Hochstmmer

Hochstammbäume: Erst zahlte der Bund fürs Fällen – jetzt subventioniert er die Erhaltung © Joris Egger/Wikimedia Commons/cc

Hüst und Hott in der Agrarpolitik

Eveline Dudda /  Subventionen hier – Direktzahlungen da: Der Staat steuert die Bauern oft am Markt vorbei. Zum Beispiel bei den Hochstammbäumen.

54 Millionen Franken gab der Bund im Jahr 2013 für die Pflege von 2,3 Millionen Hochstammbäumen aus. Noch vor mehr als 40 Jahren hat derselbe Bund pro Jahr bis zu 12 Millionen Franken (teuerungsbereinigt) dafür bezahlt, damit genau solche Hochstammbäume gefällt werden. Und nochmals 40 Jahre zuvor hat er das Pflanzen von diesen Hochstammbäumen empfohlen und gefördert…
Dieses Hüst und Hott in der Agrarpolitik ist kein Einzelfall. Und es kostet die Steuerzahler viel Geld: Während 50 Jahren subventionierte der Bund das Fällen von Hochstammbäumen mit insgesamt 130 Millionen Franken (teuerungsbereinigt). In den letzten 20 Jahre steckte er mindestens 900 Millionen Franken Steuergelder in deren Erhaltung. Die Summe ist in Wirklichkeit sogar noch viel grösser, denn die Beiträge für regionale Förderprojekte, von denen Hochstämmer oder die Verwertung von Hochstammobst profitieren, sind darin noch gar nicht enthalten. Auch kantonale Zuschüsse für Pflanzaktionen und Beiträge im Rahmen von Naturschutzprojekten tauchen darin nicht auf, ebensowenig die Landschaftsqualitätsbeiträge, die es erst seit letztem Jahr gibt.
Wenig Markt, viel Direktzahlungen
Hochstammbäume werden heute vom Staat gefördert, weil sie die Kulturlandschaft prägen und der Artenvielfalt nützen. Heute bekommen die Bauern 15 Franken Biodiversitätsbeitrag pro Hochstamm. Sie können zusätzlich 30 Franken Qualitätsbonus und 5 Franken Vernetzungsbeitrag abholen und in diversen Landschaftsqualitätsprojekten werden sie noch mit 10 zusätzlichen Franken honoriert. Vereinzelt gibt es sogar – für besonders dicke oder alte Bäume – bis zu 60 Franken Landschaftsqualitätsbeitrag. Alles in allem kann ein Bauern heute für einen alten Birnbaum also 100 Franken Direktzahlungen vom Staat bekommen, während ihm der Verkauf der Mostbirnen gerade mal 10 bis 50 Franken einbringt.
Das krasse Missverhältnis zwischen Markterlös und staatlicher Stützung ist eine Folge der staatlichen Förderung: Es hat schlicht zu viele Hochstammbirnen. Und seit 2009 werden die Bauern für den Export des überschüssigen Birnensaftkonzentrats zur Kasse gebeten. In ertragreichen Jahren wird für jedes Kilo abgelieferte Birnen ein Beitrag für den Exportfonds abgezogen. Dieser Beitrag kann bis zur Hälfte des Mostbirnenpreises ausmachen, so dass die Bauern für ein Kilo Mostbirnen am Schluss gerade noch 5 bis 10 Rappen erhalten. Da lohnt sich das Auflesen fast nicht mehr.
Früher waren Hochstammbirnen noch lukrativ: Im Jahr 1931 gab es für ein Kilo 4,5 Rappen, teuerungsbereinigt entspricht das heute etwa einem Kilopreis von 35 Rappen. Doch damals hielt der Staat die Bauern zum Fällen der Bäume an…

Schnelle Direktzahlungen, langsamer Markt
Der Markt für Hochstammprodukte wächst. Doch er wächst langsam. Die Label-Organisation Hochstamm Suisse vermarktet derzeit das Obst von rund 100’000 Bäumen – bei total 2,3 Millionen Hochstämmern ist das kaum mehr als ein Anfang. Und solange die Nachfrage am Markt gering ist, braucht es hohe Direktzahlungen, um die Bauern bei der Stange zu halten.
Ende des 19. Jahrhunderts war es genau umgekehrt: Damals bot sich der Obstbau als Einkommensalternative zum Getreideanbau an, welcher wegen billiger Importe in der Schweiz unter Druck geraten war. Der Staat motivierte die Bauern auf Obstbau umzustellen. Und die Bauern waren so erfolgreich, dass die Schweiz sogar Obst exportieren konnte. Damals gab es noch keine Niederstamm-Anlagen, Obst wurde ausschliesslich auf Hochstammbäumen kultiviert. Das hat den Nachteil, dass es naturbedingt grosse Ertragsschwankungen gibt; witterungsbedingt kann der Ertrag in einzelnen Jahren fünf- oder gar zehnfach so gross sein wie in anderen.
In ertragreichen Jahren hinkte der Absatz natürlich hinterher. Da Schnaps haltbarer ist als Most, wurden diese Obstüberschüsse früher oft gebrannt. Und solange auf Obstler keine Alkoholsteuer erhoben wurde, war das Brennen auch finanziell attraktiv. Doch je älter die gepflanzten Bäume wurden, desto grösser wurden in Hochertragsjahren auch die Überschüsse. Gleichzeitig ging die Nachfrage nach Most – dank Coca-Cola und Co. – um fast die Hälfte zurück. Zudem verbilligte der sinkende Grenzschutz die Schnapsimporte und verdrängte den einheimischen Obstbrand. Nach dem Zweiten Weltkrieg stockte das Exportgeschäft mit Obst, stattdessen kamen billige Obstimporte ins Land. Je liberalisierter der Markt, desto mehr verlor das Hochstammobst an Boden.

Nebeneffekte ignoriert 

Vor diesem Hintergrund machte das Fällen von Hochstammbäumen grundsätzlich Sinn. Weniger sinnvoll war jedoch, dass der Bund die Fällaktionen damals mit Pflanzaktionen kombinierte: Die Bauern wurden animiert, Hochstämmer durch Niederstammanlagen zu ersetzen, weil man in solchen Obstgärten mit Schnitt- und Pflegemassnahmen die Menge besser regulieren und ausserdem eine bessere Qualität erzielen kann. Doch die «erfolgreiche» Umstellung schoss am Markt vorbei, das Tafelobst konnte nur mit Hilfe von Unsummen an Subventionen abgesetzt werden. Und in Hochertragsjahren mussten nun neben den Überschüssen von Hochstammobst auch noch unverkäufliche Ernteüberschüsse von Niederstammanlagen auf Staatskosten entsorgt werden.
Alles in allem wurden bis 1985 von ehemals 15 Millionen Hochstammbäumen gut 5 Millionen Bäume mit staatlicher Unterstützung gefällt. Rund zwei, drei Millionen Bäume fällten die Bauern in Eigenregie, ohne Staatsgelder dafür zu beanspruchen, und weitere zwei bis drei Millionen Hochstämmer fielen der Bautätigkeit zum Opfer. Denn wo sich Dörfer und Industriegebiete ausdehnten, mussten die Baumgärten weichen. Deshalb stehen die 2,3 Millionen Hochstämmer heute selten am selben Platz wie früher. Manche wurden sogar an Orten gepflanzt, wo sich überhaupt keine gute Obstqualität produzieren lässt. Auch das eine Folge davon, dass der Markt für Hochstämmer vor allem ein Markt der Direktzahlungen ist…

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Eveline Dudda ist Agrarjournalistin, www.dudda.ch

Zum Infosperber-Dossier:

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