Kommentar

Das Tabakwerbeverbot ist ein Weckruf für die Werbung

Pascal Sigg © cm

Pascal Sigg /  Die Werbebranche reagiert auf den Volksentscheid mit Unverständnis. Doch die Stimmbevölkerung sieht auch sie in der Verantwortung.

56.6% Prozent der Schweizer Stimmbevölkerung stimmten für die Tabakwerbeverbotsinitiative. Die Annahme wurde hauptsächlich als «Ja» zum Gesundheitsschutz interpretiert. Doch die Sorge um die Gesundheit unserer Kinder kann die grosse Zustimmung in der Schweiz nur teilweise begründen. Diese ist auch ein Weckruf für kommerzielle Werbung an sich.

Denn in der Branche reagierte man bisher bloss mit pikiertem Unverständnis. Der Grundtenor: Die Werbung ist nicht verantwortlich für gesellschaftliche Probleme.

«Die Grundrechte, zu denen auch die Wirtschaftsfreiheit gehört, wurden hier unter dem Deckmantel des Jugendschutzes ausgehebelt», sagte zum Beispiel Catherine Purgly, Geschäftsführerin des Verbands der Werbeagenturen Leading Swiss Agencies im Branchenmagazin Persönlich. Werbeverbote würden keine gesellschaftlichen Probleme lösen. Sondern bloss die Ideen- und Mutlosigkeit der Politik widerspiegeln, die eigentlichen Ursachen des Problems anzugehen.

Ähnlich interpretierte Jürg Bachmann, Präsident des Verbands Kommunikation Schweiz, das Resultat: Die Kampagne hätte gezeigt, dass die Politik immer schneller zu Verboten greifen wolle und die Werbewirtschaft prügle, weil sie das Sachthema nicht lösen könne.

Werbung ist Wirtschaft und Wirtschaft ist Gesellschaft und Gesellschaft ist Politik

Die Annahme der Initiative zeigt daher vor allem auch: Diese Argumentation verfängt nicht mehr. Die klare Trennung von der Sache und deren Bewerbung, mit welcher sich die Branche aus der Verantwortung nimmt, überzeugt offenbar immer weniger.

Die Branche moniert, dass Werbeverbote der verfassungsmässig verankerten Wirtschaftsfreiheit widersprechen. Dies bedeutet aber auch, dass auch sie gesellschaftliche Verantwortung als Wirtschaftszweig trägt. Roland Ehrler, Präsident des Verbands Schweizer Werbeauftraggeber sagte treffend, dass nicht nur die Agenturen, Medien, Vermarkter oder die gerade von Verboten betroffenen Industrien zur Werbebranche gehörten, sondern alle werbenden Unternehmen in der Schweiz. «Und das ist dann fast die ganze Schweizer Wirtschaft!»

Als untrennbarer Teil der Wirtschaft ist eben auch Werbung selbst politisch. Den im Parlament gut vernetzten Branchenverbänden ist dies schon lange bewusst.

Aus der Romandie bläst ein rauherer Wind

Neu ist, dass dies auch die Stimmbevölkerung so sieht. Damit nimmt sie die Werbung selbst in gesellschaftliche Verantwortung und begegnet ihr kritischer. Dies zeigt sich besonders deutlich in der Westschweiz. Für die Tabakwerbeverbotsinitiative gab es fast 75 Prozent Ja-Stimmen im Kanton Genf, über 60 Prozent Ja in der Waadt, im Jura, in den Kantonen Neuenburg und Freiburg.

In der Romandie ist das Misstrauen gegenüber kommerzieller Werbung deutlich grösser als im Rest des Landes. In einer kürzlich veröffentlichten Studie im Auftrag des Verbands Aussenwerbung Schweiz sagten 45% der Befragten in der Westschweiz, dass sie ein Verbot von Plakatwerbung befürworten. In der Deutschschweiz waren es 27%.

Diese Ablehnung zeigt sich konkret. In Genf ist ein Verbot von kommerzieller Aussenwerbung – also hauptsächlich Plakatwerbung – geplant. Das linke Parlament hat eine entsprechende Initiative gegen den Widerstand des linken Stadtrats angenommen. Die Bürgerlichen haben ein Referendum angekündigt. Die Stadt würde damit dem französischen Grenoble folgen, das seit 2014 auf Werbung verzichtet. Auch in der kleinen Gemeinde Mont-sur-Lausanne gibt es angeblich wegen Umweltanliegen keine kommerzielle Aussenwerbung mehr.

Und in Lausanne zerstörte im Herbst eine Gruppe von Vandalen systematisch Werbeträger. Sie begründete dies mit Konsumkritik und einem Unbehagen gegenüber wirtschaftlicher Manipulation. Im SRF (Beitrag unten) sagten sie: «Die Werbung zeigt uns eine Sicht des Lebens, die uns zu immer hektischerem Konsum zwingt. Wir sollen immer mehr arbeiten und unsere Zeit opfern für eine Gesellschaft, die süchtig macht und einem düsteren Alltag gleicht.»

Bessere Werbung für Werbung?

Ob er gesetzeswidrig oder legal bläst: Die Werbebranche kommt nicht umhin, sich dem Gegenwind zu stellen. Unklar ist jedoch, ob diese Botschaft aus der Bevölkerung angekommen ist. So sagte Jürg Bachmann, der Präsident von KS Schweiz, auch: «Die Werbewirtschaft muss die Bedeutung ihrer Arbeit für Konsumentinnen und Konsumenten noch klarer kommunizieren. Und auch aufzeigen, dass sie sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung schon heute sehr wohl bewusst ist.»

Die Lösung also: Bessere Werbung für Werbung. Ob diese die Bevölkerung bis zur nächsten Abstimmung überzeugt, wird sich zeigen. Die Branche rechnet mit weiteren Verbotsinitiativen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

5 Meinungen

  • am 20.02.2022 um 14:35 Uhr
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    Es braucht nicht bessere Werbung für die Werbung. Es braucht ein besseres Verständnis der Werber für ihre gesellschaftliche Verantwortung, die sie, wie jede andere Branche auch, haben.
    Werber können sich schwerlich auf den Standpunkt stellen, dass Werbung völlig wirkungslos sei. Somit können sie auch nicht bestreiten, dass Tabakwerbung einen substantiellen Beitrag dazu leistet, Jugendliche süchtig und krank zu machen. Dass solches Tun zu einem schlechten Image führt, ist eigentlich ja trivial.
    Leute wie Jürg Bachmann müssen umdenken. «Noch klarer kommunizieren» wird ihre Probleme nicht lösen. Eher sollten sie erkennen, dass es Kunden gibt, welche die Reputation gefährden. Die Banken haben das schon vor einiger Zeit erfahren müssen.

    • am 21.02.2022 um 14:31 Uhr
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      Wenn man mal Werbung in der heutigen Zeit unter volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet, ist sie eigentlich Geldverschwendung und somit so gut wie überflüssig. Meine Schüler haben sehr erstaunt geschaut, als ich ihnen den Zusammenhang vortrug, das der Beworbene immer die Rechnung über den Preis des Produktes selbst bezahlt. Alle (!) waren der Meinung, das sie über den Preis lieber keine Werbung bezahlen möchten und am Wichtigsten wäre ihnen ein Verbot jeglicher Außenwerbung! ( außer natürlich Ortsansässigkeit!) So tickt die Jugend in Deutschland und so wundern mich diese Initiativen in städten und Gemeinden kein bisschen.

  • am 21.02.2022 um 11:29 Uhr
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    Werbung ist hauptsächlich lästig. Bis­wei­len grenzt es gar an psychologische Kriegsführung gegen den gesunden Menschenverstand, ist sexuell Belästigung oder schlimmer. Die einzige Werbung, die etwas bringt, ist diejenige, welche nicht als solche erkennbar ist, z.B. wenn getarnt als Expertenmeinung. Dann ist es allerdings eine Form von Betrug. Ich wage zu behaupten, dass Werbung in der Gesellschaft nur als nötige Übel angesehen wird.

  • am 21.02.2022 um 21:15 Uhr
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    Bei vielen Konsumenten hat es sich die Werbebranche verscherzt. Man würde keine Adblocker einsetzen, wenn man sich nicht überall von Werbung belästigt fühlen würde. Auch der Umstand, dass auf Gratisplattformen wie Youtube künstlerische Inhalte ihres Urheberrechts beraubt wurden, damit die Werbebranche schamlos davon profitieren kann, ist für deren Image nicht besonders hilfreich. Und jetzt soll auch noch das TV-Replay teurer werden, nur weil man die lästige Werbung lieber überspringt. Zahlen wir etwa TV-Gebühren, damit sich die Werber*innen selbstverwirklichen können?

  • am 21.02.2022 um 22:23 Uhr
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    Ich habe in meinem Berufsleben oft für Werber gearbeitet.
    Dabei gibt es sehr gute, die sich für etwas nicht nur einsetzen, sondern auch das suchen, was Ethisch vertretbar ist. Mit denen kann man in der Regel auch gut zusammenarbeiten.
    Daneben gibt es aber auch solche, für Geld machen die alles, wirklich alles.
    Es ist aber für mich nicht in Ordnung, für Gesundheitsschädliche Stoffe Verführerische Werbung zu machen. Man müsste sogar so weit gehen, was künstlich nachgezuckert wird, darf nicht beworben werden. Viele Krankheiten unserer Zivilisation haben mit Zucker im Überfluss angefangen.
    Mich hat es immer gestört, dass das eine Verboten ist das andere aber teils sogar Subventioniert (Weinbau z.B.) unter Parmelin um 23% gestiegene Subventionen!
    Wein ist in kleinen Mengen etwas gutes, aber viele landen im Elend weil sie die Menge nicht im Griff haben. Das wiederum kostet Krankenkassen, also uns alle viel Geld und viele Familien erleben viel Leid und oft auch Gewalt. Ausgelöst durch ein Subventioniertes und von Werbern an Mann und Frau gebrachtes Produkt.
    Die Menschheit ist nicht wirklich schlauer geworden!

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