Pharmaland China stellt die USA bald in den Schatten
«Die Chinesen werden uns überholen», prophezeite ein bekannter Schweizer Medizinprofessor vor bald 20 Jahren. Was die Medikamententwicklung betrifft, ist es nun soweit. Noch sind zwar die USA das Land, in dem die meisten neuen Medikamente weltweit zuerst zugelassen werden: 41 neu entwickelte Arzneimittel wurden 2024 laut einem Artikel in «Nature Reviews Drug Discovery» als Erstes dort registriert.
China aber holt stark auf. Laut «Nature Reviews Drug Discovery» wurden letztes Jahr bereits 39 aller weltweit zugelassenen Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen zuerst in diesem asiatischen Land zugelassen. China hat damit sowohl Japan als auch Europa überholt.

Patentrecht revidiert, Begutachtungsfristen verkürzt
Mit einer Reihe von regulatorischen Massnahmen habe der chinesische Staat im letzten Jahrzehnt den Boden für diese Entwicklung bereitet. Zudem pumpten die Investoren mehr Geld in die chinesische Pharmaforschung. Das schlage sich in der Anzahl neu zugelassener Medikamente nieder.
Dass China «vom Generika-Produzenten zum aufstrebenden Zentrum pharmazeutischer Innovation» wurde, wie die chinesischen Autoren in «Nature Reviews Drug Discovery» schreiben, liege unter anderem daran, dass das asiatische Land das Patentrecht revidierte und beschloss, gewisse Begutachtungsfristen zu verkürzen. Für Pharmafirmen zählt jeder Tag, an dem ein Medikament früher auf den Markt kommt, weil es so schneller und länger Gewinn abwirft, bis das Patent abläuft.

Arzneimittelbehörden im Wettstreit
Zwischen 2015 und 2024 wurden laut «Nature Reviews Drug Discovery» 918 neue Medikamente erstmals irgendwo auf der Welt zugelassen, im Durchschnitt also etwa 100 pro Jahr.
«Je attraktiver der Markt, desto früher kommt ein Gesuch», erläutert ein Artikel auf der Webseite von Swissmedic. «Pharmafirmen geben die Gesuche für die Marktzulassung neuer Medikamente je nach Land und Region zu einem anderen Zeitpunkt bei der jeweiligen Behörde ein. Sie bevorzugen dabei einzelne Märkte und konzentrieren sich zunächst auf jene Regionen, in denen sie möglichst viele Patientinnen und Patienten erreichen.» Die Schweiz als kleiner Markt hat dabei regelhaft das Nachsehen. Sie erhält Zulassungsgesuche im Mittel 417 Tage später als beispielsweise die US-Behörde FDA.
China war – bisher – ebenfalls ein Nachzügler: Die Hersteller reichten ihre Zulassungsgesuche für neue Wirkstoffe dort im Mittel erst 822 Tage später ein als bei der FDA. Das ergab eine Stichprobe mit 25 neuen Medikamenten durch das «Centre for Innovation in Regulatory Science» (Cirs).

Das Cirs und die Pharmahersteller vergleichen alljährlich, welche Landesbehörde neue Wirkstoffe am schnellsten zulässt und wo ihnen am häufigsten Erleichterungen gewährt werden. Mit im Mittel 290 Tagen Begutachtungszeit war die japanische Behörde letztes Jahr die schnellste. Swissmedic bildete laut dem «Cirs» mit 444 Tagen das Schlusslicht beim Vergleich von sechs westlichen Zulassungsbehörden.

China fehlt in dieser Auswertung. Bei der Stichprobe der 25 Medikamente, die das «Centre for Innovation in Regulatory Science» analysierte, benötigte die chinesische Zulassungsbehörde etwa ebenso lang wie Swissmedic.

Investoren setzen auf teure Krebsmedikamente
Die meisten der in China entwickelten neuen Wirkstoffe sind Krebsmedikamente. Bei den Investoren hoch im Kurs sind laut dem Artikel Zelltherapien, sogenannte «small molecules» sowie therapeutische Vakzinen zum Beispiel gegen Krebs.
2019 erhielt das erste, in China entwickelte Krebsmedikament die Zulassung in den USA, danach in den Vereinten Arabischen Emiraten, gefolgt von Europa und Japan. Vergangenes Jahr bekamen bereits 14 in China entwickelte Substanzen in anderen Ländern die Zulassung. Darunter waren die Schweiz (2 neue Substanzen), die EU (4), Australien (1), Russland (1), Japan (4), Burma(1), die USA (2) und Indonesien (1).
Chinesische Firmen vergeben Lizenzen an ausländische Firmen
In den allermeisten Fällen würden die chinesischen Entwicklungsfirmen Lizenzen für ihre Substanzen an Pharmafirmen in anderen Ländern vergeben, meist in den USA. Dies passiere mehrheitlich bereits in einem frühen Stadium, wenn noch ungewiss ist, ob der Wirkstoff alle Zulassungshürden überwinden wird.
Fast 4400 neue, in China entwickelte Wirkstoffe wurden letztes Jahr weltweit erstmals an Menschen getestet. Die Wachstumsrate in diesem Sektor betrage 20 Prozent.
Pharmaindustrie wird als «eine der wenigen Wachstumsbranchen» hofiert
Pharma- und Medizintechnikfirmen wird nicht nur in China der rote Teppich ausgerollt. Auch europäische Staaten überbieten sich: Schnellere Zulassungsprüfungen bei Medikamenten, mehr Tempo bei den Studien, weniger Bürokratie, steuerliche Anreize, geheime Medikamentenpreise, Zuschüsse für Pharma-Start-ups, rasche Digitalisierung plus Zugang zu Gesundheitsdaten der Bevölkerung – das bietet beispielsweise Deutschland im internationalen Wettstreit. «Die Pharmaindustrie ist in Deutschland eine der wenigen Wachstumsbranchen», berichtete der «Deutschlandfunk» jüngst.
Swissmedic kündigte im August an, den Pharmamarkt Schweiz für die Firmen attraktiver machen zu wollen. Das sagte die Leiterin des Bereich Medikamentenzulassung. Swissmedic wirbt zum Beispiel mit beschleunigten Bewilligungsverfahren für Studien mit Menschen, vereinfachten Prozessen und Beratung in regulatorischen Fragen.
In den USA versucht der Präsident, die Pharmaindustrie mit Druck und zusätzlichen Anreizen als Pharma- und Forschungsstandort auszubauen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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