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Volksgericht über skrupellose Minenbetreiber: Zeugin Rosalinda Dionicio sagt aus © pg

Volkstribunal verurteilt Bergbaufirma mit Schweizer Beteiligung

Philipp Gerber /  Silbermine im mexikanischen Oaxaca verletzt gemäss Experten massiv Menschenrechte. Schweizer Banken sind als Investoren beteiligt

Red. Autor Philipp Gerber ist Projektkoordinator der Mexiko-Projekte von «Medico International Schweiz» in Oaxaca und arbeitet als freier Journalist.

«Ni oro, ni plata, la minería mata» – «Kein Gold, kein Silber, der Bergbau tötet», war der Schlachtruf einer Grossveranstaltung in Oaxaca Stadt, an der Vertreter von 22 indigenen Gemeinden Oaxacas ihre Klagen vorbrachten, gegen multinationale Bergbauunternehmen in einem eigens dafür eingerichteten Tribunal. Dieses tagte am 11. und 12. Oktober in Oaxaca Stadt.
322 Bergbaukonzessionen vergeben
Die Jury dieses Gewissenstribunals bildeten mexikanische und lateinamerikanische Juristen sowie Exponenten aus sozialen Bewegungen. Das Gewissenstribunal entstand auf Initiative der betroffenen Gemeinden anlässlich eines bundesstaatlichen Treffens gegen die Bergbauaktivitäten in Februar 2018 in Magdalena Teitipac, ein zapotekisches Dorf, das eine Bergbaufirma aus ihrem Territorium warf. Die Regierung des bei Touristen beliebten Bundesstaats Oaxaca hingegen will die Bergbauindustrie forcieren: Bisher sind 322 Bergbaukonzessionen mit einer Gesamtfläche von fast 500’000 Hektaren vergeben worden, wobei aktuell erst drei Minen ausgebeutet werden.

Zweitägiges Volksgericht mit Experten und Zeugen (Bild pg)
Giftiges Schmutzwasser
Fast 500 Personen aus 52 Gemeinden hörten sich die Klagen über die massiven Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen an, welche der Bergbau mit sich bringt. Besondere Aufmerksamkeit galt der Gemeinde Magdalena Ocotlán, in der nur Tage zuvor toxisches Schmutzwasser aus den Anlagen der Silbermine «Cuzcatlán» einen Fluss verseuchte. Sie gehört der kanadischen Firma Fortuna Silver Mines (FSM). Wie die Betreiberfirma mehrere Tage nach dem Unfall zugab, waren aufgrund unerwartet heftiger Regenfälle die Pumpen der Firma im Bereich einer Mulde überfordert.
Sichtlich erzürnt überreichten Anwohner der Gemeinde dem Gericht eine Probe des verseuchten Wassers und klagten, dass die Behörden sich nicht rechtzeitig um die Dokumentation der Katastrophe kümmerten: «Wir sind sehr besorgt, weil sich nur wenige Meter neben dem verschmutzten Fluss El Coyote die einzige Trinkwasserquelle der Gemeinde befindet, niemand in unserem Dorf kann das Wasser verwenden, weil wir nicht wissen, ob es verseucht ist», erläuterte das Trinkwasserkomitee der Lokalverwaltung.
Oppositions-Anführer ermordet, Zeugin verletzt
In der Nachbarschaft von Magdalena Ocotlán befindet sich das zapotekische Dorf San José del Progreso, Sitz der Silbermine Cuzcatlán der gleichen Firma FSM. Deren Bewohner schilderten den Richtern die grossen sozialen Verwerfungen, welche das Bergbauprojekt «San José» verursachte, bis hin zu Mordfällen. So wurde 2012 der Ingenieur Bernardo Vásquez, Anführer der Opposition, ermordet.

Die als Zeugin auftretende Rosalinda Dionicio wurde schwer verletzt. Zwei der angeblichen Mörder wurden wegen fehlender Beweise freigelassen. Die Gemeinde ist bis heute in zwei feindliche Lager gespalten. Mindestens vier Morde geschahen in direktem Zusammenhang mit der Tätigkeit der Bergbaufirma. Vielerorts lauert latente Gefahr.
Schweizer Beteiligungen
Interessant ist die Beteiligungsstruktur von Fortuna Silver Mines: Der grösste institutionelle Anleger der in Vancouver registrierten FSM ist der in New York und Frankfurt börsenkotierte Goldfunds Van Eck mit über 20 Millionen Aktien, aber auch die Credit Suisse (über eine Million Aktien) sowie mit kleineren Beteiligungen die UBS, die Schweizer Nationalbank und sogar die Zürcher Kantonalbank sind Mitbesitzerinnen dieser Silbermine, die seit Jahren in der Kritik der lokalen Menschenrechtsorganisationen steht. In den Verhandlungen im UNO-Menschenrechtsrat für einen besseren Schutz der Menschenrechte im Kontext der Grossprojekte wurde die Geschichte von Rosalinda Dionico aus San José del Progreso beispielhaft erwähnt: Menschenrechtsaktivisten wie Rosalinda benötigten verbindliche Regeln zu ihrem Schutz vor der Raffgier der Unternehmen, die nur ihren Gewinn im Auge hätten.
Welche ökonomischen Interessen das rücksichtslose Geschäft mit Silber und Gold antreiben, zeigen die jüngsten Ausbeutungszahlen von Fortuna Silver Mines, bekanntgegeben in derselben Woche, in der sie das Wasser von Magdalena Ocotlán verseuchten: Allein im 3. Quartal 2018 beutete FSM in dieser Mine Edelmetalle im Wert von 825 Millionen Pesos aus (43 Millionen CHF), das entspricht einem Tageswert von 9.2 Millionen Pesos oder 100’000 mexikanischen Tagesmindestlöhnen.
Die im Gewissenstribunal anwesenden Gemeindevertreter sahen sich darin bestärkt, den Bergbauunternehmen geschlossen entgegenzutreten. Das Tribunal forderte in einer ersten, provisorischen Urteilsverkündung die Abschaffung des aktuellen Bergbaugesetzes, weil es die indigenen Rechte missachte, und erklärte die Bergbaubewilligungen für illegal. Ausserdem empfahl es den Behörden dringend, die massive Kriminalisierung der Menschenrechtsverteidiger zu beenden und die Autonomie der indigenen Gemeinden zu stärken.
Gemäss dem Jurymitglied Abel Barrera, Direktor des Menschenrechtszentrums Tlachinollan, war dieser «populäre und kommunitäre Prozess gegen die Bergbaufirmen und den Staat» eine beispielhafte Initiative von unten. Er äusserte die Hoffnung, dass unter der Administration des zukünftigen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador die indigenen Stimmen gegen den Extraktivismus Gehör finden würden. Die Organisatoren des Tribunals kündigten an, dass sie das ausgearbeitete Urteil den Behörden und Menschenrechtsinstanzen in den nächsten Wochen übergeben werden.

Video-Reportage von Betroffenen der Silbermine:


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der freie Journalist Philipp Gerber ist auch Projektkoordinator der Mexiko-Projekte von «Mexico International Schweiz» in Oaxaca.

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Eine Meinung zu

  • am 29.10.2018 um 14:51 Uhr
    Permalink

    Dieser Fall beweist einmal mehr die Notwendigkeit, schweizerische Konzerne und Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. Aber wer ist dagegen?
    Einmal mehr eine bekannte Partei. FDP oder «Forsche Durchsetzung des Profitdenkens». Mit einem zuverlässigen Bundesrat an der Spitze. Bei der Vertretung von Wirtschaftsinteressen schläft er jeweils nicht.

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