Troll

Substanzlose Kommentare im Sekundentakt: Der Troll ist der Schrecken der Online-Redaktionen © TU/cc

Wenn der Leser als Last empfunden wird

Jürg Müller-Muralt /  Die Aktivitäten der Leserschaft in den Online-Kommentarspalten beschäftigt die Redaktionen. Erste Medien ziehen Konsequenzen.

Er fackelt nicht lange. Er überfliegt den Lead und die ersten paar Sätze eines Online-Artikels, dann legt er los, hämmert seine Meinung in die Kommentarspalte, und zwar täglich rund 200 Beiträge. Um Substanz geht es ihm nicht, sondern um Krawall. Er will provozieren und nicht debattieren, er sucht explizit den Streit. Im Netzjargon nennt man solche Leute Trolle. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (FAZ) hat einen Troll besucht und eine hervorragende Reportage veröffentlicht.

Der Troll ist der Schrecken der Online-Redaktionen. Ihn haben alle vor Augen, wenn sie über die Qualität von Leserbeiträgen reden. Doch die Sache beschränkt sich nicht auf den Extremfall: «Viele Online-Medien haben ein Problem mit der Qualität ihrer Leserreaktionen», schreibt Medien-Journalist Nick Lüthi in der «Medienwoche». «Beleidigungen, Rassismus und viel Ahnungslosigkeit: Leserkommentare zählen zu den grossen Ärgernissen und Enttäuschungen in den Online-Medien», findet Lüthi; doch gleichzeitig gehörten die Kommentarbereiche zu den beliebtesten Rubriken.

«Schwarmdummheit»

Das Thema beschäftigt Medienschaffende und Verlage in zunehmendem Masse. Im vergangenen Jahr veröffentlichte der deutsche Journalist Arno Frank eine Streitschrift mit dem Titel «Meute mit Meinung: Über die Schwarmdummheit». Enttäuscht schreibt Frank: «Was eine Debatte unter Gleichgestellten sein könnte, verwandelt sich zusehends in ein Schlachtfeld aus Gedankentrümmern und Meinungsmorast.» Die Kommentarfelder der Medien seien nicht selten «öde Scrollgeröllhalden», gefüllt «mit rauchenden Wortwracks und Satzruinen, soweit Auge und Geduld reichen.»

«Böse Zungen, grosse Mäuler»

Nicht viel optimistischer tönte die Einladung zum Berner Medientag vom 8. November 2014: «Böse Zungen, grosse Mäuler, gute Riecher: Volkes Stimme in den Medien». Schon immer habe sich das Publikum in den Medien artikulieren können, doch die Digitalisierung habe zu einem Quantensprung geführt: «Im Sekundentakt wird alles und jedes kommentiert, oft ohne dass sich die Kommentierenden mit den Inhalten auseinandersetzen. Das bietet nicht immer Mehrwert für Mitleser und Redaktion». Aus diesem Einladungstext spricht sehr viel Ärger und Frustration. Und auch am Medientag selbst hat man keinen Ausweg aus dem Dilemma zwischen freier Meinungsäusserung der Leserinnen beziehungsweise Leser einerseits und der Durchsetzung eines einigermassen gesitteten Umgangs anderseits gefunden. Bei den Redaktionen klafften die Meinungen offenbar auseinander, steht in der Tagungszusammenfassung. «Eine allgemein gültige Zauberformel fehlt, und das wird wohl vorerst so bleiben», heisst es ernüchtert. Doch immerhin werden auch die Medienschaffenden in die Pflicht genommen: «Journalisten müssen aber ein Bewusstsein für ihre Leser entwickeln und lernen, mit deren Mündigkeit umzugehen.»

Kommentarschreiber eher rechts

Das wäre vielleicht gar kein schlechter Ansatz. Denn der Verweis auf die Provokationen der Trolle wird der Debattenkultur nicht gerecht. Häufig finden nämlich tatsächlich interessante Online-Diskussionen statt, und dabei stossen extreme Haltungen meist irgendwann auf Gegenpositionen der Leserschaft selbst, auch ohne die harte Hand der Redaktion. Was die Debatten zu heiklen Fragen wie etwa Ausländer- und Migrationspolitik allerdings meist etwas einseitig erscheinen lässt, ist der Umstand, dass Kommentarschreiberinnen und -schreiber generell eher rechts stehen, wie auf einem Beitrag auf der SRF-Homepage zu lesen ist. Herausgefunden hat das der in Bremen lehrende Medienwissenschaftler Thomas Friemel, der vor zwei Jahren fast 5000 Kommentarschreiberinnen und -schreiber auf Schweizer Online-Portalen befragt hat. Eingreifen müssen Online-Redaktionen dann, wenn Beiträge rassistisch, sexistisch und persönlichkeitsverletzend sind. Denn bereits 2011 hat der schweizerische Presserat festgehalten, die Medien seien für sämtliche veröffentlichten Inhalte – also auch für Leserkommentare – verantwortlich. Das ist nicht selten aufwändig.

Jetzt suchen einige Medien grundsätzlich andere Lösungen. Die «Süddeutsche Zeitung» (SZ) etwa hat die klassische Kommentarfunktion unter jedem Online-Beitrag im September 2014 ausgeschaltet. Die Debatte wird in die sozialen Netze transferiert. Zudem dürfen Leserinnen und Leser zu drei von der Redaktion ausgewählten Themen des Tages diskutieren. Das sei ein «Novum auf Nachrichtenseiten», hält der Redaktor für den SZ-Leserdialog, Daniel Wüllner, fest. «Das bisherige System, wie Debatten auf den meisten Seiten geführt werden, hat zu viele Schwächen», findet Wüllner. «Unter anderem geht in den Diskussionen zu viel durcheinander, das Freischalten von Beiträgen dauert zu lange, und nicht zuletzt bekommen Pöbler zu oft die Chance, durch die Moderation zu rutschen.» Da ist er wieder, der Troll! Um seine Aktionsmöglichkeiten zu beschränken, lenkt die Redaktion die Debatte. Nun dürfen sich die Leserinnen und Leser der SZ im Netz täglich zu Fragen äussern wie: «Mindestlohn 2015: Wären Ausnahmen für Praktikanten sinnvoll?», «Was sollte der Staat tun, um den Sozialwohnungsbau zu fördern?» oder «Latein: tote Sprache oder Schule des Denkens?» Es sind wohl nicht immer jene Fragen, die der Leserschaft am meisten unter den Nägeln brennen.

Auch die Online-Plattform tagesschau.de sucht nach «neuen Konzepten», die in eine ähnliche Richtung gehen wie bei der SZ: «Was sind für uns die Themen, die am Tag eine Diskussion wert sind? Wir denken durchaus auch darüber nach, Themen einzuschränken.» Was Bettina Less vom Norddeutschen Rundfunk (NDR), die Autorin des Beitrags auf tagesschau.de, von einem Teil ihres Publikums denkt, geht schon aus dem Titel hervor: «Aggressivität im Netz: Wenn der Leser zum Tier wird.» Ob die Autorin mit so viel Aggressivität im Titel die angepeilte nüchterne Debatte erreicht, sei dahingestellt.

Erheblicher Eingriff

Das Ziel dieser Neuausrichtung der Netzdiskussion über journalistische Inhalte ist klar: Mit der Steuerung und Einschränkung der Diskussionsmöglichkeiten nimmt die Redaktion Einfluss auf die öffentliche Debatte. Das tun Medien zwar immer und automatisch, allein schon mit der Auswahl der von ihnen behandelten Themen. Journalismus ist immer Auswahl und Themensetzung. Aber wenn man die Debatte nicht mehr zu allen oder doch zu den meisten behandelten Themen zulässt, dann ist das doch ein erheblicher Eingriff. Die Leserinnen und Leser können nicht mehr selbst bestimmen, worüber sie diskutieren möchten. Die Meinungsäusserungsfreiheit wird dadurch behindert.

Dass die meisten Medienunternehmen die Kommentarfunktionen als störend empfinden und einzuschränken versuchen, liegt im Trend. Verschiedene Medien sind auch dazu übergegangen, die Diskussionsspalte bei bestimmten Beiträgen zu schliessen, spätestens dann, wenn die Debatte gemäss Einschätzung der Redaktion entgleist ist. Das ist aber immer noch etwas anderes als eine völlig gelenkte Debatte.

Es geht auch um Deutungsmacht

Die Einschränkung oder gar Aufhebung der Kommentarspalte bleibt ein zweischneidiges Schwert. Zwar ist die Sorge um das Image eines Mediums bei allzu viel offensichtlicher Leser-Provokation, die meist nur noch wenig mit dem eigentlichen Thema zu tun hat, durchaus berechtigt. Anderseits geht es auch um Macht, um Deutungsmacht. Das Berufsbild der Medienschaffenden ändert sich. Journalistinnen und Journalisten prägen die öffentliche oder veröffentlichte Meinung weniger als in Zeiten vor dem Internet. Das löst auch Verunsicherung aus. Es wäre aber geradezu tragisch, wenn die im Grunde aufklärerische Funktion der Medien dadurch konterkariert würde, dass Journalisten ihrem eigenen Publikum mit wachsenden Misstrauen begegneten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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4 Meinungen

  • am 11.12.2014 um 09:06 Uhr
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    Ist der Meinungsstreit nicht einfach breiter und komplexer geworden? Facts, Meinungen und Analysen fliessen in die unterschiedlichen Lager und Milieus. Zumindest vordergründig steigert sich die Unübersichtlichkeit. Handlungsbedarf – vielfach kurzfristig motiviert – wird vermehrt reklamiert. Was stören da einige Trolls? Mit Krücken bestückt werden sie kaum ins reelle Schlachtfeld ziehen. Lassen wir Ihnen ihre virtuellen Schlachten. Das politische System mit seiner beruhigenden Trägheit – und positiven Leistungen – wird nicht so bald erlöschen solange Freiheiten und Ausgleich institutionell nicht beschnitten werden.

  • am 11.12.2014 um 12:33 Uhr
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    Im Grunde genommen stimmt die Analyse. Das heißt, das Internet ist ein «Schlachtfeld» für sogenannte Trolle. Andererseits ist das Internet für ernste Menschen ein wichtiges Betätigungsfeld, Meinungen im größeren Rahmen zu platzieren. Für Medien und Redaktionen meiner Auffassung nach eine Bereicherung, aber wegen der Menge auch eine Belastung. Meiner Meinung nach ist das Trollendasein kein ausgesprochenes Phänomen des Internet. Es macht nur sichtbar. Im Leben ohne Internet ist es lediglich schwieriger, sich hinter einem Pseudonym zu verstecken, obwohl das Pseudonym kein Pachtgut für Trolle ist.

    Der Beitrag blickt auf die Medienszene im Allgemeinen. Was aber weitaus interessanter ist, wie «Infosperber», den ich sehr schätze, zu diesem Thema steht. Und da wäre noch der Begriff der Trolle (ich meine nicht die norwegischen): Wann beginnt ein Leserkommentator ein Troll zu werden? Auf eine Antwort des «Infosperber» bin ich gespannt.

  • am 11.12.2014 um 13:36 Uhr
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    Es sei mir hier ein Seitenhieb an die Adresse der JournalistInnen erlaubt, da von Satzruinen in Kommentaren die Rede ist. Wer einigermassen bei der Sache ist und Texte nicht nur überfliegt, finden in Medientexten Fehler um Fehler, sowohl sachlich wie auch sprachlich. Ich bin weit davon entfernt, keine Fehler zu machen und bei Kommentaren tippe ich oft sehr schneller als ich sollte. Doch gehören diese meine Texte nicht zu meinem Job und ich verdiene nicht mein Geld damit.
    Angemerkt sein noch, dass die Rangliste vielleicht von 20min und Blick (online) angeführt werden und Infosperber löblicherweise ganz am Ende zu finden ist.

  • am 20.12.2014 um 02:42 Uhr
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    C’est le ton, qui fait la musique, solange Redaktor|inn|en in jede Geschichte möglichst ihre ur-eigene, parteipolitisch vorgefärbte, Interpretation zum Besten zu geben bestrebt sind, muss sich niemand darüber wundern, dass es viele Themen gibt, zu Denen sich überwiegend rechts gerichtete Kreise kritisch äussern.

    Es geht mir selber so, nichts geht mir mehr an den Nerv, als wenn Ideologisch vorgekochte Kost über Themen serviert wird, Leute, die ‹richtig› zuhören, erkennen schon bald mal, woher und wohin der Wind weht. Und ich bin bei Gott kein Rechter, erkenne aber, dass man bei jeder nur denkbaren Gelegenheit versucht, immer nur auf die Gleichen einzuhauen. Deutschland machte es jahrzehntelang vor, erst jetzt beginnen sie zu merken, dass es trotzdem nicht funktionierte, das blanke Gegenteil ist der Fall…

    So vergiften wir uns langsam selbst, jeden Tag ein paar Tropfen mehr, und bricht nicht bald doch noch ein Krieg aus, werden wir wohl, vor lauter Gezänk, uns halt selber abschaffen. Als Land, als Staat, und als Nation. Und die Medien haben nichts Besseres zu tun, als uns dabei und darin noch zu bestärken, dass es ja in Wirklichkeit der einzig gangbare Weg sei, um überhaupt zu überleben.

    Nicht nur Leser, auch Medien werden von vielen Menschen zunehmend als Last empfunden, aber einfach auf Medien zu verzichten, ist nicht möglich. Wir sind schliesslich Alle Teil davon. Oder zumindest bezahlen wir mit. Müssten wir es nicht, ginge es uns vielleicht auch am Rücken vorbei.

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