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35 Haushalte in Abschlusspräsentation des Projekts «Aufgabeln» am 9. November 2023. © Daniela Gschweng

Nachgewogen: Der häufigste Foodwaste waren Rüebli

Daniela Gschweng /  Zwei Aargauer Gemeinden haben dokumentiert, wie viele Lebensmittel sie wegwerfen. Das Interesse an den Ergebnissen ist gross.

Ein Drittel der Lebensmittelverschwendung in der Schweiz fällt in privaten Haushalten an. Rund 90 Kilogramm noch essbare Lebensmittel landen pro Jahr im Abfall, sagt die offizielle Statistik des BAFU. Zwei Aargauer Gemeinden haben im September nachgemessen.  

35 Haushalte mit insgesamt 76 Personen wogen in einem Citizen-Science-Projekt des Kantons Aargau sieben Tage lang, was sie wegwarfen. 32 Kilogramm noch essbare Lebensmittel landeten in den Gemeinden Rheinfelden und Wallbach im Abfall.  

Hochgerechnet und geglättet werfen die beiden Gemeinden pro Person und Jahr 26,6 Kilogramm Lebensmittel weg. Deutlich weniger als der Schweizer Durchschnitt von 90 Kilogramm, rechnete Linda Münger, Projektleiterin des unterstützenden Unternehmens Catta, bei der Abschlusspräsentation des Projekts «Aufgabeln» am 9. November vor. Verursachten alle Einwohner:inne der Schweiz diese 26,6 Kilogramm Foodwaste, käme man auf 230’000 Tonnen im Jahr. Die offizielle Zahl des Bundesamts für Umwelt liegt bei 790’000 Tonnen.

Bei Citizen Science oder Bürgerwissenschaft werden Messungen, Datensammlungen oder -auswertungen unter Mithilfe oder vollständig von Laien durchgeführt. Freiwillige zählten schon Regenwürmer im Boden, Pinguine in Kolonien, tote Insekten auf Windschutzscheiben oder sie kategorisierten Littering-Müll.

Meistens Rüebli, gefolgt von welkem Salat

Besonders häufig warfen die teilnehmenden Haushalte Rüebli und deren Rüstabfälle weg, gefolgt von welkem Salat und Hafermilch. Letztere sei aber eher ein statistischer Aussreisser, weil 1,7 Liter Hafermilch wegen der kurzen Projektdauer sehr zu Buche schlugen. Mit 52 Prozent der Gesamtmenge machten Gemüse und Obst den grössten Anteil des Abfalls aus.

Rüstabfälle sind essbarer Müll und zählen zum Foodwaste, genauso wie beispielsweise Blumenkohlstrünke, Radieschenblätter, Saft aus Konservendosen oder Öl in Sardinendosen.

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Als am umweltschädlichsten stellten sich aber ohnehin 1139 Gramm Schweinefleisch und Wurst heraus, die während der Projektwoche im Abfall landeten.

Am meisten Essen warfen Einpersonenhaushalte und Wohngemeinschaften weg, am wenigsten Alleinerziehende. Meist deshalb, weil sie das Weggeworfene unappetitlich fanden oder noch essbare Rüstabfälle wegwarfen (37 Prozent), Lebensmittel verdorben waren (27 Prozent), sie zu viel gekocht hatten oder noch Reste in der Packung waren (18 Prozent). Erfasst wurde der Abfall mit einer App der Universität Zürich, die für «Aufgabeln» angepasst wurde.

Aargauer Projekt füllt eine Lücke

Die Ergebnisse des Aargauer Projekts sind nicht repräsentativ und haben nur kleinen wissenschaftlichen Nutzen, dazu ist unter anderem die Projektdauer zu kurz und die Stichprobe zu klein. Hochrechnungen auf die nationale Ebene haben also eher Beispielcharakter. Als Kritikpunkt vorgetragen wurde auch, dass an solchen Erfassungen Teilnehmende während des Projekts womöglich unbewusst oder absichtlich ihr Konsumverhalten ändern.

Dennoch füllt das Projekt eine klaffende Lücke. Bisher gibt es wenig Daten über Foodwaste und noch weniger zu privaten Haushalten in der Schweiz. Nationale Zahlen zur Lebensmittelverschwendung stammen teilweise von 2017. Insgesamt stammen laut der UN-Ernährungsorganisation FAO acht bis zehn Prozent der weltweit produzierten Treibhausgase aus weggeworfenem Essen.

Entsprechend gross sei das Interesse an «Aufgabeln», sagt Franziska Ruef vom Aargauer Departement Bau, Verkehr, Umwelt, die das Projekt initiiert, geleitet und sich dazu breit vernetzt hat. Bei der Durchführung half das Startup Catta, das Citizen-Science-Projekte begleitet.

Lob vom Foodwaste-Meister der Schweiz

«Gute Arbeit», lobte der Wissenschaftler Claudio Beretta, der das Projekt mit unterstützte. Ein Lob, das Gewicht hat. Kaum jemand in der Schweiz dürfte mehr Erfahrung in der Erfassung von Lebensmittelverschwendung haben.

Beretta legte 2019 mit seiner Masterarbeit die erste nationale Foodwaste-Schätzung vor, die die Grundlage für die Publikation des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) bildete.

«Als ich 2017 mit der Masterarbeit anfing, konnte ich es selbst nicht glauben», sagt Beretta, der an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) zu Foodwaste forscht. «In anderen Forschungsgebieten ist es kaum möglich, alle Studien zu lesen, die bereits zum Thema publiziert wurden. Beim Thema Foodwaste gab es eine einzige Studie in der Schweiz, die Gastroabfälle im Kanton Aargau untersucht hatte. Das war alles.»

Die Daten, die einiges ins Rollen brachten

Die Daten, die Beretta zusammengetragen hat, seien relativ grobe Schätzungen, sagt er selbst. Was unter anderem an der unterschiedlichen Art der Erfassung in verschiedenen Branchen liege. Aber sie zeigten den Handlungsbedarf auf und lösten einiges aus. Unter anderem verabschiedete der Bundesrat 2022 den nationalen Aktionsplan Foodwaste, mit dem die Schweiz bis 2030 die Lebensmittelverschwendung gegenüber 2017 halbieren will. Dazu braucht es jedoch dringend eine bessere Erfassung der Lebensmittelverschwendung im Land.

Mit ChatGPT und Einkaufsliste gegen Verschwendung

Aktuelle Daten und politische Massnahmen wie Transparenz- und Verwertungspflichten sind das eine, fanden die Versuchsteilnehmer:innen in Rheinfelden abschliessend. Darüber hinaus haben sie zahlreiche Ideen, wie Foodwaste im Haushalt reduziert werden kann.

Darunter finden sich bekannte Tipps und Verhaltensregeln, wie weniger und dafür öfter einzukaufen oder Lebensmittel an Nachbarn weiterzugeben, aber auch moderne technologische Hilfsmittel, wie die App «Too Good To Go», mit der Betriebe nicht Verkauftes kurz vor Ladenschluss verbilligt abgeben können. Vorgeschlagen wurden auch Kochrezepte von ChatGPT für die Reste im Kühlschrank und «smarte» Kühlschränke oder Apps, die daran erinnern, dass etwas verdirbt.

Konkrete Pläne, das Projekt «Aufgabeln» zu wiederholen oder auf andere Gemeinden auszudehnen, gebe es bisher nicht, sagt Projektleiterin Ruef und verweist auf den für Anfang 2024 geplanten Abschlussbericht. Aber was nicht ist, könne ja noch werden. Infrastruktur in Form der Erfassungs-App liege ja nun vor. Eine interessierte Gemeinde habe sich bereits gemeldet. Zwei Forscherinnen von Agroscope, die die «Aufgabeln»-Präsentation besuchten, kündigten auf Nachfrage ebenfalls an, für das kommende Jahr Foodwaste-Studien in der Schweiz zu planen.  


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4 Meinungen

  • am 27.11.2023 um 21:56 Uhr
    Permalink

    «Rüstabfälle sind essbarer Müll»? Da bitte ich um Erläuterung. Bis dahin gebe ich sie vorerst ohne schlechtes Gewissen weiterhin in den Kompost.

    • alex_nov_2014_1_3_SW(1)
      am 27.11.2023 um 22:13 Uhr
      Permalink

      Versuchen Sie’s mit folgendem nicht hundertprozentig wissenschaftlichen aber verständlichen Ansatz: Wenn Sie wirklich Hunger hätten, würden sie es essen? Dann ist es Foodwaste.

      • am 29.11.2023 um 10:42 Uhr
        Permalink

        Mit der Einordnung von normalen Rüstabfällen als Foodwaste verliert die Studie ihre Glaubwürdigkeit. Ein Teil der Rüebli wird ja schon bei der Ernte als Tierfutter oder Kompost aussortiert – je nach Ansprüchen der Händler.
        Was ich in meiner Umgebung im Abfall beobachte, ist Brot, Essensresten (viel schöpfen und nicht essen), abgelaufene Lebensmittel, die aber noch längst geniessbar sind. Ein Thema ist auch der Umgang mit zu viel Zubereitetem in der Gemeinschaftsverpflegung, das die Küche nicht verlassen hat oder in den Behältern zurückkommt.
        Mit scheint, die Konsumenten sollen als Sünder herhalten. Nur sind sind sie eigentlich nur Mittäter, die allerdings auch eine Verantwortung tragen. Und da braucht es vermehrt Informationen vor allem an Kinder und Jugendliche: Richtig rüsten, Resten aufbewahren und geschickt verwerten usw.
        Die Geschichte ist nicht so einfach, es sind viele Akteure und Gesichtspunkte.

      • alex_nov_2014_1_3_SW(1)
        am 29.11.2023 um 19:12 Uhr
        Permalink

        Ich habe auf dieser Veranstaltung viele engagierte und kompetente Menschen getroffen. Keiner hat behauptet, es sei einfach. Um Verschwendung zu bekämpfen muss man aber wissen, wo genau Foodwaste ensteht. Subjektive Einschätzung hilft da nur ein Stückweit. Ein Rüebli ist tatsächlich komplett essbar, inklsive Grün, wie zum Beispiel auch Melonenschalen oder anderes, was hierzulande meist nicht gegessen wird.

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