Blick_SBB

Blick-Schlagzeile vom 3. September 2012 © ss

Endlich etwas weniger Leute in den Zügen!

upg /  Viele Medien jammern wegen überfüllter Züge. Sobald aber mehr Platz vorhanden ist, klagen sie, die Passagierzahlen gingen zurück.

Die SBB «verlieren» Passagiere, titelte der Tages-Anzeiger online. «SBB rollen Züge weg» war die Schlagzeile vom Blick. Warum nicht freudige Schlagzeilen wie «Es gibt wieder etwas Platz in den Zügen» oder «Endlich ein Trendumkehr im SBB-Verkehr» oder «Dank weniger Touristen mehr Platz in den Zügen»?

Zuerst die Fakten: Im ersten Halbjahr 2012 haben die SBB-Kunden 1,7 Prozent weniger Kilometer mit der Bahn zurückgelegt als ein Jahr zuvor. Wie die SBB bekannt gaben, blieb die Zahl der Passagiere mit -0,2 Prozent praktisch stabil. Sie sind im Durchschnitt einfach weniger weit gefahren. Die Tagesschau hatte am Sonntag die «Transportleistung» mit der Zahl der Passagiere gleich gesetzt und wie einige Zeitungen einen «Rückgang der Passagierzahlen» gemeldet.
Die guten Nachrichten: Züge waren insgesamt ganz leicht weniger verstopft. Und falls die höheren Tarife den Ausschlag gaben, wäre dies ein weiterer Beweis dafür, dass die SBB ihre Infrastruktur für viele Jahre nicht mehr ausbauen müssten, wenn die Passagiere die vollen Kosten tragen müssten. Denn mit stark steigenden Tarifen wird weniger herum gefahren.

Die schlechten Nachrichten: Es wurden im ersten Halbjahr 2012 satte 23 Prozent mehr Kilometer gefahren als noch im 2005. Und die SBB teilen erfreut mit, dass «der Regionalverkehr zu den Hauptverkehrszeiten morgens und abends zulegen konnte». Die Stosszeit-Pendler hätten es lieber gehabt, wenn es weniger Stosszeit-Passagiere gäbe. Die Züge bleiben also während der Stosszeiten noch eine Weile verstopft, weil der Ausbau der Infrastruktur mit dieser rasanten Zunahme nicht Schritt halten konnte.

Schnell waren linke und grüne Politiker zur Stelle, um höhere Tarife abzulehnen. VCS-Präsidentin Franziska Teuscher befürchtet laut Sonntags-Zeitung eine Verlagerung des Personenverkehrs von der Strasse auf die Schiene und bekämpft höhere SBB-Tarife.

Auch das Autofahren müsste viel teurer sein
Wegen höherer Bahn-Preise würde jedoch niemand aufs Auto umsteigen, sofern die Benzinpreise oder Autosteuern ebenfalls entsprechend aufschlagen würden. Und dies wäre aus ökologischer und ökonomischer Sicht geboten. Denn der Verkehr belastet enorm die Umwelt und trägt die verursachten Kosten bei weitem nicht.
Subventions-Leerlauf auf Kosten der Steuerzahler

Es handelt sich sogar um einen gigantischen Subventions-Leerlauf: Milliarden-Subventionen rollen sowohl auf die Strassen als auch auf die Schienen. Der Strassenverkehr in der Schweiz wälzt jährlich ungedeckte Unfall- und Umweltkosten im Umfang von acht Milliarden Franken auf die Allgemeinheit ab. Das zeigt eine Transportrechnung des Bundes.
Um das Wachstum des umweltbelastenden Verkehrs auf der Strasse zu begrenzen, unterstützt der Staat den Schienenverkehr. Die direkten und indirekten Staatsbeiträge an die Bahnen, so zeigt die offizielle Eisenbahnrechnung, summieren sich in der Schweiz pro Jahr auf neun Milliarden Franken.
Resultat: Die Subventionen für den Verkehr sowohl auf der Strasse als auch auf der Schiene neutralisieren die beabsichtige Verkehrsverlagerung von der Strasse auf die Schiene.
Unter dem Strich erhöht dieser subventionierte Leerlauf die gesamte Verkehrsnachfrage, was einen weiteren Ausbau der subventionierten Verkehrswege erfordert.
Zersiedelung mit amtlichem Stempel

Tarife, die nur einen Teil der Verkehrskosten decken, kurbeln den Personenverkehr an. Sie fördern Tagesausflüge durch und über die Alpen und das Pendeln. Die immer zahlreicheren Pendler können ihre Reise-Kosten erst noch von den Steuern abziehen. Das ist wiederum ein unsinniger Anreiz, der das Wachstum des Verkehrs anheizt und der weiteren Zersiedelung sozusagen den amtlichen Stempel aufdrückt.
Das Verkehrswachstum wiederum zwingt den Staat, die Infrastruktur für Strassen und Schienen auszubauen. Dieser Ausbau verursacht noch mehr Subventionen. Die Verkehrsspirale dreht sich.

Anschauungsunterricht bietet der neue Lötschbergtunnel ins Wallis. Bereits kurz nach der Eröffnung waren die Züge verstopfter als vorher. Die Berner Regierung fordert deshalb den Bau einer weiteren Tunnelröhre durch den Lötschberg. Der Ausbau der hoch subventionierten Verkehrsinfrastruktur verführt die Menschen, noch mehr herumzureisen. Diese «erhöhte Nachfrage nach Mobilität» dient der Baulobby und den Politikern als Argument, weitere Ausbaupläne zu rechtfertigen.

Diese «Spirale von Verkehrszunahme und Ausbau der Infrastruktur muss gebrochen werden», fordert Rico Maggi, Professor für Verkehrswirtschaft an der Universität Lugano. Dazu gelte es, die Verkehrstarife erhöhen. Bei kostendeckenden Tarifen bräuchte es auf absehbare Zeit keine zusätzlichen Flugpisten und keine weiteren Bahn- und Strassentunnels.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Dieser Beitrag stützt sich teilweise auf das Buch «Schluss mit dem Wachstumswahn – Plädoyer für eine Umkehr» von Hanspeter Guggenbühl und Urs P. Gasche.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

2 Meinungen

  • am 8.10.2014 um 12:54 Uhr
    Permalink

    Zwar ist der Artikel bereits zwei Jahre alt, ich erlaube mir trotzdem, darauf einzugehen;
    aus heutiger und aus persönlicher Sicht;

    Die Zahlen mögen so stimmen oder nicht, (sind in der SBB-Rechnung alle Bahnen und Busse des VöV einbezogen, auch die Verbunde, oder nicht) ich finde allerdings, dass sich die Autoren zu sehr und zu einseitig den Meinungen der Ökonomen anschliessen!
    Ja, die Subventionen für die Strasse müssen zurück gefahren werden, und die Autobahnvignette hätte eben schon lange sukzessive und in homöopatischen Dosen erhöht werden müssen, so wie beim ÖV auch.
    Das der Lötschberg wegen Kostengründen nicht durchgehend als Vollausbau ausgeführt wurde, rächt sich nun, hat aber mit der Auslastung der Züge rein gar nichts zu tun!
    Benzinpreise lassen sich eben genau so wenig wie Ticketpreise endlos erhöhen, und die Fz-Steuern sind kantonal geregelt und leider immer nur gesenkt;resp. eine Erhöhung an der Urne immer wieder abgelehnt!
    Wie in anderen Beiträgen erwähnt, bin ich durchaus für eine Pendlerabgabe bei den Arbeitgebern; für eine EINHEITLICHE Gutschrift bei den Steuern, unbesehen des Verkehrsmittels;resp. für einen geringeren Abzug bei umweltbelastenden Verkehrsmitteln.
    Ich habe auch kein Problem damit, die Preise in der 1.Klasse zu erhöhen, aber keinesfalls generell, denn die Mobilität ist ein Grundrecht, und der ÖV gehört dazu!
    Aber es braucht sicher KEINE teuren Experimente und Sonderlösungen wie den Swiss-Pass und eine weitere Ausweitung der reg. Verbünde

  • am 8.10.2014 um 13:03 Uhr
    Permalink

    Und sicher hat auch der Zuwachs an Einwohnern dazu beigetragen, dass die Verkehrsträger heute täglich total überlastet sind.
    Aber es kann nicht sein, das die Mobilität nur noch etwas für Reiche ist!
    Darum muss endlich auch dieser Graben und die Rivalität zwischen MIV und öfftl. Verkehr beseitigt werden.
    Und vielleicht fehlt es ja auch an einer vorausschauenden Gesamtstrategie für die Zukunft resp. einer Eingliederung der bereits heute verfügbaren Möglichkeiten

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...