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Die Idylle trügt: Die SBB müssen die Bombardier-Züge für 90 Millionen Franken umbauen lassen. © SBB CFF FFS

Trotz neuer Drehgestelle: Debakel bleibt Debakel

Marco Diener /  Die SBB ersetzen die Drehgestelle der Bombardier-Züge. Und die Verantwortlichen tun so, als ob das eine gute Nachricht wäre.

Die SBB schreiben: «Der Fahrkomfort wird spürbar besser, die Zuverlässigkeit weiter erhöht. Die Investition von rund 90 Millionen Franken wird durch tiefere Unterhaltskosten mehr als kompensiert. Unter dem Strich sparen die SBB 40 Millionen Franken.»

Was will man mehr?

Doch so schön, wie es klingt, ist es dann doch auch wieder nicht. Das wird klar, wenn man den Strich woanders zieht. Dann zeigt sich nämlich, dass die SBB nicht 40 Millionen sparen, sondern Dutzende, wenn nicht Hunderte von Millionen zum Fenster hinausgeworfen haben. So genau wissen es die SBB nicht. Oder wollen es nicht wissen.

Die Abstimmung von 1987

Blicken wir knapp 40 Jahre zurück. Am 6. Dezember 1987 stimmten Schweizer und Schweizerinnen mit 57 Prozent Ja-Stimmen der Bahn 2000 zu. Die Idee damals war, dass die Fahrzeit zwischen allen wichtigen Bahnhöfen auf unter eine Stunde verkürzt wird.

In der Abstimmungsbotschaft stand seinerzeit:

SBB1 Abstimmungsbotschaft vom 6. 12. 1987

Zu diesem Zweck waren etliche Neubaustrecken geplant:

  • Vauderens – Villars-sur-Glâne
  • Mattstetten – Rothrist
  • Olten – Muttenz
  • Zürich Flughafen – Winterthur

Doch schon bald zeigte sich, dass die Neubaustrecken viel teurer würden als angenommen. Deshalb wurde das Projekt zusammengestrichen. Die Strecke Zürich Flughafen – Winterthur wurde nicht neu gebaut, zwischen Vauderens und Villars-sur-Glâne wurde nur der Vauderens-Tunnel gebaut. Zwischen Muttenz und Olten der Adlertunnel. Wirklich realisiert wurde lediglich die Neubaustrecke Mattstetten – Rothrist.

Das Ziel: weniger als eine Stunde Fahrzeit

Damit war das Konzept von Bahn 2000 Makulatur. Im «Bericht über das Konzept Bahn 2000 und Botschaft über den Bau neuer Linien der Schweizerischen Bundesbahnen» vom 16. Dezember 1985 stand nämlich noch: «Gute Anschlüsse entstehen dann, wenn sich die Züge gleichzeitig im Umsteigebahnhof einfinden und alle diese Begegnungen, obwohl räumlich über das ganze Netz verteilt, zeitlich zusammenfallen.»

Und weiter: «Ein Intercity-Zug muss somit um 10 Uhr in Lausanne, um 11 Uhr in Bern und um 12 Uhr in Zürich sein, während ein Anschlusszug Bern nach 11 Uhr verlassen und Luzern kurz vor 12 Uhr erreichen muss.»

Damals war man von diesen Reisezeiten noch weit entfernt. Die Fahrt von Lausanne nach Bern dauerte 66 Minuten, die Fahrt von Bern nach Zürich 73 Minuten.

Bern – Zürich in 56 Minuten

Die Neubaustrecke zwischen Mattstetten und Rothrist löste das Problem zwischen Bern und Zürich. Die Reisezeit liegt inzwischen bei 56 Minuten. Doch die Reisezeit zwischen Lausanne und Bern ist sogar noch 3 Minuten länger als vor 40 Jahren. Heute beträgt sie 69 Minuten.

Die SBB hofften, das Problem mit einer so genannten Wank-Kompensation lösen zu können. Damit hätten die Züge schneller durch Kurven fahren sollen. 2010 bestellten sie bei Bombardier 59 Züge mit dieser Technik. Kosten: beinahe zwei Milliarden Franken.

Die Wank-Kompensation

Wank-Kompensation bedeutet: Das Drehgestell ist so gebaut, dass sich der Zug in Kurven nicht nach aussen neigt. Damit können Kurven schneller befahren werden. Es ist eine passive Technik.

Anders funktioniert die Neige-Technik in den ICN der SBB. Sie sorgt dafür, dass sich der Zug in Kurven nach innen neigt. Es ist eine aktive Technik.

Vor der Bestellung hatten die SBB die Wank-Kompensation in die IC-2000-Doppelstöcker eingebaut. Und sie waren mächtig stolz darauf. In einer Präsentation an der Schienenfahrzeugtagung 2011 in Graz schrieben sie:

SBB1 Schienenfahrzeugtagung Graz 2011

Am 7. April hatte ein solcher Zug die Strecke Lausanne – Bern in 53 Minuten und 59 Sekunden zurückgelegt. Die Wank-Kompensation schien ein grosser Schritt hin zur wirklichen Realisierung des Konzepts Bahn 2000.

SBB1 Schienenfahrzeugtagung Graz 2011 2

Doch bei den Bombardier-Zügen war der Wurm von Anfang an drin. Bombardier lieferte nicht 2013, sondern fünf Jahre später. Trotzdem machten die Züge ständig Probleme: mit Stromabnehmern, die sich einfach senkten, mit Türen, Heizungen und Klimaanlagen, die nicht so funktionierten, wie sie sollten, mit einer Software, die spukte, unter anderem, wenn es kalt war.

«Die Lieferantin teilt die Einschätzung nicht»

2019 schrieben die SBB in ihrem «Dritten Statusbericht» zu den Bombardier-Zügen: «Aktuell erfüllen die neuen Fahrzeuge aus Sicht SBB die minimalen Anforderungen für einen schweizweiten Einsatz noch nicht.» Und schoben nach: «Die Lieferantin teilt die Einschätzung der SBB nicht.» Die SBB und Bombardier schoben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Sie zogen sogar bis vor Bundesgericht.

Dazu kamen die Probleme mit der Wank-Kompensation. Sie hätte den Bombardier-Zügen ermöglichen sollen, ähnlich schnell durch Kurven zu fahren wie die Züge mit Neige-Technik. Die Streckenbegradigungen zwischen Lausanne und Bern wären nicht nötig gewesen. Es winkten Einsparungen von einer Milliarde Franken.

Doch 2019 schrieben die SBB: «Wie bekannt, erfüllt das Fahrzeug bezüglich Fahrkomfort aktuell die Erwartungen der SBB und der Kunden an ein modernes Fahrzeug nicht. Insbesondere das Wanken des Fahrzeugs muss in allen Geschwindigkeitsbereichen verbessert werden.» Da hatten die Bombardier-Züge längst den Übernamen «Schüttelzug».

2022 das Ende

Gut drei Jahre später dann der Übungsabbruch: Die SBB gaben bekannt, dass sie «auf das schnelle Fahren in Kurven» verzichten. Die Wank-Kompensation sei «fehleranfällig, aufwendiger im Unterhalt und damit nicht zukunftsfähig».

Nun also sollen die Züge von der Firma Alstom, die inzwischen Bombardier übernommen hat, umgebaut werden. Oder genauer gesagt: die Drehgestelle mit Wank-Kompensation mit normalen Drehgestellen ersetzt. Die Arbeiten sollen Ende 2026 beginnen und Anfang der 30er-Jahre abgeschlossen sein.

Weitere 90 Millionen Franken

Zahlen müssen die SBB. Sie rechnen mit Kosten von 90 Millionen Franken. Aber sie frohlocken: «Unter dem Strich sparen die SBB über die gesamte Lebensdauer der Flotte hinweg rund 40 Millionen Franken.» Dies weil die Revision der Wank-Kompensation künftig wegfalle und weil die Betriebskosten der neuen Drehgestelle niedriger seien.

Aber wie eingangs erwähnt: Es kommt drauf an, wo die SBB den Strich ziehen. Die SBB scheinen jedenfalls vergessen zu haben, wie viel Geld sie mit der Wank-Kompensation zum Fenster hinausgeworfen haben. Infosperber wollte von den SBB wissen:

  • Wie hoch waren die Test- und Entwicklungskosten für die Wankkompensation vor der Beschaffung der Züge?
  • Wie hoch waren die Zusatzkosten für die Wankkompensation bei der Beschaffung?
  • Wie hoch waren die Kosten für Weiterentwicklung und Optimierungsversuche der Wankkompensation seit der Beschaffung?

Die Antwort der SBB: «Wir können dazu keine Angaben machen: Die Aufwände liegen teilweise über 15 Jahre zurück und sind nicht mehr eindeutig extrahierbar beziehungsweise die Wank-Kompensation war kein separat bepreistes Bauteil, sodass ein verlässlicher Kostenvergleich heute nicht möglich ist.»

Das ist ein Witz. Natürlich wissen die SBB, wie viel Geld sie in den Sand gesetzt haben. Die SBB hatten ja seinerzeit einen Teil der Kosten selber beziffert: 95 Millionen Franken zusätzliche Kosten beim Kauf. Mindestens 32 Millionen für die Weiterentwicklung nach dem Kauf. Hinzu kommen weitere Millionen für Entwicklung und Tests sowie für Zugsausfälle in unbekannter Höhe.

Mit anderen Worten: Das Debakel bleibt ein Debakel.

«Auf Kompensationspaket geeinigt»

Doch die SBB kümmert das nicht mehr gross. Sie sagen pauschal: «Im Jahr 2023 haben sich die SBB und Alstom aufgrund von Lieferverzögerungen auf ein Kompensationspaket geeinigt, das insgesamt dem Wert von rund sechs Zügen entsprach. Teil davon war die Weiterentwicklung des Fahrkomforts.»

Die Vergangenheit scheint die SBB nicht mehr zu interessieren. Doch auch die Zukunft könnte Probleme mit sich bringen. Laut Experten werden die Züge mit den neuen Drehgestellen die Gleise stärker abnützen, als sie es mit Drehgestellen mit Wank-Kompensation täten – sofern diese funktionieren würde.

Und vor allem: Damit die Fahrzeit zwischen Lausanne und Bern unter eine Stunde gedrückt werden kann, sind teure Ausbauarbeiten am Schienennetz nötig. Dabei geht es um Kosten von rund einer Milliarde Franken.

Der Ärger in der Westschweiz

Kommt hinzu: Die Romands sind mit ihrer Geduld langsam am Ende. In seiner Bahnstrategie hält der Kanton Waadt fest: «Die im Rahmen des Projekts Bahn 2000 in Aussicht gestellte Fahrzeitverkürzung zwischen Lausanne und Bern ist immer noch nicht realisiert. Stattdessen verlängert sich die Fahrzeit noch, um Probleme mit der Fahrplanstabilität zu beheben. Die nun bis 2035 vorgesehene Verbesserung ist nach wie vor nicht gewährleistet, obwohl in der Deutschschweiz bereits neue Optimierungen geplant sind.»

Und weiter: «Aus wirtschaftlichen Gründen und für den nationalen Zusammenhalt dürfen die Westschweiz und der Kanton Waadt nicht mit Fahrzeiten, die seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unverändert geblieben sind, den Anschluss verlieren.»

Das ist noch höflich ausgedrückt. Denn – wie gesagt – die Fahrzeit ist heute 3 Minuten länger als vor 40 Jahren.


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