Zurück zur Hochpreisinsel – zum Schaden der Konsumenten
Red. – Dies ist ein Gastbeitrag von Rudolf Strahm, ehemaliger Preisüberwacher und alt SP-Nationalrat. Sein Artikel erschien zuerst in der «Handelszeitung».
_____________________
In der Juni-Session werden wir einen Angriff wettbewerbsfeindlicher Interessen ins Herz des Wettbewerbsrechts erleben. Es geht dabei nicht um irgendwelche Kartellchen unter lokalen Baumeistern oder Asphaltfirmen. Es geht vielmehr um die volkswirtschaftlich gewichtigste, milliardenschwere Wettbewerbsbehinderung, die unter dem populären Begriff «Hochpreisinsel» die Gewerbetreibenden und Konsumenten schädigt.
Es geht konkret um den Angriff gegen die Praxis der Wettbewerbskommission (Weko), die sich in letzter Zeit erfolgreich und abgestützt mit einem Leitentscheid des Bundesgerichts gegen sogenannte Vertikalabreden durchgesetzt hat. Vertikale Wettbewerbsabreden, meist von ausländischen Herstellern durchgesetzt, sind zum Beispiel die Blockade, Produkte direkt von der Schweiz aus im Ausland zu beschaffen, oder die fremde Vorgabe des (höheren) Schweizer Verkaufspreises. Im Leitentscheid von 2016 ging es um die Nichtbelieferung von Denner mit Elmex-Zahnpasta und um deren Preishochhaltung durch den Alleinimporteur Gaba.
Milliarden-Kosten durch höhere Preise
Die Weko stützte sich auf das Kartellgesetz (KG) und erhielt höchstrichterlich bestätigt, dass die vereinbarten Abreden und Liefervorschriften, wenn sie in Lieferverträgen oder durch Kronzeugen belegt sind, als wettbewerbsschädigend und strafbar gelten. Gesamtwirtschaftlich entstanden, wie die Fachhochschule Nordwestschweiz in Gutachten errechnete, Milliarden-Kosten durch höhere Importpreise, verglichen mit den Preisen im Ausland.
Doch die hiesigen Nutzniesser der Hochpreisinsel inszenierten bald ein politisches und parlamentarisches Lobbying gegen die neue Praxis der Weko – vergleichbar mit der Einschüchterung der Finma, als diese die Bankenaufsicht verstärken wollte. Eine Motion des freisinnigen Waadtländer Ständerats Olivier Français von 2018 verpflichtete den Bundesrat, gegen seinen Willen diese Weko-Praxis aufzuweichen.
Den Anwälten wären Tür und Tor geöffnet
Bei der Konkretisierung im Kartellgesetz (KG) wehrte dann der Ständerat diese Angriffe auf die Weko ab. Doch die lobbyabhängige Mehrheit der Wirtschaftskommission (WAK) des Nationalrats beantragt nun für die Juni-Session zwei fundamentale Abschwächungen des Wettbewerbsrechts: Erstens soll die Weko in Zukunft neben der unerlässlichen vertragsrechtlichen Beweisführung auch «quantitative» Gesichtspunkte einbeziehen. Konkret heisst dies, die Weko müsste nicht nur (wie heute) die Wettbewerbsabrede, sondern auch den ökonomischen Schaden und anderes mehr beweisen. Und zweitens, bei Lieferbindungen von Konzernen oder relativ marktmächtigen Lieferanten soll die Weko die Missbräuchlichkeit «einzelfallweise» und nur mit erhärteten «Erfahrungswerten» und mit den «konkreten Umständen» auf dem Markt beweisen müssen.
Beide Fussangeln würden bei Annahme die Kartellverfahren extrem erschweren, verzögern und den Rechtsanwälten die Tür zu unendlichen Beweisanträgen öffnen. Denn die Bezifferung der langfristigen Schädlichkeit aufgrund längerer Erfahrungen sind dehnbare Ermessenswerte.
Zum Verständnis: Wenn ich mit dem Auto eine Kreuzung bei Rotlicht überfahre und ich werde geblitzt, genügt dieser Beweis für die saftige Busse. Ich kann nie geltend machen, ich hätte ja keinen Schaden verursacht. Im Analogiefall zum WAK-Vorschlag müsste mir der Staat für die Bestrafung zuerst einen Schaden beweisen.
Die Doppelbödigkeit der «Sonntagsliberalen»
Fünf ehemalige Weko-Präsidenten warnten in einer gemeinsamen öffentlichen Stellungnahme vor dieser fundamentalen Schwächung des geltenden Kartellrechts. Sie konstatieren «eine Erschwerung des Kampfs gegen Marktabschottung und Hochpreisinsel Schweiz».
Nachdem sich das Kartellgesetz von 1995 bei Vertikalabsprachen als lückenhaft erwiesen hatte und eine zögerlich geführte Weko das Thema lange umschiffte, befördert heute die entscheidfreudige Weko-Präsidentin Laura Baudenbacher aufgrund der Bundesgerichtsentscheide den Kampf gegen die Hochpreis-Lieferproblematik. Die seinerzeit von Gewerbekreisen, namentlich von Gastrosuisse und vom Konsumentenschutz lancierte Fair-Preis-Initiative hatte den politischen Druck dazu verstärkt. Es ist davon auszugehen, dass die gleichen Kreise das Referendum gegen die Nationalratslösung, sollte sich diese durchsetzen, ergreifen würden. Ein Referendumserfolg steht angesichts der hohen Sensibilität für Kaufkraft ausser Zweifel.
Im Marktbekenntnis steckt viel Verlogenheit. Man spricht von «Sonntagsliberalen»: Sie predigen am Sonntag Wettbewerb und Marktwirtschaft, und von Montag bis Samstag unternehmen sie alles, um den Wettbewerb unter Anbietern zu verhindern. Bezeichnend ist das zwiespältige Verhalten der konzernhörigen Economiesuisse, die uns stets den Wettbewerb predigt und nun die fundamentale Schwächung des Kartellgesetzes durch die Mehrheit der WAK-Nationalrat explizit unterstützt. Doppelbödiger geht’s nicht!
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Rudolf Strahm war SP-Nationalrat und eidgenössischer Preisüberwacher. Er war sieben Jahre SP-Zentralsekretär, wirkte vier Jahre als Präsident des bernischen und 13 Jahre als Präsident des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbandes (Deutschschweiz).
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ihre Meinung
Lade Eingabefeld...