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Kaffee wird vor allem in Südamerika angebaut. Die Ernte ist harte und kleinteilige Arbeit. © Rodrigo Flores/Unsplash

Beliebte Bohne, arme Bauern – das Kaffeebarometer

Daniela Gschweng /  Der Kaffeeanbau ist von Armut und Raubbau geprägt. Konzerne bemühen sich, Missstände zu beheben – sagen sie.

Kaffee ist ein anhaltend beliebtes Produkt, am meisten davon trinken Menschen in Luxemburg. Auch die nordischen und deutschsprachigen Länder haben zunehmenden Kaffeedurst. Und das Bedürfnis nach fairem Konsum wächst. In Deutschland ist Kaffee das umsatzstärkste Fairtrade-Produkt.

Den Kaffeebauern geht es dabei kaum besser. Armut und Entwaldung prägen den Kaffeesektor. Durch die fortschreitende Klimakrise steht der Kaffeeanbau zusätzlich unter Druck, beleuchtet das «Kaffee-Barometer 2023». Die Autor:innen sehen eine «Industrie in der Krise».

Die nach eigenen Angaben umfassendste Momentaufnahme des Kaffeesektors wird von mehreren Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsorganisationen erstellt und vom deutschen Bundesentwicklungsministerium finanziert. Bekannte Missstände würden nur zögerlich angegangen, kritisieren sie.

Armut, Ungleichheit, Marktdominanz – der Kaffeemarkt

Dafür sorgen nicht zuletzt die sehr ungleichen Marktstrukturen. Kaffee wird von vielen kleinen Betrieben in wenigen Ländern produziert. Zwei Fünftel der beliebten Bohnen kommen aus Brasilien, ein Fünftel aus Vietnam, es folgen Kolumbien und Indonesien. Die Hälfte der globalen Ernte wird nach Europa, Japan und Nordamerika verkauft. Der Markt wird von einem Dutzend grosser Kaffeeröstereien beherrscht.

Vier Fünftel der weltweit 12,5 Millionen Kaffeebäuerinnen und -bauern (84 Prozent) bewirtschaften weniger als zwei Hektar Land, fast alle (95 Prozent) höchstens fünf. Die meisten leben ein prekäres Leben. In acht von zehn Anbauländern verdienen Kaffeeanbauende am oder unter dem Existenzminimum. Eine Ausnahme ist Brasilien, wo sie zur Mittelschicht gehören. Die Hälfte der Arbeitskräfte in der Kaffeeernte sind Frauen, welche deutlich schlechter bezahlt werden als Männer. Viele sind Tagelöhnerinnen, die nach Menge bezahlt werden. Kinderarbeit ist verbreitet.

Entkopplung von Produktionskosten und Preis

Der Kaffeepreis schwankt stark, während die Produktionskosten steigen – für die Kleinbauern eine gefährliche Kombination. Röstereien wie Starbucks, Nestlé und Lavazza machen derweil Milliardengewinne. Auch Vielfalt sieht anders aus. In den USA lieferten nur vier Unternehmen den grössten Teil des dort konsumierten Kaffees.

Inflationsbereinigt hat sich das Einkommen der Produzenten seit 1983 halbiert. Der Marktpreis habe mit den Produktionskosten kaum noch etwas zu tun, legt das Kaffeebarometer dar.

Die Klimakrise könnte alle Nachhaltigkeitsbemühungen zunichte machen

Hinzu kommen neue Probleme. Die fortschreitende Klimakrise könnte den sensiblen Kaffeepflanzen ernsthaft schaden. Es wird zu heiss, zu trocken, veränderte Niederschlagsmuster stören die Reifung der Kaffeekirschen.  

Die für den Kaffeeanbau geeigneten Flächen werden in Zukunft drastisch schrumpfen, in den brasilianischen Provinzen Minas Gerais und Sao Paulo beispielsweise um mehr als die Hälfte, zitiert das Kaffeebarometer das Stockholm Environment Institute. In Afrika könnte die Produktion der beliebtesten Sorte Arabica um 45 Prozent zurückgehen.

Schon jetzt weichen die Produzent:innen auf höher gelegene Gebiete aus. Diese aber sind meist bewaldet und geschützt. Ein Konflikt, der durch illegale Landnahme oder Rodung «gelöst» werden könnte, befürchtet Sjoerd Panhuysen von Ethos Agriculture im Gespräch mit der «taz». Kaffeeanbau hat in den letzten Jahrzehnten jährlich 130’000 Hektaren Wald vernichtet.

Gesetze und Konsumenten erzwingen mehr Nachhaltigkeit

So weit die Ausgangslage. Die meisten Kaffee-Konzerne wie Melitta, Nestlé und Starbucks möchten dennoch nachhaltiger werden oder behaupten es zumindest. Entweder, weil sie die steigende Nachfrage nach umweltschonend und fair angebautem Kaffee bedienen wollen oder weil Gesetze sie zu mehr Nachhaltigkeit zwingen.

Die EU ist mit den Lieferkettengesetzen oder der EU‑Entwaldungsverordnung dabei weltweit führend. Auch andere Länder erwägen Gesetze, die eine Sorgfaltspflicht in Bezug auf Menschenrechte und Umweltauswirkungen enthalten.

Ganz erfolglos seien die Kaffeekonzerne in ihren Bemühungen nicht, bescheinigt ihnen das Kaffeebarometer. Über die Nachhaltigkeitspraktiken der grossen Röstereien sei jenseits vollmundiger Versprechen im Detail allerdings wenig bekannt. Für Konsument:innen sei es wenig transparent, woher ihr Kaffee kommt und wie es den Produzenten geht.

Eher schwacher Gesamteindruck, gute Noten für Nestlé und Starbucks

Die Autor:innen des Kaffeebarometers haben sich die Bereiche Dokumentation, Mitwirkung, Strategie, Zielvorgaben, Zertifizierungsgrad und Nachhaltigkeitsinvestitionen der Unternehmen genau angesehen.

Gut in allen Bereichen schneidet keines der Unternehmen ab. Trotz verschiedener Nachhaltigkeitszertifizierungen habe bisher keine der elf grössten Kaffeeröstereien eine nachhaltige Lieferkette, bemängelt der Report. Gute Noten gibt der «Coffee Brew Index» zum Beispiel Nestlé, Starbucks und Lavazza, eher mittlere gehen an Tchibo und Massimo Zanetti.

Bei genauerem Hinsehen seien soziales Engagement und Nachhaltigkeitsaktivitäten «kaum mit umfassenden, greifbaren, messbaren und zeitgebundenen Zielen untermauert», so Studienautor Sjoerd Panhuysen von der Organisation Ethos Agriculture zum ZDF.

Das ZDF ging auf Suche nach Alternativen

Unternehmen, die sich als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit gäben, interpretierten «nachhaltig» oft ausschliesslich im ökonomischen Sinne als effizient und wettbewerbsfähig. Statt umfassender Nachhaltigkeitsstrategien und messbarer Ziele gebe es zu viele Einzelprojekte, die die Nachhaltigkeit verbessern sollen, kritisiert das Coffee Barometer Collective im Einzelnen.

Auf welcher Ebene die Diskussion stattfindet, zeigen Vorschläge, wie sie Andrea Olivar vom Solidaridad-Netzwerk gegenüber dem ZDF äussert. Olivar fordert, Produzenten nicht erst mehrere Monate nach der Ernte für ihren Kaffee zu bezahlen, sondern nach 30 Tagen.

In der sonst sehenswerten Dokumentation des ZDF geht der deutsche Sender auf die Suche nach Alternativen: von Bio-Anbau und Selbstvermarktung in Südamerika über den Anbau von Lupinen-Kaffee in der deutschen Provinz bis zum Vertrieb der beim Schälen der Beeren übrig gebliebenen Kaffeekirschen als Superfood in den USA.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

Kuh

Landwirtschaft

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