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Ausfahren eines Schleppnetzes – eine Fangmethode mit beträchtlichen ökologischen Folgen © Stephen McGowan, 2006/Marine Photobank

Kassensturz amputiert Fisch-Studie zugunsten MSC

Billo Heinzpeter Studer /  Die Sendung vom 29. Mai stellte nur die Hälfte der wissenschaftlichen Resultate bezüglich der Leistung von Fisch-Labels vor.

(Red. Die Sendung Kassensturz hat am 29. März 15 Minuten lang über eine Studie des Kieler Fischereibiologen Rainer Froese berichtet, welche die beiden ökologischen Zertifikate MSC und FOS kritisch beurteilt und vergleicht. Nach Ansicht des Schweizer Pioniers für nachhaltigen Fischfang, Billo Heinzpeter Studer, Co-Präsident des Vereins fair-fish, hat der Kassensturz das vom WWF unterstützte Label MSC einseitig und ungerechtfertigter Weise in den Vordergrund gestellt. Wir geben Billo Heinzpeter Studer hier Gelegenheit, seine Sicht der Dinge darzulegen.)

Nur eines von zwei Resultaten berücksichtigt

In der ersten Hälfte des Beitrags stellte «Kassensturz» Froeses Resultat bezüglich des Fischlabels MSC (WWF) kontradiktorisch vor. Neben Froese kam auch dessen Rostocker Kollege und MSC-Beirat Chris Zimmermann zu Wort. Soweit es um Froeses Kritik an MSC ging, war die Darstellung korrekt.

Erstaunlicherweise aber blendete der «Kassensturz» die Hälfte der Studie einfach aus. Froese hatte in seiner Arbeit MSC und das unabhängige Label Friend of the Sea (FOS) gleichwertig beurteilt und festgestellt, dass 39 Prozent der MSC-zertifizierten Bestände überfischt sind, während dies nur für 12 Prozent der FOS-zertifizierten Bestände gilt.

Übte WWF Druck aus?

Wie kommt ein kritisches Konsumentenmagazin dazu, diese für Kaufentscheide der Konsumenten ebenso wichtige Hälfte einer wissenschaftlichen Untersuchung einfach wegzulassen? Mangelnde Zeit führte die Redaktion uns gegenüber als Grund an. Dabei war die Redaktion schon seit mehr als einem Monat an der Story dran, nach einem Tipp von fair-fish. Wer hat denn da plötzlich Druck ausgeübt? Etwa der WWF? Der sieht sich in jüngster Zeit ja auf mehreren seiner Aktionsfelder ernsthafter Kritik ausgesetzt.

Umso erstaunlicher, dass die zweite Hälfte des «Kassensturz»-Beitrags aus einem bisslosen Interview mit einer WWF-Vertreterin bestand, die ziemlich ungehindert Werbung für sich und das von ihr unterstützte MSC betreiben konnte.

Kleine Fischer und grosse Industrie in einen Topf geworfen

Eine weitere Ausrede versucht die Redaktion im mageren Online-Text zur Sendung: FOS sei eben weniger bedeutend als MSC (Anmerkung: FOS zertifiziert mehr Tonnen als MSC). Und: Es gebe für mehr als die Hälfte der FOS-Bestände keine genügenden Daten. Letzteres kritisiert ja auch Froese in seiner Studie; für den gestrengen Wissenschafter war dies aber kein Anlass, dem FOS-Resultat weniger Beachtung zu schenken. Mit gutem Grund, denn FOS zertifiziert vor allem auch kleinere Fischereien im Weltsüden, welche verschiedene Fischarten fangen, die wirtschaftlich geringere Bedeutung haben, also weniger unter Fischereidruck stehen, weshalb ihre Bestände bisher selten erforscht werden. Demgegenüber zertifiziert MSC vor allem industrielle Fischereien in der nördlichen Erdhälfte, also Bestände unter starkem Druck, über welche natürlich schon länger Daten gesammelt werden müssen.

Unwissenschaftlich und irreführend

Die Amputation der Studie durch den «Kassensturz» ist wissenschaftlich nicht haltbar. Sie hat zudem dazu geführt, dass die Zuschauer Zimmermanns Behauptung, Froese habe zu strenge Massstäbe an den MSC angelegt, gar nicht einordnen konnten.
Hätte die Sendung die Resultate für MSC und FOS einander gleichwertig gegenübergestellt, wie dies Froese tut, so wäre sogleich in die Augen gesprungen, dass FOS bei gleich strengen Kriterien eben deutlich besser abschnitt.
Mit andern Worten: MSC erreicht mit sehr viel Aufwand nicht einmal das, was FOS mit einem Bruchteil der Kosten leistet. Eigentlich müssten die grossen Stiftungen, welche MSC seit Jahren finanzieren, nun alarmiert sein.

«Kassensturz», WWF und MSC sind von fair-fish mit dieser Kritik konfrontiert worden, haben aber bis jetzt nicht darauf reagiert.

Tagung mit Froese: Wie viel Fisch ist möglich?

An einer Tagung des Vereins fair-fish vom 16. Juni in Winterthur besteht Gelegenheit, die Fragen rund um die Überfischung mit Rainer Froese zu vertiefen (siehe Link unten).

Das Publikum wird die Chance haben, die komplexen Zusammenhänge im Meer von einem engagierten Forscher und hervorragenden Lehrer verständlich erklärt zu bekommen. Und zwar ohne Weltuntergangsstimmung. Denn eine von Froeses Thesen heisst: Wenn wir den Konsum von Fisch für ein paar Jahre um mehr als die Hälfte reduzieren, werden sich die Bestände so gut erholen, dass eine nachhaltige Fischerei in Zukunft 60 Prozent mehr Fische fangen kann.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Co-Präsident des Vereins fair-fish und Beirat des Vereins Friend of the Sea

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