sich abfällig über kriminelle Türken äusserte und zur Wahl der SVP aufrief. Das Ziel war offensichtlich, Arslan zu diskreditieren und gleichzeitig die SVP zu bewerben. Die Perfektion der Darstellung bedeutete einen klaren Fall von Identitätsmissbrauch, da Arslan Aussagen in den Mund gelegt wurden, die sie nie gemacht hatte und die im krassen Widerspruch zu ihren politischen Überzeugungen standen. Ein Basler Zivilgericht verlangte schon am nächsten Tag die sofortige Löschung des Videos.

Das Recht auf Lügen

Nach Schirrmacher müsste es allerdings ein Recht auf Lügen geben, das auch spekulative Irrtümer und abweichende Gedanken umfasst, selbst wenn diese auf den ersten Blick absurd oder völlig falsch erscheinen. Alu-Hüte und die Meinung, dass die Erde eine Scheibe ist, sollten nicht schon deshalb verboten werden, weil sie leicht als falsch erkannt werden können. Der Kampf gegen Desinformation droht die Meinungsfreiheit selbst zu untergraben, wenn er sich nicht – wie beim Fall von Sibel Arslan – auf klar umgrenzte, strafbare Inhalte bezieht, sondern in jene Grauzonen eindringt, in welchen Meinungsbildung geschieht.

Vor diesem Hintergrund ist auch der Titel des Buches «Desinformiere dich!» zu verstehen. Er provoziert und fordert auf, nicht vorschnell einzuknicken, wenn der Ruf nach Zensur oder Überwachung laut wird.

Zwar kann man nicht tatenlos zuschauen, wenn auf Social Media rechtsextremistische Ideen, Propaganda von russischen Trollfabriken und Fake News verbreitet werden. Doch die Demokratie kann nicht dadurch geschützt werden, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird. Wo staatliche Autorität und Technologien sich zu eng miteinander verbünden, kann es zum «Overblocking-Effekt» kommen: Viele Plattformen löschen aus Furcht vor staatlichen Sanktionen lieber zu viele als zu wenige Nachrichten, die beanstandet werden. Das führt dazu, dass unliebsame, aber nicht rechtswidrige Debattenbeiträge gekappt werden. Demokratien benötigen eine lebendige Streitkultur und keine zu schnelle Verengung des Meinungskorridors.

Dabei spielen nicht nur staatliche Vorgaben, sondern auch die Algorithmen der Technologiekonzerne eine zentrale Rolle: Sie entscheiden, welche Inhalte sichtbar werden und welche in der Informationsflut untergehen. Die algorithmische Steuerung kann bestimmte Meinungen oder Themen überproportional verstärken oder ausblenden – oft ohne dass die Nutzer dies bemerken. Die Furcht, dass Algorithmen die Wahrnehmung dessen, was als relevant oder wahr gilt, prägen, ist gerade bei der Plattform X mit ihrem oft unberechenbaren Besitzer Elon Musk zum Diskussionsthema geworden.

Das Problem: Faktenchecks

Im Zusammenhang mit der Desinformation stehen auch Faktenchecks in der Kritik, also der Versuch, umstrittene Sachverhalte durch Experten zu klären. Auch Nachrichtenmedien und Talkshows hätten, so der Bremer Soziologe Nils Kumkar gegenüber der «taz», im Zuge der Debatte um Fake News zunehmend darauf umgestellt, diese selbst als Problem zu thematisieren. «Wenn es einen politischen Konflikt gibt, wird sofort geguckt: Können wir ihn nicht aus der Welt schaffen, indem wir die Faktengrundlage klären.» Politische Meinungskonflikte würden so zu Faktenkonflikten umdefiniert.

Oft hat man das Gefühl, dass in den Medien Faktenchecks vor allem dienen, die vorher dort geäusserten Meinungen zu rechtfertigen. «Infosperber» hat immer wieder auf solche Probleme hingewiesen. Etwa, dass die Branche der Faktenchecker gekauft und kompromittiert sei. Und er hat vor einäugigen Faktencheckern bei grossen Medien oder bei der Corona-Pandemie gewarnt.

Alternative: Schwarmintelligenz

Als Alternative zu Faktenchecks haben Technologiekonzerne wie Facebook sogenannte «Community Notes» eingeführt – dies nach dem Vorbild von Elon Musks Social-Media-Plattform X. Damit verschiebt Meta-Chef Mark Zuckerberg die Faktenkontrolle von unabhängigen Prüfstellen auf die Masse der Nutzer und damit auf die sogenannte «Schwarmintelligenz» zurück.

So definiert Meta «Community Notes»:

«Die Community schreibt und entscheidet, nicht Meta oder Faktenprüfer

Eine kleine Gruppe von Faktenprüfern entscheidet nicht, welche Beiträge eine Community-Note erhalten oder wie aussagekräftig sie sein sollen. Auch Meta und seine Überprüfungsteams entscheiden nicht. Meta stellt sicher, dass die Beiträge und ihre Anmerkungen den Gemeinschaftsstandards entsprechen.

Werden Sie Mitwirkender

Um diese Funktion nutzen zu können, müssen Sie in den USA ansässig und über 18 Jahre alt sein, über ein Konto verfügen, das älter als 6 Monate und in gutem Zustand ist, und eine verifizierte Telefonnummer haben oder eine Zwei-Faktor-Authentifizierung eingerichtet haben.»

Natürlich steht hinter Community Notes auch die Strategie der Technokonzerne und ihres DOGE-Zampanos Elon Musk, die Kosten für Faktenchecks klein zu halten. Aber das bereits aus Wikipedia bekannte Modell der Schwarmintelligenz hat auch seine Vorteile. Es sind nicht mehr einzelne Expertinnen und Experten, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Nutzer, die mit ihren Anmerkungen Kontext zu Beiträgen hinzufügen und eigene Sichtweisen einbringen. Für die Leserinnen und Leser der Posts wird es damit leichter, die Aussagen zu beurteilen und deren Überzeugungskraft zu gewichten

Im Buch Schirrmachers kommt die Frage der Community Notes etwas zu kurz. In einem Interview mit der Berliner Zeitung hält der Autor jedoch fest, dass er diesen Ansatz die bessere Alternative findet. Nutzerinnen und Nutzer können Beiträge markieren und darauf hinweisen, dass ein Beitrag irreführend oder eine Statistik aus dem Kontext gerissen sei. Die Möglichkeit, Aussagen zu widersprechen, unterstützt einen breiteren Kontext in Diskussionen, die zu führen sind, ohne Inhalte von vorneherein zu löschen.

Aber auch Community Notes lösen längst nicht alle Probleme um die Desinformation. Auch wer eigene Notes verfasst, lässt darin eigene Ideologien und politische Bewertungen einfliessen. Vor allem können solche Notes nicht für den Diskurs, sondern auch von organisierten Gruppen zur Durchsetzung ihrer Positionen verfasst werden.

Einige Autorinnen und Autoren wenden ein, dass solche Communities nur dann Wirkung zeigen, wenn sie sehr schnell aufgeschaltet werden – also bevor schon wieder eine neue sprichwörtliche Sau durchs Dorf getrieben wird. Community Notes dürften also öfters zu spät kommen, nämlich erst dann, wenn sich die Debatten bereits wieder auf andere Themen konzentrieren.

Das grösste Problem aber wird in Zukunft bestehen, wenn KI so weit verfeinert ist, dass zwischen Fake und Wirklichkeit kaum mehr unterschieden werden kann. Heute sind Falschmeldungen oft noch grob genug, um leicht widerlegt zu werden. Als am 17. Juni 2025 ein Fake‑Account auf X den vermeintlichen Tod der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek verbreitete, genügte eine kurze Anfrage bei der Autorin, um diesen Fakt zu klären. Wenn aber komplexe politische Konflikte von allen Seiten mit scheinbar plausiblen Argumenten und bewusst inszenierten Fake-Informationen (Texte, Videos, Fotos etc.) bespielt werden, dann kann es für Bürgerinnen und Bürger fast unmöglich werden, eine klare Wahrheit zu finden.

Wenn Meinungsfreiheit sich ins Gegenteil verkehrt

Auch die Berufung auf Meinungsfreiheit kann nicht der rettende Anker sein. Das belegen die Ereignisse in den USA. Hier ging die Trump-Regierung mit dem Argument gegen die Universitäten vor, diese bevorzugten «woke» Positionen. Besonders betroffen waren Programme zur Förderung benachteiligter Gruppen sowie Initiativen zur Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Geschlecht oder Hautfarbe. Die von der Regierung eingeforderte Meinungsfreiheit traf auf die Meinungsfreiheit der betroffenen Universitätsangehörigen, die als Folge ihre Anstellungen verloren. Ironischerweise führte gerade die Berufung auf Meinungsfreiheit dazu, dass die andere Seite ihre Meinungsfreiheit und die damit verbundenen beruflichen Perspektiven verlor.

Das Fazit

Es gibt keine Zauberformel für Meinungsfreiheit und Schutz der Demokratie gegen Fake-News, Unwahrheiten und Hass-News. Wenn die Debattenkultur zu sehr eingeschränkt wird, leidet die demokratische Auseinandersetzung genauso, wie wenn zu wenig gegen Demagogen unternommen wird.  Es sind deshalb mehrere Aspekte zu beachten, die zusammenwirken müssten:

Was auch dazu gehört, das ist jene Überlegung, die Jakob Schirrmacher mit dem Titel seines Buches verbindet: «Verlass dich nicht auf die vorgekaute Kost, die dir über Algorithmen oder Fakenews-Gremien der sogenannte Faktenchecker serviert wird. Stelle die richtigen Fragen, denke quer, höre die Gegenposition – und bilde dir dein eigenes Urteil.»

– Sanktionen sind zum einen über das Strafgesetzbuch möglich: Das betrifft Rechtsgüter wie  die persönliche Ehre, die Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden oder den öffentlichen Rechtsfrieden bzw. die Rechtsgüter verhetzter Gruppenangehöriger.

– Der Staat muss darauf achten, dass er den Diskursraum nicht zu stark verengt und zensuriert, was seinem Staatsverständnis widerspricht.

– Ein gutes Mittel zum Einbezug der Bürgerinnen und Bürger sind Community Notes. Hier ist allerdings noch eingehend zu diskutieren, wie diese wirksam ausgestattet werden können.

Im Grunde nimmt Jakob Schirrmacher nur auf, was sein verstorbener Vater Frank – als Herausgeber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (FAZ) einer der wichtigsten Journalisten der damaligen Bundesrepublik – in einem seiner letzten Bücher («Playback» von 2009) gefordert hat: Wissen erlange man nur, wenn man sich selbst nicht als berechenbares Wesen wahrnimmt. Die Bildung der Zukunft lehre, Computer zu nutzen, um durch den Kontakt mit ihnen das zu lehren, was nur Menschen können.

Weiterführende Informationen

  • Jakob Schirrmacher, «Desinfomiere Dich! Eine Streitschrift», erschienen im Eigenverlag

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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