Kommentar

Wie neugierige Wissenschaftler mundtot gemacht werden

Maryanne Demasi. ©

Maryanne Demasi /  Medizinische Fachzeitschriften sind zu Vollstreckern der Orthodoxie geworden. Gleichzeitig schützen sie erwiesenen Betrug.

Red. – Maryanne Demasi ist eine australische Investigativjournalistin, die für Online-Medien und hochrangige medizinische Fachzeitschriften schreibt. Über ein Jahrzehnt arbeitete sie als TV-Moderatorin für die Australian Broadcasting Corporation. Den folgenden Beitrag veröffentlichte Demasi in ihrem «Substack»-Blog «Maryanne Demasi, reports». Übersetzung und Zwischentitel von Josef Estermann.

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Als wissenschaftliche Autorin und Forscherin habe ich den Niedergang der medizinischen Fachzeitschriften aus erster Hand miterlebt. Einst waren sie Foren für offene Debatten und intellektuelle Strenge, heute sind sie zu Aufpassern geworden, denen es mehr um die Wahrung einer engen Orthodoxie als um die Suche nach der Wahrheit geht.

In einem früheren Artikel habe ich aufgedeckt, wie Fachzeitschriften unbequeme Fragen unterdrücken, Studien verhindern, welche die vorherrschenden Narrative in Frage stellen, und mit einem Peer-Review-System [Gutachter-System – Red.] arbeiten, das durch Voreingenommenheit und externen Einfluss verzerrt ist.

Absurd: die Rücknahme einer Hypothese

Aber noch nie habe ich ein absurderes Beispiel für diesen Verfall gesehen als die Rücknahme einer Hypothese – ja, einer Hypothese! –, die von Dr. Sabine Hazan1 in der Fachzeitschrift «Frontiers in Microbiology» veröffentlicht wurde.

In ihrem Artikel aus dem Jahr 2022 stellte sie die Hypothese auf, dass Ivermectin den Schweregrad von Covid-19 lindern könnte, indem es das Wachstum von Bifidobakterien fördert, was die Entzündung über die Darm-Lungen-Achse bremst.

Sie führte vorläufige Beobachtungen bei 24 Patientinnen und Patienten an, die unter Sauerstoffmangel litten und sich nach einer Kombinationstherapie mit Ivermectin ohne Spitalaufenthalt erholten.

Sie erhob keinen Anspruch auf einen endgültigen Beweis. Stattdessen schlug sie einen Mechanismus vor, der untersucht werden sollte. Das ist der Sinn einer wissenschaftlichen Hypothese.

Doch im Mai 2023 – über ein Jahr, nachdem der Artikel von Fachkolleginnen und Fachkollegen geprüft und veröffentlicht worden war – zog die Zeitschrift die Arbeit nach einer Reihe von Beschwerden auf PubPeer zurück und gab nur eine vage Erklärung zur «wissenschaftlichen Fundiertheit» ab. [PubPeer ist eine US-Website, auf der wissenschaftliche Publikationen diskutiert werden. Nutzer können dort auf Fehler hinweisen. – Red.]

Eisernes Schweigen auf Nachfragen

Auf der Suche nach Klarheit wandte ich mich sowohl an die Redaktion der Zeitschrift als auch an den Redaktor, der die Arbeit bearbeitet hatte, Professor Mohammad Alikhani von der Hamadan-Universität. Ich bat insbesondere um eine Erklärung für den Rückzug einer «Hypothese», erhielt aber keine Antwort. Dieses Schweigen ist bezeichnend. 

Eine solche Rücknahme ist ein ernsthafter Schritt, der traditionell Fällen von Betrug oder eindeutigem ethischem Fehlverhalten vorbehalten ist. Aber hier wurde keine derartige Behauptung aufgestellt – und es konnte auch keine begründet werden.

Verstoss gegen die publizistische Ethik

Die Zeitschrift löschte die Arbeit einfach, ohne eine transparente Begründung zu liefern, ohne sich mit dem wissenschaftlichen Prozess auseinanderzusetzen und ohne Rechenschaft abzulegen. In Tat und Wahrheit wurde gegen die Richtlinien verstossen, die Zeitschriften eigentlich befolgen sollten. 

Das «Committee on Publication Ethics» (COPE; von Fachzeitschriften-Herausgebern gegründetes Komitee zur Publikationsethik – Red.) rät, dass Veröffentlichungen nur dann zurückgezogen werden sollten, wenn sie ernsthaft fehlerhafte oder gefälschte Daten oder Plagiate enthalten, die nicht durch eine Korrektur behoben werden können.

Hazans Arbeit war hinsichtlich ihres spekulativen Charakters transparent. In einem Tweet vom Januar 2023 forderte Hazan ihre Kritiker heraus. «Es handelt sich um eine Hypothese. BEWEIST MIR, DASS ICH FALSCH LIEGE», schrieb sie. Das sei schliesslich das Wesen der Wissenschaft. Doch die Entscheidung der Zeitschrift, die Arbeit zurückzuziehen, ist ein Zeichen dafür, dass selbst wissenschaftliche Hypothesen nicht mehr toleriert werden.

Hexenjagd gegen eine missliebige Wissenschafterin

Nachdem Hazans Kritiker Blut geleckt hatten, wühlten sie weiter. Im Januar 2025 zog die Zeitschrift «Future Microbiology» eine weitere ihrer Studien zurück, in der sie eine auf Ivermectin basierende Kombinationstherapie untersuchte.

Hazan, ihr Mitautor, der australische Immunologe Dr. Robert L. Clancy, und andere kritisierten die Entscheidung vehement, nachdem die Zeitschrift es versäumt hatte, eine aussagekräftige Untersuchung durchzuführen.

Die Ironie ist unübersehbar. Während sich Expertinnen und Experten über die Wirksamkeit von Ivermectin während der Pandemie stritten, war Hazan eine der wenigen, die harte Arbeit leisteten, um die Wirkung des Mittels zu testen – sie sammelte Daten, schlug Mechanismen vor und beschäftigte sich mit der Wissenschaft. Und doch ist sie diejenige, die zum Schweigen gebracht wird! Da stellt sich die Frage: Warum?

Gibt es Berufsneid auf dem Gebiet der Mikrobiom-Forschung? Üben Pharmaunternehmen, die von kostengünstigen Alternativen wie Ivermectin bedroht werden, Druck auf die Fachzeitschriften aus, um konkurrierende Darstellungen zu unterbinden?

Wenn ja, sollte die Securities and Exchange Commission (SEC) [US-Börsenaufsichtsbehörde – Red.] ermitteln. Die Unterdrückung von Forschungsergebnissen, die sich auf die Entscheidungen von Anlegern auswirken könnten, indem der wahrgenommene Wert von antiviralen Medikamenten oder Impfstoffen aufgebläht wird, könnte auf Wertpapierbetrug hinauslaufen.

Wissenschaftliche Fachzeitschriften kapitulieren

Es gibt zwar keine eindeutigen Beweise, aber das Muster ist schwer zu übersehen: zwei Rücknahmen, kein eindeutiges Fehlverhalten und eine wachsende Kampagne zur Diskreditierung einer Wissenschaftlerin, deren Arbeit einen profitablen Status quo in Frage stellt. Ob koordiniert oder nicht, das Ergebnis ist das gleiche – die Löschung unbequemer Daten.

Die Rückgratlosigkeit der Fachzeitschriften in diesen Fällen ist unverkennbar. Warum kapitulieren sie so bereitwillig? Folgen sie einfach dem Geld?

Viele Zeitschriften sind finanziell mit der Pharmaindustrie verflochten – sie sind auf Arzneimittelwerbung, Sponsoring und gewinnbringende Nachdruckverkäufe angewiesen. Diese finanzielle Verflechtung beeinträchtigt die redaktionelle Unabhängigkeit.

Redaktoren, oft unterbezahlt und überlastet, sind verständlicherweise risikoscheu. Sie fürchten Rechtsstreitigkeiten. Sie fürchten die Empörung in den Social Media. Sie fürchten, zur nächsten Zielscheibe gemacht zu werden.

Die Pharmaindustrie macht Druck auf die Wissenschaft

Pharmaunternehmen zögern indes nicht, rechtliche Drohungen einzusetzen, um abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen, denn sie haben für solche Fälle ein grosses Budget – wie im Fall von Covaxin.

Im Juli 2024 verklagte die indische Pharmafirma «Bharat Biotech International Limited» elf Autorinnen und Autoren – sechs von ihnen Studierende – und den Herausgeber von «Drug Safety», Nitin Joshi, wegen eines von Experten begutachteten Artikels, in dem die Sicherheit ihres Impfstoffs Covaxin in Frage gestellt wurde. Die Fachzeitschrift zog den Artikel unter juristischem Zwang zurück. Die Autorinnen und Autoren wurden sich selbst überlassen.

Zeitschriften gehorchen immer mehr der Einheitsdoktrin

Zeitschriften sollten eigentlich für ihre Prinzipien einstehen. Doch zunehmend dienen sie als Vollstrecker der Orthodoxie – anfällig für finanziellen Druck und Druck seitens Online-Aktivistinnen und Aktivisten. 

Seien wir ehrlich, die Trolle sind Teil der Strategie. Anonyme Beschwerden, oft von Personen ohne Fachwissen, werden als Waffe eingesetzt, um Rückzüge auszulösen und den Ruf zu schädigen. Das ist kein Peer-Review. Das ist die Herrschaft des Pöbels.

Die SEC muss dieses Ökosystem genauer unter die Lupe nehmen. Wenn Forschung unterdrückt wird, um Unternehmenseinnahmen zu schützen oder das Vertrauen der Anleger zu manipulieren, ist das nicht nur unethisch, sondern illegal.

Jetzt wäre die Politik gefragt

Während seiner Präsidentschaftskampagne sprach Robert F. Kennedy jr. genau dieses Problem an und erklärte, dass Zeitschriften, die mit Pharmaunternehmen zusammenarbeiten, nach dem RICO-Gesetz (Racketeer Influenced and Corrupt Organizations; US-Bundesgesetz, das vor Handlungen im Rahmen von organisierter Kriminalität schützen soll – Red.) angeklagt werden könnten.

«Wir werden … ein paar Prozesse wegen organisierter Kriminalität anstrengen, wenn Sie nicht anfangen, in Ihren Zeitschriften die Wahrheit zu sagen», warnte er 2023. Das war provokant, ja – aber es traf den Nerv derjenigen von uns, die beobachten, wie die Maschinerie der Wissenschaft ihren Auftrag verrät.

Rückzüge von Fachartikeln werden inzwischen so beiläufig durchgeführt, dass sie jede Bedeutung verloren haben. Was einst ein Zeichen für schwerwiegenden Betrug war, ist heute ein Instrument des Reputationsmanagements.

Artikel werden zurückgezogen, weil sie unbequem sind

Heute werden viele Arbeiten zurückgezogen, nicht weil sie falsch sind, sondern weil sie unbequem sind. Wie sonst lassen sich die nachweislich betrügerischen, von der Industrie finanzierten Studien erklären, die weiterhin veröffentlicht werden?

Der Whistleblower Dr. Peter Wilmshurst hat jahrelang versucht, die in «Circulation» [Fachzeitschrift der US-amerikanischen Herz-Vereinigung–Red.] veröffentlichte «Mist»-Studie2 zurückziehen zu lassen. Sie ist durchsetzt von falschen Behauptungen, nicht deklarierten Konflikten und nicht gemeldeten unerwünschten Ereignissen, doch die Zeitschrift schützt sie weiterhin.

Dies entlarvt die Fäulnis der ganzen Sache. Diese Entscheidungen haben nichts mit Wissenschaft zu tun. Sie sind ein politisches, finanzielles und rufschädigendes Instrument, das selektiv eingesetzt wird, um Andersdenkende zu bestrafen.

Die Liste der Forscherinnen und Forscher, die bestraft werden, wächst – nicht wegen schlechter Wissenschaft, sondern weil sie unbequeme Wahrheiten erforscht haben.

Fachzeitschriften sollten ihre kritische Funktion zurückgewinnen

Zeitschriften müssen ihre Rolle als Plattformen für eine solide wissenschaftliche Debatte zurückgewinnen. «COPE» muss seine Standards durchsetzen, anstatt sie nur zu zitieren. Redaktorinnen und Redaktoren müssen für halbherzige oder vergeltende Rückzüge zur Verantwortung gezogen werden. Und wenn die Unterdrückung der Forschung durch Unternehmen die öffentlichen Märkte verzerrt, dann muss die SEC handeln.

Denn was ich hier beobachte, ist keine wissenschaftliche Neugier, sondern eine Kontrolle des Narrativs. Und der Tod der Neugierde ist der Tod der Wissenschaft selbst.

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1 In einer früheren Fassung des Artikels stand hier, dass Dr. Sabine Hazan Magen-Darm-Spezialistin an der Universität von Florida (USA) sei. Korrekt ist, dass sie nun für die von ihr gegründete Firma Progenabiom arbeitet.
2 In der als «Mist» abgekürzten Studie sollte gezeigt werden, dass der mechanische Verschluss eines angeborenen Lochs in der Wand zwischen den Herzvorhöfen bei Patienten mit Migräne zur Beschwerdefreiheit führt.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Zum Infosperber-Dossier:

Pillen

Die Politik der Pharmakonzerne

Sie gehören zu den mächtigsten Konzernen der Welt und haben einen grossen Einfluss auf die Gesundheitspolitik.

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Wissenschaft

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4 Meinungen

  • am 6.05.2025 um 12:22 Uhr
    Permalink

    Maryanne Demasi, australische Investigativjournalistin, entlarvt in ihrem Beitrag nicht nur die Vorgehensweise medizinischer Fachjournale. Was sie schildert, ist die übliche Vorgehensweise der Medien insgesamt. Kritische Autoren werden entweder verunglimpft bzw. ihre Artikel nicht oder nur sinnentstellend veröffentlicht. Im schlimmsten Fall erhalten sie Berufsverbot (Ulrike Guérot, Patrik Baab). Es steht zu befürchten, dass mit dem Straftatbestand der «Delegitimierung des Staates» – ein Gummiparagraf – die Pressefreiheit entspr. Art. 5 GG weiter eingeschränkt wird. Die aktuelle Uniformität der Medien erinnert fatal an die DDR. Und die sogenannten alternativen Medien haben keine Lobby. So wie die Pharmaindustrie nutzen auch andere Interessengruppen ihre finanzielle Macht (und der Staat seine administrative), um ihre (seine) Interessen und Vorhaben medial zu befördern.

  • am 7.05.2025 um 10:32 Uhr
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    «Peer» hat ganz verschiedene Bedeutungen. Die reichen von «Angehöriger des britischen Hochadels» über «Person mit dem gleichen Status / den gleichen Fähigkeiten» bis zu «Mitglied der gleichen Jugendclique».
    Wenn der «Peer» in der Peer-Review ein sehr guter und nahestehender Kollege ist, dann ist das System natürlich nicht so wertvoll 😉

  • am 7.05.2025 um 15:25 Uhr
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    Dieser Artikel weisst auf den Inhalt einer in der Fachliteratur mehrmals kritisierte Publikation hin, die zurecht zurückgezogen wurde, siehe https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC10212756/
    Auch eine andere Publikation dieser Gruppe wurde zurückgezogen, siehe
    DOI: 10.1186/s12872-025-04554-6 Sabine Hazan et al. «Retraction Note: Cardiac findings in a phase II double-blind randomized placebo-controlled trial of combination therapy (HAZDPac) to treat COVID-19 patients».
    Am Schluss des Artikels von Maryanne Demasi steht «Dr. Sabine Hazan ist Magen-Darm-Spezialistin an der Universität von Florida (USA)». Dazu lässt sich nichts finden, sondern «ProgenaBiome, LLC, 1835 Knoll Dr, Ventura, CA».
    Der Titel dieses Artikels «Medizinische Fachzeitschriften sind zu Vollstreckern der Orthodoxie geworden.» täuscht.
    InfoSperber, sonst immer gut recherchiert, darf sich auch mal täuschen lassen.

    • Portrait Martina Frei 2023
      am 9.05.2025 um 00:53 Uhr
      Permalink

      Ich habe Frau Demasi deshalb angefragt. Sie antwortet: «Was den zurückgezogenen Artikel betrifft, so war das genau der Punkt meines Artikels. Das Wort „Hypothese“ war eindeutig im Titel enthalten – es handelte sich um eine spekulative Arbeit, die von Fachkollegen begutachtet und veröffentlicht und dann zwei Jahre später zurückgezogen wurde, was eindeutig ein Angriff auf die Forscher und nicht auf den Inhalt war. Nicht einmal die Zeitschrift war sich über den Grund für den Rückzug im Klaren. Diese Aktion löste einen Dominoeffekt aus: Es wurde gefordert, alles zu widerrufen, was der Autor jemals veröffentlicht hatte. Aber Rückzüge sind eigentlich Betrug oder schwerwiegenden Fehlern vorbehalten, die die Integrität der Daten beeinträchtigen – siehe die COPE-Richtlinien. Allein die Tatsache, dass man mit dem Ergebnis einer Arbeit nicht einverstanden ist, ist kein Grund für einen Rückzug. Das war auch das Hauptargument meines Artikels.»

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