Kommentar

Agrarkonzerne und Überhitzung gefährden die globale Ernährung

Hans-Josef Fell © zvg

Hans-Josef Fell /  Neue regulierte Gentechnikmethoden wie die Genschere (CRISPR) könnten Kleinbauern ein konzernunabhängiges Anbauen ermöglichen.



Die intensive Landwirtschaft bringt keine Ernährungssicherheit

Vielfach hört man in der öffentlichen Debatte, dass die Welternährung, insbesondere angesichts einer kommenden Weltbevölkerung von 10 Milliarden Menschen, nur durch intensive Landwirtschaft, immer höhere Flächenerträge, also durch grosse Agrarkonzerne gesichert werden kann. Dies bedeutet aber Monokulturen, hohen Pestizid- und Mineraldüngereinsatz, was gleichzeitig hohe Treibhausgasemissionen erzeugt. Dies hat fatale Auswirkungen für das Klima der Erde, die gesunde Ernährung der Menschen und letztendlich kann auch der weltweite Hunger so nicht bekämpft werden. Gerade mit einer immer weiter steigenden Erdtemperatur werden immer mehr Ackerflächen zu Wüsten, zu nicht mehr bebaubaren Überschwemmungsgebieten oder fallen dem steigenden Meeresspiegel zum Opfer. Mit intensiver Landwirtschaft Ernährungssicherheit zu schaffen, ist ein glatter Irrweg. Solche Behauptungen kommen aus den Konzernetagen der Agrarkonzerne zur Sicherung ihrer klima- und gesundheitsschädlichen Geschäftsmodelle.

Vor allem im jahrelangen Streit um eine Reform der EU-Agrarpolitik zeigen sich die wahren Machtverhältnisse im Kampf um die vorherrschenden Ernährungssysteme – ökologisch, klimaschützend, sozial kleinbäuerlich auf der einen Seite oder intensive Monokulturen, Einsatz von Giften und Mineraldüngern und klimaschädlich, wie dies die grossen Agrarkonzerne meist praktizieren.

Erneut haben sich die grossen Agrar- und Chemiekonzerne durchgesetzt

Am Ende setzte sich im Juni dieses Jahrs die Agrarindustrie bei der entscheidenden Frage der Agrarsubventionen, dem grössten Ausgabeposten der EU, durch: Die Mittel für eine Umstellung auf eine ökologischere Landbewirtschaftung (2. Säule der EU-Agrarsubventionen) werden lediglich von 20 Prozent auf 25 Prozent der gesamten Subventionen aufgestockt. Das heisst im Klartext, dass die erste Säule 75 Prozent bekommt. Dort gibt es keine ernsthaften Auflagen für mehr Ökologie. Das heisst, Monokulturen, Pestizide, Mineraldünger, schlicht die klima- und gesundheitsschädlichen Agrarmethoden werden weiter mit dem Löwenanteil der EU-Subventionen befördert.

Wie verheerend aber die Landwirtschaftsmethoden der Agrarkonzerne wirklich sind, hat die Alternative Nobelpreisträgerin Vandana Shiva aus Indien in ihrem neuen Buch „Wer ernährt die Welt wirklich?“ das Versagen der Agrarindustrie und die notwendige Wende zur Agrarökologie ausführlich und mit vielen Fakten und eigener weltweiter Erfahrung unterlegt aufgeschrieben. Der Verlag stellt das Buch wie folgt vor:

In dieser Abrechnung der Aktivistin Vandana Shiva wird eindrucksvoll dargelegt, wie die Agrarindustrie mit Chemie und Gentechnik den Planeten plündert, die Lebenswelt zu Grunde richtet und unsere Gesundheit untergräbt. Sie zeigt faktenreich und sachkundig auf, wer wirklich unsere Nahrungsgrundlage sicherstellt und wie wir den Hunger besiegen und unsere Nahrungssicherheit wieder herstellen können.
Nur 30 Prozent der von den Menschen verzehrten Lebensmittel stammen aus industriellen Grossbetrieben, 70 Prozent aus kleinen, biologisch vielfältigen Betrieben. Dafür werden 75 Prozent der ökologischen Zerstörung unseres Bodens unseres Wassers und unsere biologische Vielfalt durch industrielle Anbaumethoden verursacht und 40 Prozent der Klimaverwüstung, die wir heute erleben, ist auf die industrielle globalisierte Landwirtschaft zurückzuführen.
Das heisst: Die industrielle Landwirtschaft wird, bis sie auch nur 40 Prozent unserer Nahrungsmittelversorgung bereitstellen kann, 100 Prozent unserer ökologischen Lebensgrundlagen zerstört haben. Dies ist ein Rezept für unser Aussterben, nicht für die Ernährung der Welt. Der biologische Anbau in landwirtschaftlichen Betrieben und Gärten überall muss zur planetarischen Mission werden. Wir müssen für ein Ernährungs- und Landwirtschaftssystem innovativ tätig werden, das die Erde, unsere Gemeinschaften, unsere Städte und unsere Gesundheit regeneriert. Das ist Agrarökologie.

Das Buch liest sich in weiten Teilen wie eine – wie auch ich meine – berechtigte Anklage an die Agrarkonzerne, die einen grossen Teil des heutigen Welthungers und der Erdüberhitzung zu verantworten haben. Es ist gleichzeitig ein starkes Plädoyer für eine kleinbäuerliche dezentrale Bauern- und Bäuerinnenkultur, mit ökologischer Ausrichtung und daher sehr lesenswert. Es wäre zu wünschen, wenn das Buch eine starke Wirkung entfachen könnte, endlich den mächtigen Einfluss der Agrarkonzerne auf politische Beschlüsse zu mindern.

Die moderne Gentechnik ist nicht mit der alten zu vergleichen

An einem Punkt hätte ich mir aber eine differenziertere Analyse gewünscht: Zweifellos hat die bisherige Anwendung der Gentechnik durch die Saatgutkonzerne meist einen stark monopolisierenden Einfluss für sie geschaffen und hat viele LandwirtInnen in finanzielle Abhängigkeiten oder gar Ruin getrieben, sowie eine wertvolle über Jahrhunderte entwickelte traditionelle Saatgutvielfalt zerstört. Insbesondere durch Patente und Gerichtsverfahren haben Saatgutkonzerne viele bäuerliche Existenzen vernichtet und die Saatgutvielfalt verringert.

Doch moderne Gentechnikmethoden machen das gleiche wie klassische Saatgutzüchtungen nur schneller und gezielter. Sie werden oft an Universitäten oder regionalen Forschungszentren entwickelt und könnten so ohne Patente oder Machtmonopole durch Konzerne an Kleinbauern und -bäuerinnen mit verbessertem Saatgut weitergegeben werden.

Dann können neue Gentechnikmethoden wie die Genschere (CRISPR) – ein guter regulatorischer Gesetzesrahmen, der Fehlentwicklungen wie ein Ausnutzen durch Agrarkonzerne verhindert, vorausgesetzt – genau das bewirken, was von Vandana Shiva in ihrem Buch bestens beschrieben wird, was aber die Gentechnik bisher meist verhinderte: Die Stärkung der Kleinbauern und -bäuerinnen zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Agrarkonzernen. Mit Saatgut, welches gute Erträge sichert, ökologisch stabil ohne Pestizide auskommt und so auch einen Beitrag zur Hungerbekämpfung und Klimaanpassung liefern kann.

Doch dieser fehlende Ausblick auf neue Gentechnikmethoden, die die wichtigen Ziele einer konzernunabhängigen, kleinbäuerlichen, ökologischen und sozialen, sowie klimaschützenden Landwirtschaft befördern können, schmälert nicht den grossen Einblick, den uns Vandana Shiva gibt, in die fehlgeleiteten Entwicklungen der weltweiten Ernährungspolitik, die immer noch weitgehend von den Interessen der grossen Agrarkonzerne diktiert wird.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

GVOLogo

Pro und Contra Gentechnik

Genveränderte Nahrungs- und Futtermittel: Was ist erlaubt, was verboten. Wer haftet für Langzeitschäden?

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5 Meinungen

  • am 10.08.2021 um 11:10 Uhr
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    Die neue Gentechnik bricht die Machtposition der Agrarmultis nicht: Eine Deregulierung bringt keine Demokratisierung des Biotech-Markts, sondern bildet eher einen Hebel für die Absicherung der marktbeherrschenden Stellung einiger Weniger. Bereits kontrolliert der Agrarriese DowDupont den Gentechnikmarkt durch ein Patent-Kartell auf CRISPR/Cas. Um die neue Gentechnologie vollumfänglich in Pflanzenzucht einsetzen zu dürfen, muss ein Unternehmen Zugang zu über 40 Grundlagenpatenten haben (Testbiotech Link: https://www.testbiotech.org/aktuelles/steigende-anzahl-von-patenten-auf-pflanzen-aus-neuer-gentechnik). Lizenzen für die Vorlaufforschung und Forschungslizenzen für geplante Anwendungen sind zwar relativ günstig, somit auch für KMU bezahlbar. Gebühren für kommerzielle Lizenzen und solche auf Produktverkäufe sind jedoch sehr hoch. Deshalb werden in dieser Phase die Entwickler, typischerweise KMU, von den grossen Konzernen aufgekauft. Eine weniger strenge Risikoprüfung reduziert die Verantwortung der vermarktenden Firmen im Hinblick auf die Gesundheits-und Umweltsicherheit des Produktes. Dies geht jedoch auf Kosten der Sicherheit der Konsumierenden und der Umwelt, weshalb eine Risikoprüfung unabdingbar ist.

    Die Genomeditierung ist keine schnelle und effektive Antwort auf die Herausforderungen des Klimawandels: dazu mehr im Argumentarium der Schweizer Allianz Gentechfrei https://www.gentechfrei.ch/images/stories/pdfs/2021/210706Argumentarium_NGV-def.pdf

  • am 10.08.2021 um 12:00 Uhr
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    Ist diese Hoffnung nicht doch etwas zu naiv? Auch die Grundlagen für die Covid-Impfungen wurden an Universitäten entwickelt. Spätestens bei der massenhaften Vermehrung (hier Saatgutvermehrung) sind industrielle Dimensionen erforderlich, die bei Uni-Labors nicht vorhanden sind. Spätestens hier dürften die Konzerne wieder ins Spiel kommen – mit den Effekten wie gehabt.

  • am 10.08.2021 um 12:08 Uhr
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    Am Schluss des Artikels wird eine differenziertere Analyse gewünscht und neue gentechnische Verfahren als mögliche Lösung angeführt. Doch bei genauer Analyse können diese ihr Versprechen nicht halten, denn die risikoreiche Gentechnik basiert auf vereinfachten Modellen und bekämpft lediglich isoliert Symptome, deren Ursachen in den intensiven landwirtschaftlichen Bewirtschaftungssystemen zu suchen sind.

    Ein gut verständliches und wissenschaftsbasiertes Dossier hierzu: http://www.gentechfrei.ch/klimadossier

    Für eine nachhaltig klimaschonende Landwirtschaft braucht es einen Systemwechsel, bei dem das aktuelle intensive Bewirtschaftungsmodell grundlegend umgestellt wird. Existierende agrarökologische Methoden, die u.a. auf Biodiversität in Feld und Umwelt sowie Adaptionsfähigkeit der Pflanzen durch Interaktion mit der Umwelt setzen, machen Gentechnik überflüssig.

    Die Genomeditierung bringt uns keine trockenheitstoleranten und krankheitsresistenten Pflanzen, da diese Merkmale sehr komplex sind, Ergebnis eines interagierenden Netzwerkes mehrerer Hunderten von Genen. Diese lassen sich nicht durch punktuelle Eingriffe verändern. Die Grundlagenforschung hat bislang nur Einzelerkenntnisse geliefert und ist noch weit davon entfernt, die Funktionsweise des Wechselspiels der Gene enträtseln zu können.

    Hinzu kommt: Die Risiken sind unerforscht, manifestieren sich oft erst später, wenn die künstlichen Gene nicht mehr aus der Natur rückholbar sind.

    Oliver Lüthi, Schweizer Allianz Gentechfrei

  • Portrait_Gnther_Wassenaar
    am 10.08.2021 um 16:24 Uhr
    Permalink

    Werte Freunde, so wie vor 70…80 Jahren und noch vieleJahre danach, der Atom-Technik das Wort geredet wurde, wo man glaubte mit der Kernspaltung alles gelöst zu haben, so sehe ich das heute mit der Gen-Technik ebenso.
    Atom-Strom ist gut – aber so lange die Abfallbeseitigung nicht geklärt ist,ist diese technik unbrauchbar !
    Gen-Technik bringt viele Vorzüge, aber so lange nicht geklärt ist, wie die natürlichen Pflanzen vor genmanipulierten geschützt werden können, wie also über einen Zeitraum X alle Pflanzen genetidsch verändert sind – es also keinen Weg zurück mehr gibt, so lange sollten zwar Forschungen auf der Strecke stattfinden, aber keine Anwendungen in breiter natur. Es wäre ein Verbrechen

  • am 11.08.2021 um 08:13 Uhr
    Permalink

    Man könnte die «intensiveste» Landwirtschaft auch als eine der bewusst «durchgewinkten» Möglichkeiten sehen,

    das Wachstum der Menschheit auszubremsen

    und den «oberen Bauch» der Alters-Pyramide zu verschlanken.

    Nur wer wissend und reich ist, hat dann gute Chancen, sich besser und gesünder ernähren und darum steinalt werden.

    wolfge, scheinbar.org

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