800px-Trashed_vegetables_in_Luxembourg

Jeden Tag werden viele Tonnen noch essbare Lebensmittel in Supermärkten weggeworfen. Zum Teil nur deshalb, weil es zu viel Aufwand wäre, sie zu spenden. © Wikimedia Commons

Frankreich: «Essen nicht wegwerfen» ist Gesetz – und es hilft

Daniela Gschweng /  Seit 2016 müssen Frankreichs Läden Lebensmittel spenden statt wegwerfen. Das «Loi Garot» hat einen Innovationsschub ausgelöst.

2015 stellte das «Loi Garot» in Frankreich Lebensmittelverschwendung unter Strafe. Seit es verboten ist, geniessbares Essen wegzuwerfen oder unbrauchbar zu machen, tut sich deshalb einiges in Sachen Foodwaste. Die Tafeln, die gratis Lebensmittel an Bedürftige verteilen, bekämen beispielsweise rund 20 Prozent mehr und qualitativ bessere Lebensmittel, berichtete unter anderen die deutsche «Tagesschau».

Französischen Supermärkten ab 400 Quadratmetern Grösse drohen seit 2016 saftige Strafen von bis zu 0,1 Prozent des Umsatzes, wenn sie keine solche Kooperation eingehen und ihren Lebensmittelabfall nicht anderweitig eindämmen. Zu Anfang sei das Anti-Foodwaste-Gesetz nur zögerlich durchgesetzt worden, berichtete die «Süddeutsche Zeitung» 2019. Das scheint sich inzwischen geändert zu haben.

Supermärkten drohen saftige Strafen

Kleine Produzenten waren 2016 noch ausgenommen. Vor allem deshalb, weil sich bei den «Grossen» am meisten verändern lässt. Möglicherweise auch, weil sich das «Loi Garot», das nach dem ehemaligen französischen Landwirtschaftsminister Guillaume Garot benannt ist, in der Breite nicht kontrollieren liess.

Wer weiss, wie viel Obst, Gemüse, Milchprodukte und Fleisch schon bei einer einzigen Discounter-Filiale jeden Tag weggeworfen werden, kann die Gewichtung nachvollziehen. Oft genügt es, wenn ein einzelner Pfirsich in einer 10er-Packung nicht mehr gut aussieht, eine frischere Kiste Salat bald geliefert wird oder zu viel bestellt wurde. Oder die Ware ist falsch ausgezeichnet, was sich nicht zu ändern lohnt.

Oft ist Wegwerfen günstiger als Spenden

Unternehmen, die ihre Lebensmittel spenden statt wegwerfen, bekommen Steuererleichterungen, denn oft ist Wegwerfen günstiger als Spenden. Lebensmittel auszusortieren und bereitzustellen kostet Zeit und also Geld, auch die Abstimmung mit einem Kooperationspartner wie der Tafel ist aufwendig. Die Tafeln oder andere Organisationen wie Foodsharing arbeiten mit hunderten ehrenamtlichen Mitarbeitern, die Lebensmittel aussortieren, abholen, wieder sortieren und verteilen.

Seit 2016 wurde das Anti-Verschwendungs-Gesetz nochmals verschärft und auf weitere Teile der Produktionskette ausgeweitet. Ohne Druck, schloss der britische «Independent», bewege sich vor allem in grossen Unternehmen wenig. Die Supermarktkette Carrefour, die ein Fünftel des französischen Marktes abdeckt, hatte 2020 rund 30’000 Tonnen Lebensmittel gespendet, fand die Zeitung – 6000 Tonnen mehr als die gesamte Branche in Grossbritannien. Beide Märkte sind etwa gleich gross.

Ein ganzes Bündel Massnahmen

Frankreichs Kampf gegen Foodwaste umfasst darüber hinaus ein ganzes Bündel Massnahmen. Der Bericht der ARD beginnt mit der Beschreibung eines Werbespots, in dem ein intelligenter Kühlschrank das Essens-Management übernimmt und gleich die Einkaufsliste schreibt.

Lebensmittelverschwendung koste jedes Jahr 16 Milliarden Euro, informierte die Kampagne gegen Foodwaste und zielte damit auf die Endverbraucher. Rund ein Drittel aller Lebensmittel in Frankreich vergammelt in Privathaushalten.

Aufklärung ist Teil der Kampagne

Ein wichtiger Teil der Kampagne ist deshalb Sensibilisierung. Das fängt bei den Jüngsten an. Schülerinnen und Schüler wiegen Abfälle, die nach der Mittagsmahlzeit übrigbleiben, Erwachsene lernen, was ein Mindesthaltbarkeitsdatum von einem Verbrauchsdatum unterscheidet.

«Das meiste, was wir weggeworfen haben, waren fünf Baguette in einer Woche, das ist viel», sagt die Schülerin einer Schule, in der jeden Tag 1400 Mahlzeiten zubereitet werden. «Das wenigste war eins, das ist viel besser.» Die Schülerinnen und Schüler bekommen jetzt kleinere Portionen und dürfen sich dafür nachschöpfen.

AUDIO der ARD Tagesschau vom 14. Juli 2023

Das «Loi Garot» hat einen Innovationsschub ausgelöst

Frankreichs Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung hat nebenbei auch viel Innovatives ausgelöst. Der Grossmarkt von Marseille beispielsweise betreibt seit einigen Jahren eine Küche, in der nicht Verkauftes verarbeitet wird. Aus Obst und Gemüse werden Saft, Suppe und Marmelade oder sie werden eingefroren. Die Marseiller Grossmarkt-Küche liefere ausserdem Mahlzeiten aus, berichtete ebenfalls die ARD.

Gegen 1000 Tonnen Lebensmittel finden so jedes Jahr noch einen Abnehmer. Auch in anderen Kantinen und Gassenküchen entsteht aus «Abfall» noch die eine oder andere Mahlzeit gegen Spende oder gratis für Bedürftige. Aktuell gebe es bei den Tafeln mehr als zwanzig Projekte, die sich mit der Verwertung gespendeter Lebensmittel befassten, sagte Jacques Bailet, Präsident der französischen Tafeln, 2019 zur «Süddeutschen Zeitung».

KI am Mülleimer oder Apps gegen Lebensmittelverschwendung

Es gibt mehrere Apps wie «Phénix», bei der man Warenkörbe aus weggeworfenen Lebensmitteln kaufen kann. Phénix ist vergleichbar mit dem in der Schweiz bekannten «To good to go», wo Läden To-Go-Lebensmittel kurz vor Ladenschluss reduziert anbieten können. Lebensmittelrettung werde zunehmend zum Geschäftsmodell, berichtete im Februar das ZDF aus Deutschland. Dabei kommt auch High-Tech zum Zug: Künstliche Intelligenzen filmen und wiegen beispielsweise Lebensmittelreste und schlagen Speisepläne vor, die sogar die Wettervorhersage einbeziehen.

Die Frage, ob das alles ausreiche, beantwortete der Sender dennoch mit «Nein». Foodwaste ist eines der dringendsten globalen Probleme. Nicht nur wegen des weltweiten sozialen Ungleichgewichts und der grossen Zahl hungernder Menschen. Diesen würde eine matschige Avocado aus einem europäischen Supermarkt dort, wo sie sind, wenig bringen.

Wie sich das französische Gesetz absolut auswirkt, ist nicht bekannt. Offizielle Zahlen hat auch die «Tagesschau» nicht bekommen. Unbestritten ist, dass die Produktion von Lebensmitteln einen beträchtlichen Teil des menschlichen CO2-Fussabdrucks verursacht. Sie benötigt viel Süsswasser, Fläche und Arbeitskraft. Das gilt besonders für weiterverarbeitete oder veredelte Lebensmittel sowie solche tierischen Ursprungs. Foodwaste einzuschränken ist daher auch einer der grössten Hebel, die ökologische Belastung zu verringern.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

Logos Migros etc

Migros, Coop, Aldi, Lidl & Co. in der Verantwortung

Die Detailhändler sprechen ständig von Nachhaltigkeit und Regionalität. Aber sie bewerben Lebensmittel vom anderen Ende der Welt.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.