Illustration Atomkrieg

Die verheerenden Folgen einer Atombombe. Mehr als die Hälfte der Nationen weltweit hat sich für den Atomwaffensperrvertrag ausgesprochen. © twindesigner / Depositphotos

Der Atomwaffen-Irrsinn in Zahlen

Martina Frei /  Die Atommächte horten Nuklearwaffen mit einer Sprengkraft von rund 146'000 Hiroshima-Atombomben. Und rüsten weiter auf.

In ihrem aktuellen Bericht schätzt die «Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen» (Ican), wie viel Geld die neun Atomwaffen-Staaten allein im Jahr 2024 für Atomwaffen ausgegeben haben: rund 190’000 Dollar pro Minute bzw. 274 Millionen pro Tag. Im Jahr 2021 waren es 138’700 Dollar pro Minute (Infosperber berichtete).

Noch Anfang 2022 hatten die fünf offiziellen Atomwaffenstaaten – die USA, Russland, China, Frankreich und Grossbritannien (P5) – in einer gemeinsamen Erklärung behauptet:

«Wir wollen mit allen Staaten zusammenarbeiten, um das endgültige Ziel einer Welt ohne Atomwaffen zu erreichen, und bekennen uns zu unserer Verpflichtung aus dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag, Verhandlungen über ein Ende des atomaren Rüstungswettlaufs und ein Abkommen zur vollständigen Abrüstung zu führen.»

Doch die Zahlen, die Ican nun vorlegt, zeigen, wie verlogen das war: Von 2020 bis 2024 verdoppelten sich die Ausgaben für Atomwaffen in den USA. In Grossbritannien stiegen sie in diesem Zeitraum um rund 50 Prozent, in Frankreich um etwa 40 Prozent. Die anderen sechs Atommächte gaben laut Ican etwa gleich viel oder maximal fünf Prozent mehr aus. Allerdings wies das «Stockholm International Peace Research Institute» (Sipri) kürzlich darauf hin, dass beispielsweise Russlands Militärbudget schwierig zu überblicken sei (Infosperber berichtete). Zu den neun Staaten, die Nuklearwaffen bauen und horten, gehören neben den P5 auch Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea.

Mindestens 128 Millionen flossen an Lobbyisten

Ican konnte 22 Firmen ausfindig machen, die in grossem Stil von der nuklearen Aufrüstung profitieren. Sie verdienten 2024 mindestens 43,5 Milliarden Dollar mit Atomwaffen. Letztes Jahr ergatterten sie im Zusammenhang mit Nuklearwaffen neue Aufträge im Wert von etwa 20 Milliarden Dollar, die sich zu den laufenden Verträgen von 463 Milliarden addieren.

Allein in den USA und in Frankreich hätten diese Firmen ihren Lobbyisten letztes Jahr über 128 Millionen Dollar bezahlt. In Grossbritannien beispielsweise trafen sich Firmenmitarbeiter 196-mal mit hochrangigen Regierungsvertretern und sogar 18-mal mit engsten Mitarbeitern des Premierministers, ergab die Ican-Recherche

Ican: «Hidden Costs: Nuclear Weapons Spending in 2024» Firmen
Bei diesen Firmen konnte Ican herausfinden, wie viel Geld sie im Zusammenhang mit Atomwaffen erhielten (Angaben in Millionen US-Dollar). Rechte Spalte: Anteil an den Gesamteinnahmen der Firma.

Verglichen mit dem Atomwaffen-Geld haben die Vereinten Nationen ein Mini-Budget

Als positiv wertet der Ican-Bericht, dass den neun Staaten, die 2024 über 100 Milliarden Dollar in Nuklearwaffen steckten, 98 andere Länder gegenüberstehen, die den Atomwaffensperrvertrag bereits unterzeichnet haben oder auf dem Weg dorthin sind.

Einige Schätzungen der Ican: 

  • China hat 600 Nuklearwaffen. Ihre Wirkung entspricht der von 18’630 Hiroshima-Bomben. Mit dem Geld, das China letztes Jahr für diese Waffen ausgab, hätte es das 3,5-fache Budget der Vereinten Nationen bezahlen können. 
  • Russland verfügt über 5449 Nuklearwaffen mit einer Sprengkraft von 63’532 Hiroshima-Bomben. Pro Minute gab Russland im vergangenen Jahr 15’000 Dollar allein für seine Atomwaffen aus. Mit diesem Geld hätte es das Budget der Vereinten Nationen mehr als zweimal bezahlen können. 
  • Die USA besitzen 5277 Nuklearwaffen – umgerechnet wären das 59’644 Hiroshima-Bomben. Etwa 180’000 Dollar wendeten die Steuerzahler dafür 2024 pro Minute auf. Zum Vergleich: Mit dem Geld könnten die USA fast 16-mal das Budget der Vereinten Nationen bezahlen.
  • Indien verfügt über 172 Nuklearbomben, Pakistan über 170. Zusammen haben die Bomben beider Länder eine Sprengkraft von 570 Hiroshima-Bomben. Anstatt das Geld in Atomwaffen zu investieren, hätten sie damit mehr als das gesamte Budget der Vereinten Nationen decken können.
  • Frankreich besitzt vermutlich 290 Nuklearwaffen. Ihre Sprengkraft ist so gross wie 1993 Hiroshima-Bomben. Pro Minute bezahlten die französischen Steuerzahler letztes Jahr rund 12’000 Euro für die Atomwaffen – wie viel genau an welche Firma gingen, hält die Regierung geheim. Mit dem Geld für die Atomwaffen hätte Frankreich das gesamte Budget der Vereinten Nationen für 2024 zweimal bezahlen können. 
  • Grossbritannien hat 225 Nuklear-Sprengköpfe mit einer Sprengkraft von 1500 Hiroshima-Bomben. Die britischen Steuerzahler kostete das pro Minute 19’800 Dollar. Sie hätten stattdessen auch das Budget der Vereinten Nationen für drei Jahre bezahlen können, doch ihre Regierung entschied anders. 
  • Israel hortet schätzungsweise 90 Nuklearwaffen mit einer Detonationskraft von 165 Hiroshima-Bomben. Medienberichten zufolge sollen auch deutsche Firmen vom Bau israelischer Atom-U-Boote profitieren. 

Diese Zahlen weichen für China, Russland und die USA von jenen ab, die das «Stockholm International Peace Research Institute» im Januar 2024 schätzte (China: 500, Russland: 5580, USA: 5044). Ican stützt sich auf den Nuclear Ban Monitor und gibt an, dass ausschliesslich einsatzbereite und potenziell explosionsfähige Nuklearwaffen für die Schätzung herangezogen wurden und keine ausgemusterten.

Europäische Regierungen verweigern die Auskunft

Die Niederlande, Belgien, Deutschland, Italien und die Türkei dienen als europäische Horte für US-Atomwaffen. Wie viel dies koste, werde vor den Steuerzahlern der beteiligten Länder geheim gehalten, kritisiert Ican. 

Mit Ausnahme der Türkei würden alle diese Länder derzeit F-35A Kampfjets kaufen, welche Atomwaffen abwerfen können. Griechenland und die Türkei hätten bereits Flugzeuge, die dazu in der Lage seien. Deutschland habe schon im Jahr 2022 für 10 Milliarden Euro 35 Exemplare des F-35 bestellt und erwäge, 8 weitere zu kaufen. Italien orderte 25 zusätzliche F-35, Belgien kündigte kürzlich eine Nachbestellung von weiteren 11 F-35 an. Die Niederlande erhielten letztes Jahr 40 von 52 bestellten F-35 – und beabsichtigen weitere 6 zu bestellen. 

Bereits jetzt haben alle Nuklearwaffen weltweit zusammen eine Sprengkraft wie 146’298 «Little Boys», schätzt Ican. «Little Boy» nannten die Amerikaner die Atombombe, die sie am 6. August 1945 über der japanischen Stadt Hiroshima abwarfen. Und das Aufrüsten geht weiter.


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Keine
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5 Meinungen

  • am 21.06.2025 um 14:17 Uhr
    Permalink

    Mitnichten handelt es sich um «Irrsinn», es sei denn, man setzt menschliches Denken und Handeln mit Irrsinn gleich. Verhaltensweisen sind in einem bestimmten Grad angeboren, Einstellungen und das Denken nicht, sie werden erworben (Die Umwelt formt den Menschen). Wir leben in einer Welt, in der die MEGuS (Mächtigen, Egoistischen, Gierigen und Skrupellosen) das Sagen haben. So lange die Massen diesen mit offenem Maul hinterher rennen, ändert sich nichts. Schon immer haben es die «Eliten» verstanden, das «dumme Volk» für ihre Zwecke auszunutzen, mit den entsprechenden Machtmitteln. Wer wagt es heute, der Propaganda auf beiden Seiten zu widersprechen, die behauptet: wir brauchen die Atombombe – zur Abschreckung. Selbst das schlimmste Leid bringt die Menschen nicht zur Vernunft, es wird immer Ausbeuter und Ausgebeutete (ideell und materiell) geben. Wer das Geld hat, hat die Macht. Und er will immer mehr davon, wofür, weiß er selber nicht. Die Eigentumsfrage ist der Schlüssel allen Handelns

  • Heinrich Frei
    am 21.06.2025 um 16:13 Uhr
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    Ein Atomkrieg könnte die ganze Menschheit ausrotten. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die Erde mehrmals am Abgrund einer atomaren Katastrophe. Durch einen Verrückten, durch ein Missverständnis oder eine technische Panne könnte ein nuklearer Schlagabtausch ausgelöst werden, Pannen, die wir bei Computersystemen immer wieder erleben. Atombomben müssen abgeschafft werden. Schon der Einsatz von 100 Atombomben würde einen nuklearen Winter auslösen, gefolgt von weltweiten Hungernöten,
    Schweizer Geldinstitute investieren in Rüstungskonzerne. Sie legten auch Geld an in Firmen, die an der Herstellung von Anti-Personenminen, Clusterbomben und nuklearen Sprengköpfen beteiligt waren. Laut dem Kriegsmaterialgesetz der Schweiz ist die «direkte und indirekte Finanzierung» von verbotenem Kriegsmaterial jedoch klar untersagt. Verbotene Waffen sind in der Schweiz chemische und biologische Waffen, Atombomben, Streubomben und Antipersonen Minen. – Was soll’s Geschäft ist Geschäft, heisst es in Bern?

  • am 21.06.2025 um 17:25 Uhr
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    Sehr aufschlussreiche Aussage im Artikel: «Ican konnte 22 Firmen ausfindig machen, die in grossem Stil von der nuklearen Aufrüstung profitieren. Sie verdienten 2024 mindestens 43,5 Milliarden Dollar mit Atomwaffen. Letztes Jahr ergatterten sie im Zusammenhang mit Nuklearwaffen neue Aufträge im Wert von etwa 20 Milliarden Dollar, die sich zu den laufenden Verträgen von 463 Milliarden addieren.»
    Es lässt sich schon die hypothetische Frage stellen, oben die Konflikte im Nahen Ost und in der ehemaligen Sowjetunion gezielt inszeniert werden konnten, um so eine Atom-Kriegsangst zu erzeugen, um so die Regierungen und Parlamente Nordamerikas und der europäischen Nato-Staaten überzeugen zu können den Geldhahn zu öffnen, damit die Arsenale mit Atom- und konventionellen Waffen grenzenlos gefüllt werden können, damit die möglichen unermesslichen Schmiergelder in die Taschen von Kriegsangst-Gewinnlern fliessen können, weil sich alle blenden lassen.
    Gunther Kropp, Basel

  • am 21.06.2025 um 18:02 Uhr
    Permalink

    In Deutschland als europäischer Hort für US-Atomwaffen lagern allein schon ca. 400 Atombomben. Das sind gesicherte Zahlen der Deutschen Regierung. Und niemand kümmerts.

  • am 22.06.2025 um 08:59 Uhr
    Permalink

    => Jürgen Schiebert, Potsdam am 21.06.2025 um 14:17 Uhr
    «Mitnichten handelt es sich um «Irrsinn»» – eigentlich haben Sie recht,jedenfalls wenn man Ihre
    MEGuS als legitimes Gesellschaftsmodell betrachtet – und de facto ist das doch seit
    Ewigkeiten so, allen Beteuerungen und partiellen Abschwächungen zum Trotz. ABER : durch die Leistung menschlicher Intelligenz (Grundlagenforschung!) hat Ihr MEGuS Mittel in die Hand
    bekommen,die er zwar benutzen, aber vorraussichtlich nicht mehr beherrschen kann. Und DANN
    geht ALLES, auch MEGuS, drauf. Und so gesehen,also in der zeitlich-räumlichen Extrapolation,
    ist es dann eben doch Irrsinn. Vielleicht so : «Ist es auch Wahnsinn, hat es doch Methode».Das sollte man – jedenfalls versuchsweise – den Leuten wie Trump,Netanyahu,Putin,Chamenei nahebringen – falls es nicht schon zu spät ist

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