Kommentar

Credit Suisse: Eine Nachlese zum Ende der Party

Marc Chesney © zvg

Marc Chesney /  Wenn man das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen möchte, muss man sie vor den Auswüchsen der Finanzwelt schützen.

Die Lichter sind aus: Für die Credit Suisse ist die Party vorbei. Geschäftsleitungsmitglieder und Verwaltungsräte verlassen vorübergehend den gedämpften grünen Teppich der Casino-Finanzwelt. Sie tun es mit ernster Miene, vollen Taschen und leichtem Herzen. Das Äussern von Bedauern und Entschuldigungen ist aus gegebenem Anlass angebracht. Sie hätten ihr Bestes gegeben.

Dafür liessen sie sich fürstlich bezahlen. 

Die Öffentlichkeit soll es glauben: Nur Pech, Gerüchte und sogar Verschwörungen aus dem Ausland seien ihrem Geschäftsmodell, ihrem geschickten Risikomanagement und ihrer Fähigkeit, «das Vertrauen der Finanzmärkte wiederzugewinnen», in die Quere gekommen. 

Bis zum Überdruss wurde uns in letzter Zeit wiederholt eingebläut: Es brauche jetzt diese Unsummen, um das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen, das in letzter Zeit so sehr gefehlt und uns manchmal den Schlaf geraubt habe. 

Doch das Vertrauen der Bürger und der Steuerzahlenden steht leider nicht auf der Agenda. Um ihr Vertrauen zu gewinnen, muss man sie vor den Auswüchsen der Finanzwelt und ihren Pokerspielern schützen. Das jedoch steht nicht auf der Tagesordnung. 

Gehen wir noch einmal auf die Chronologie der Ereignisse ein.

Rund 35 Jahre FinanzCasino

Die Übernahme der First Boston durch die Credit Suisse im Jahr 1988 war der Start der Bank in die Liga der Casino-Finanzwelt mit gross angelegten Wetten. Ein Wechsel des Geschäftsmodells zeichnete sich ab. Statt einfach nur Zinsen für vergebene Kredite zu kassieren und Vermögen zu verwalten, wollte man sich auf Fusionen und Übernahmen sowie auf spekulative Derivatgeschäfte konzentrieren, die in riesigen Handelsräumen abgewickelt werden. Es ging darum, grosse Gewinne möglichst schnell zu realisieren. Allfällige grosse Risiken werden letztlich von den Steuerzahlenden getragen. Das neue Geschäftsmodell entwickelte sich weltweit rasant und wurde zum Massstab für alle Grossbanken.

15 Jahre bewusste Blindheit

Die Finanzkrise von 2008 und der Zusammenbruch der Bank Lehman haben den zerstörerischen und schädlichen Charakter dieses Modells deutlich aufgezeigt.

Ein Cocktail aus komplexen, toxischen und undurchsichtigen Finanzprodukten, eine enorme Verschuldung und groteske Vergütungen für die oberste Etage der Finanzinstitute und ihre Händler sowie gleichzeitig ein grenzenloser Zynismus haben das System an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. 

Trotzdem schauten die meisten Politiker und Akademiker, die auf Finanz- und Wirtschaftsfragen spezialisiert sind, mit Scheuklappen weg. Sie vergassen, ihrer Pflicht nachzukommen und die Interessen der Steuerzahlenden und Bürger zu wahrzunehmen. So konnte die ungezügelte Finanzwelt zur Freude ihrer Lobbyisten weiterhin ungehindert ihre Geschäfte machen. 

Bereits seit 2018 machte ich auf diese Probleme aufmerksam: Der Bankrott von Lehman Brothers sei der Bankrott eines Systems (NZZ). Die Finanzcasino-Mentalität sowie die Vergütungen der verantwortungslosen CS-Manager seien skandalös (Tages-Anzeiger). Allein im Jahr 2020 habe der Nominalwert dieser komplexen Finanzprodukte, auch Derivate genannt, bei der CS etwa das 25-Fache des Schweizer Bruttoinlandprodukts ausgemacht!

Eine Woche der Panik

Vom 13. bis 19. März 2023 herrschten Verwirrung und Panik. Am 15. März beruhigten die Schweizerischen Nationalbank SNB und die Aufsichtsbehörde Finma und alle Medien verbreiteten es: «Die Credit Suisse erfüllt die Kapital- und Liquiditätsanforderungen an systemrelevante Banken.» Das hinderte die CS nicht daran, Stunden nach dieser beruhigenden Aussage trotzdem bei der Nationalbank einen Kredit von 50 Milliarden Franken zu beantragen, angeblich um die Finanzmärkte zu beruhigen. Die Beruhigung der Finanzmärkte hielt nur wenige Stunden an. 50 Milliarden waren offensichtlich nicht beruhigend genug. 

Die Spekulanten auf den Finanzmärkten wollten mehr.

Zwei Tage, um eine Lösung zu finden

Unter dem Druck der US-Regierung, die eine weitere Ausbreitung des Dominoeffekts befürchtete, den der Zusammenbruch der Bank aus dem Silicon Valley ausgelöst hatte, wurde am Wochenende des 18. und 19. März in aller Eile und wenig transparent eine Lösung ausgeheckt: Die UBS kann die CS zu einem symbolischen Preis übernehmen. Man wandte sogar Notrecht an, um die wichtigsten vertraglichen Vereinbarungen geheim halten zu können. 

Alle seit 2008 eingeführten Regulierungen – beispielsweise für ein Insolvenzverfahren unter Rettung des Schweizer Geschäfts – wurden ignoriert. Man schuf einen Koloss, der in Zukunft die Schweiz kontrollieren wird, anstatt von ihr kontrolliert zu werden. Die Bilanz dieser neuen UBS wird etwa das Zweieinhalbfache des Schweizer Bruttoinlandprodukts (BIP) betragen, der Nominalwert der ausstehenden Derivate das 30- bis 40-Fache dieser Summe.

90 Minuten lang Kommunikationsübungen

Der letzte Akt war eine Farce, über die man lachen könnte, wenn sie nicht tragisch wäre. Sie bestand darin, dass die Hauptakteure dieser Affäre am gleichen Tisch zusammensassen. Es waren dieselben, die einige Tage zuvor noch erklärt hatten, dass die Credit Suisse die Kapital- und Liquiditätsanforderungen an systemrelevante Banken erfülle. 

An der Pressekonferenz vom 19. März erklärten sie, dass die Übernahme die beste Lösung für die Schweiz sei, um das Vertrauen der Finanzmärkte wieder herzustellen.

Über den Fall der CS hinaus handelt es sich

  • um den Bankrott des Finanzsystems, das zu einem Casino geworden ist;
  • um das Versagen einer politischen Elite, die 15 Jahre lang alles geschehen liess; 
  • um das Versagen der akademischen Welt in diesem Bereich, die eine unangebrachte Nachgiebigkeit gegenüber den Finanzinstitutionen an den Tag legte. 

Die Bürgerinnen und Bürger müssen wachsam bleiben, sonst werden die Partys und Pleiten weitergehen.

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Dieser Artikel erschien in Le Temps am 27. März 2023.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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7 Meinungen

  • am 7.04.2023 um 15:27 Uhr
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    Letztendlich fehlt es am klaren politischen Willen, das desaströse Finanzmonster (weltweit) zu zähmen. Das perverse System ist seit der 1990er Deregulierung dermassen aus dem Ruder gelaufen, dass eine wirkungsvolle Eindämmung schlicht nicht mehr möglich ist. (Frei nach Goethe: „In die Ecke, Besen, Besen…“).

    Wäre da bloss ein aufgeblasenes Finanz-Kasino mit eigenem Geldkreislauf („Monopoly-Geld“), wo sich Gewinner und Verlierer hinter verschlossenen Türen um den Roulette-Tisch scharen und sich gegenseitig das Geld aus der Tasche ziehen, gemach, gemach. Leider schlägt jedoch deren Gebaren, wie erneut an der Causa CS erlebt, schonungslos in die Realwirtschaft und bis zu den BürgerInnen, lies SteuerzahlerInnen, durch.

    Und unsere gewählten VolksvertreterInnen? Knicken nach ersten Empörungsrufen und dem Erkennen ihrer Geiselhaft nach wenigen Tagen schon wieder kleinlaut ein…

  • am 7.04.2023 um 16:13 Uhr
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    Treffender, als es Marc Chesney tut, kann man die bei der Crédit Suisse über Jahre hinweg herrschende, abstossende Casinobank-Zockermentalität nicht mehr beschreiben : «Le charme discret du secteur bancaire helvétique», ein trostloses Sittenbild von hemmungsloser Gier und völliger Verantwortungslosigkeit. Man fühlt sich unwillkürlich an Dürrenmatts «Frank der Fünfte», Oper einer Privatbank erinnert, einer Bank, die Zeit ihres Bestehens niemals auch nur ein einziges anständiges Geschäft getätigt hat. – Es bleibt das deprimierende Fazit «Les jeux sont faits. Rien ne va plus» … und «Gewinne privat, Verluste dem Staat» …

  • am 7.04.2023 um 20:47 Uhr
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    Was wäre wenn …… die Bank Konkurs gegangen wäre? 100’000 Fr auf Privat-, Spar- oder Lohnkonten wäre gesichert gewesen, bis zu einem Maximalbetrag von 6’000’000’000 Fr. Geteilt durch die 100’000 Fr macht 60’000 Konten. Ja, wie viele Konten hat(te) denn die CS? Sind es nicht wesentlich mehr? Wären es 10 mal mehr Konten, blieben als gesicherter Betrag pro Konto noch 10’000.- Wären es 100 mal mehr Konten, bleiben noch 1000 Fränkli. Hoppla. Schöne Bankgarantie.

    • am 10.04.2023 um 11:26 Uhr
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      Um den Einlagenfond zu schützen (Originalton der deutschen Banken) wird die Sicherungsgrenze schrittweise nach unten verschoben
      1. Januar 2023 max 5 Millionen für nat. Personen, Stiftungen und gesellschaften bürgerlichen Rechts
      1. Januar 2025 max 3 Millionen
      1. Januar 2030 max 1 Million

      50
      30
      10 für …

      ab ca. 2035 ein Gutschein für 1 Kilo Mehl, 1 Kilo Äpfel, 100 Gramm Butter, 1 Kilo Rübli …(«Vermutung»)
      … ich liebe «Rüblikuchen», da hab´ich doch Glück, oder ?

  • am 9.04.2023 um 10:07 Uhr
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    Solange rechtsbürgerliche Mehrheiten den Banken Heimatschutz gewähren wird sich nichts ändern. Die Resultate einer PUK sind nicht mal das Papier wert. Der Standartsatz aus diesen Kreisen lautet: «Ich kann micht nicht mehr erinnern.»Selbst ganz wenige Resultate werden die Banken nie umsetzen. Sie müssen ja auch nicht weil sie wissen dass der Heimatschutz vorhanden ist.

  • am 9.04.2023 um 12:43 Uhr
    Permalink

    Das ist eine gute Darstellung der Geschehnisse um Credit Suisse, doch das Kernproblem fehlt meines Erachtens, das nicht nur die CS betrifft, sondern den ganzen Finanzplatz. Es geht um die Verdunklungs-, Verschleierungs- und Schweigekultur des schweizerischen Systems, das zum Totalversagen z.B. bei der CS Rettung führte. Sache ist, dass die Medienfreiheit 2015 durch das Parlament mit der Unterstellung von Journalisten unter das Bankgeheimnis, der fehlende Schutz von «Truth Tellers» d.h. Whistleblowers in der Schweizer Gesetzgebung, die Angst- und Machtkultur der Führungskräfte geduldet und geschützt wurde und letztlich die Strafjustiz als Schutzpatron der dubiosen Machthaber/innen instrumentalisieren liess. Das Resultat liegt im Fall der CS vor und weitere werden folgen sofern das Parlament kein Gegensteuer gibt, was leider zu erwarten ist! Schade, doch das ist das realistischte Szenario!!!

  • am 10.04.2023 um 11:10 Uhr
    Permalink

    Ich habe mal testweise Calls auf irgendwas über die Commerzbank gekauft, die machen Werbung mit dem Spruch : «Ab 1000 Euro ordergebührfrei». Ich habe einfach mal für 400 Euro Calls, keine Knockouts gekauft, amerikanischer Typ, jederzeit handelbar, aber nicht wenn es zu «Turbulenzen» kommt, da wurde der Handel einfach mal für ca. 6 Stunden ausgesetzt. Ich habe über eine Freundin, die bei der Commerzbank … . Dann war ich in ihrem zurückgemietetem Turm und fragte unten: «Wo gehts denn hier zur Deriavateabteilung.» Dei Antwort der «Bankfachkraft»: «Was ist eine Derivateabteilung? Wir haben hier keine Derivateabteilung.» «Tatsächlich» befindet sich die Abteilung irgendwo zwischen Paris und Frankfurt, zwischen der Commerzbank in Frankfurt und der BNP Paribas in Paris.
    Die Baustelle nördlich der Commerzbank wächst sehr schnell, kein Mangel an Fachkräften, der Quadratmeterpreis des Baugrundstücks liegt bei ca. 500 000 Euro, ganz nah Louis Vuitton und Heroin, im Sitzen in den Fuß, unter …

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