PutinundObama

Am Rande der UNO-Generalversammlung vom September 2015: Trotz Prosit frostige Stimmung © srf

Putin-Obama: Vom Vertrauen zum Säbelrasseln

Red. /  Wie hat sich das anfängliche Vertrauen zwischen Putin und Obama inzwischen in tiefes Misstrauen und Säbelrasseln verwandelt?

Red. Der folgende Beitrag ist in der Tageszeitung «Baltimore Sun» (USA/Maryland) vom 30. Oktober 2016 erschienen. Der Autor des Beitrages, Ray McGovern, war Offizier in der US-Armee und dann 27 Jahre lang Auswerter bei der CIA; während dieser Zeit war er Leiter der Abteilung Sowjetische Aussenpolitik und später Berichterstatter an den Präsidenten während der ersten Amtszeit von Präsident Reagan.

Das Verhältnis zwischen Barack Obama und Wladimir Putin erreichte seinen Höhepunkt, nachdem Putin Syrien überzeugt hatte, seine chemischen Waffen zur kontrollierten Vernichtung freizugeben. Das gab Obama die Möglichkeit, die Pläne für einen Angriff auf Syrien im Spätsommer 2013 einigermassen elegant in der letzten Sekunde abzusagen.

Doch Ende Oktober auf einer internationalen Konferenz im russischen Urlaubsort Sotschi am Schwarzen Meer sprach Putin vom «fiebrigen» Zustand der internationalen Beziehungen und klagte: «Meine persönlichen Vereinbarungen mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten haben keine Ergebnisse erbracht.» Er beschwerte sich über «Leute in Washington, die bereit sind, alles Mögliche zu tun, um die Umsetzung dieser Vereinbarungen zu verhindern», und verurteilte mit Bezug auf Syrien das Fehlen einer «gemeinsamen Front gegen den Terrorismus nach derartig langen Verhandlungen, gewaltigen Anstrengungen und schwierigen Kompromissen».

«US-Militär hört nicht auf den Oberbefehlshaber»

Einen Monat zuvor hatte der russische Aussenminister Sergey Lavrov, der seine Worte mit Bedacht wählt, dem russischen Fernsehpublikum gesagt: «Mein guter Freund John Kerry (…) steht unter heftiger Kritik aus der amerikanischen Militärmaschine. Trotz Kerrys Versicherungen, dass der US-Oberbefehlshaber, Präsident Barack Obama, ihn bei seinen Kontakten mit Russland unterstütze (das hat er während seines Treffens mit Präsident Wladimir Putin bestätigt), hört das Militär anscheinend nicht wirklich auf den Oberbefehlshaber.»

Das sollte man nicht für Verfolgungswahn halten. Die Luftangriffe der US-geführten Koalition auf bekannte Stellungen des syrischen Heeres, die etliche Dutzende Soldaten gerade fünf Tage nach Beginn der Waffenruhe im September getötet haben — ganz zu schweigen von zeitgleichen Verlautbarungen der obersten US-Generalität — waren Beweis genug, um die Russen davon zu überzeugen, dass das Pentagon darauf aus war, eine echte Zusammenarbeit mit Russland zu sabotieren.

Das Verhältnis zwischen dem amerikanischen und dem russischen Präsidenten hat jetzt einen Tiefpunkt erreicht, und Putin hat sein eigenes Verteidigungsministerium angewiesen, den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Am 6. Oktober sagte der Sprecher des Ministeriums, Generalmajor Igor Konaschenkow, dass Russland bereit sei, unbekannte Flugzeuge — einschliesslich eventueller Tarnkappenflugzeuge — über Syrien abzuschiessen, und warnte, dass die russische Luftabwehr nicht die Zeit haben werde, den Ursprung des Flugzeugs festzustellen.

Medien blenden Russlands Warnungen aus

Es scheint im Bereich des Möglichen, dass die US-Luftwaffe diese Behauptung zu gegebener Zeit testen wird – vielleicht sogar ohne vorher um Genehmigung durch das Weisse Haus zu ersuchen. Vergangene Woche bemerkte der Chef der US-Nachrichtendienste und frühere Luftwaffengeneral James Clapper beiläufig: «Ich würde es ihnen schon zutrauen, ein amerikanisches Flugzeug abzuschiessen, (…) wenn sie denken, es gefährde ihre Truppen am Boden.»

Zusätzliche Unsicherheit bekommt die Lage dadurch, dass führende Nachrichtenkanäle die Warnungen Russlands herunterspielen oder ausblenden. Falls die russische Luftabwehr ein Flugzeug der USA oder der Koalition abschiesst, werden dieselben Medien den Abschuss als nackte Aggression aus dem Nichts darstellen; deshalb darf man erwarten, dass US-Amerikaner, die sich auf die Massenmedien verlassen, entsprechend entsetzt wären.

Währenddessen erklärte Verteidigungsminister Ashton Carter Journalisten in Europa beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel Ende Oktober, dass die USA als «wichtiges Zeichen des amerikanischen Engagements, die Abschreckung hier zu verstärken, (…) eine Panzerbrigade als dauerhaft rotierende Kampfgruppe» stellen werde.
«Das war eine Entscheidung, die von den Führern des Bündnisses in Warschau getroffen wurde», erklärte er mit Bezug auf das Gipfeltreffen der Nato im Juli in der polnischen Hauptstadt. «Die Vereinigten Staaten werden ein Bataillon in Polen führen und eine vollständige kampfbereite Bataillonseinsatzgruppe von ungefähr 900 Soldaten aus dem in Deutschland stationierten ‚Zweiten Motorisierten Regiment‘ (‚2nd Cavalry Regiment‘) dislozieren.»

«Der dreisteste Putsch der Geschichte»

Auf der Valdai-Tagung von Ende Oktober im russischen Urlaubsort Sotschi am Schwarzen Meer warf Präsident Putin dem Westen vor, den «Mythos» einer «russischen militärischen Bedrohnung» zu fördern. Er nannte das ein «profitables Geschäft», das man nutzen könne, «um Verteidigungsetats aufzublähen (…), die Nato auszudehnen und ihre Infrastruktur, Militäreinheiten und Waffen näher an unsere Grenzen heranzubringen».

Ob Mythos oder nicht, der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier hatte recht, als er im vergangenen Frühjahr darauf verwies, es führe zu weniger regionaler Sicherheit, wenn man sich an den Grenzen Russlands militärisch positioniere. Steinmeier warnte vor «Säbelrasseln» und fügte hinzu: «Wir sind gut beraten, keine Vorwände für eine neue, alte Konfrontation frei Haus zu liefern.»

Apropos «Vorwände»: Es wird höchste Zeit anzuerkennen, dass die deutliche Zunahme der Spannungen zwischen Ost und West in den vergangenen zweieinhalb Jahren auf den vom Westen unterstützten Staatsstreich in Kiew am 22. Februar 2014 und die russische Reaktion darauf in Form der Annexion der Krim zurückgehen. US-Amerikaner, die von dem, was ihnen die Leitmedien vorsetzen, falsch informiert werden, leben in seliger Unwissenheit darüber, dass YouTube zwei Wochen vor dem Putsch eine Aufnahme eines abgehörten Gesprächs zwischen der Abteilungsleiterin im US-Aussenministerium, Victoria Nuland, und dem US-Botschafter in Kiew veröffentlicht hat. Darin wurde «Jaz» (Arsenij Jazenjuk) als Washingtons Kandidat für den neuen Premierminister der Putschregierung in Kiew genannt.

Diese einzigartigen Umstände veranlassten George Friedman, den Vorsitzenden der US-Denkfabrik «Stratfor», den Putsch in Kiew als «wirklich den dreistesten Putsch der Geschichte» zu bezeichnen.

Es wird Zeit, dass westliche Politiker und Medien ihre Lektion lernen, und auf die Verlautbarungen aus Russland achten. Fragen Sie sich: Ist dies alles nur Hype?»

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Deutsche Übersetzung: Tim Slater


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Ray McGovern war Offizier in der US-Armee und dann 27 Jahre lang Auswerter bei der CIA

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Eine Meinung zu

  • am 8.11.2016 um 21:52 Uhr
    Permalink

    Am 13.9.2016 tritt der russisch/amerikanische Waffenstillstand für Ostaleppo in Kraft. Die islamistischen Milizengruppen in Ostaleppo reduzieren ihren Beschuss auf Westaleppo, stellen ihn jedoch nie ganz ein. Dutzende Zivlisten die durch die von Russland bereitgestellten Fluchtkorridore aus Ostaleppo fiehen wollten, wurden von den Dschihadisten ermordet. Am 17.9.2016 wurde bei Deir al Zour die syrisch arabische Armee von der US-Koalition aus der Luft bombadiert. Dort kämpften die Syrischen Armeetruppen gegen dn IS. Nach dem Bombadement der US-Koalition, wobei über 60 syrische Armeeanghörige starben, überrannte der IS die Hügel bei Deir al Zour nun. Der vom syrischen roten Halbmond bereitgestellte Hilfskonvoi wurde am 19.9.2016 nach Angaben eines renommierten Nahostexperten wahrscheinlich Islamstengruppen angegriffen. Der von Obama und Kerry mit Putin und Lawrow ausgehnadelte Plan einer gemeinsamen Bekämpfung der al Nusra und des IS wurden von Ashton Carter und CIA-Chef James Clapper torpediert.

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