Oberholzer_Armut

Basil Oberholzer: Die globale Armut bekämpfen. Wirtschaftspolitische Strategien für Entwicklungsländer. Verlag Springer Gabler © Cover

Die globale Armut bekämpfen – mit einer Zahlungsverkehrs-Reform

Reinhold Harringer /  Das internationale Finanzsystem hilft mit, arme Länder zu belasten und reiche zu bereichern. Aber es gäbe Alternativen.

Red. Reinhold Harringer, der ehemalige Leiter des städtischen Finanzamtes St. Gallen, macht auf ein Buch des Schweizer Ökonomen Basil Oberholzer aufmerksam, in dem ein möglicher Weg zur Bekämpfung der Armut im globalen Süden aufgezeigt wird – nicht durch Sendung von Geld, sondern durch eine Änderung des internationalen Zahlungsverkehrs, von dem heute die reichen Staaten und deren Banken profitieren, der aber die Verarmung der armen Länder sogar fördert. Ein Gastbeitrag. (cm)

Das Buch von Basil Oberholzer gibt auf wenig mehr als 100 Seiten einen tiefen Einblick in die unausgewogenen internationalen Finanzstrukturen – insbesondere aus Sicht der schwierigen Situation der verschuldeten Länder des Südens.  Trotz der komplexen Zusammenhänge ist das Buch sehr verständlich geschrieben. Mit vielen Beispielen aus der neueren Geschichte wird dargelegt und begründet, weshalb eine dogmatisch marktwirtschaftliche Sicht die Probleme der armen Länder nie lösen wird, sondern dass den einzelnen Staaten dabei eine wichtige Rolle zukommt. Diese Haltung wird überzeugend begründet, indem die vorherrschenden Theorien durchleuchtet und ihre Schwächen aufgezeigt werden.  Dabei kann der promovierte Ökonom Oberholzer auf seine Erkenntnisse zurückgreifen, die er bei der Erarbeitung und Verfassung einer umfangreicheren akademischen Publikation gewonnen hat, welche als Basis des vorliegenden populärwissenschaftlichen Buches diente.  

Es ist unmöglich, im Rahmen einer Rezension auf alle im Buch behandelten Aspekte einzugehen, deshalb konzentrieren wir uns auf den unseres Erachtens innovativsten und weitreichendsten Vorschlag des Autors: Einer Neugestaltung des internationalen Zahlungsverkehrs. Die vorgeschlagene Reform ist technisch anspruchsvoll und dürfte machtpolitisch auf grosse Widerstände stossen.  

Doch beginnen wir mit einer knappen Darstellung der heutigen Situation: Wenn ein Importeur eine Zahlung ins Ausland machen will, überweist er den Betrag in inländischer Währung an seine inländische Bank. Dieses Geld gehört nun der Bank – da dieses Geld früher von der Bank bzw. dem inländischen Bankensystem ausgegeben wurde, wird es durch den Rückfluss in der Bankbuchhaltung wieder gelöscht. Damit wird dieses Geld dem inländischen Geldkreislauf entzogen. Die Bank ihrerseits muss nun, um die Zahlung in ausländischer Währung vollziehen zu können, diese zuerst beschaffen und sich dabei in ausländischer Währung verschulden. Sofern ein Land seine Importe nicht durch Exporte ausgleichen kann, bezahlt das Land also zweimal für diesen Import: Einerseits wird dem inländischen Kreislauf Geld entzogen, anderseits steigt die Auslandsschuld. Dass Länder mit Importüberschüssen dadurch stark und anhaltend geschwächt werden, liegt auf der Hand. 

Oberholzer schlägt unter Verweis auf die Arbeiten der Ökonomen  J.M. Keynes, E.F. Schumacher und B. Schmitt deshalb vor, die Struktur des internationalen Zahlungsverkehrs zu verändern. Im Zentrum steht dabei eine neue Institution, das «Büro», welches jedes Land selbst und unabhängig von anderen Ländern gründen kann. Der Importeur zahlt für die importierte Ware in Zukunft nicht mehr an seine Bank, sondern an das «Büro». Damit wird dem inländischen Geldkreislauf – weil das «Büro» nicht Teil der inländischen Geldversorgung ist – kein Geld entzogen und darin besteht einer der grossen Vorteile dieses Modells. Das «Büro» seinerseits macht eine Zahlung in ausländischer Währung an den ausländischen Exporteur. Die ausländische Währung beschafft sich das Büro durch einen ausländischen Kredit. Diesen Kredit seinerseits finanziert das «Büro» z.B. durch die Ausgabe von Wertschriften, welche es ins Ausland verkauft.  Durch diese Wertschriften erhält das Ausland vom Defizitland reale Ressourcen in genau der Höhe des Defizits. Die Bilanz des Büros weist nun netto keine Auslandsschuld mehr auf. 

Ebenso bedeutend ist die Rolle des Büros für die inländische Wirtschaft.  Das inländische Geld, welches das Büro von Importeuren erhält, muss wieder ausgegeben werden: Entweder für Konsumgüter oder, was sehr viel besser ist, für produktive Investitionen. Das Guthaben in der Bilanz des Büros verändert sich insofern, dass reale Werte wie Kapitalgüter die Bankeinlage ersetzen. Das Büro ist also nicht nur Abwicklungsagentur für die internationalen Zahlungen, es ist auch ein starker Akteur in der nationalen Volkswirtschaft. Es garantiert die effektive Nachfrage und die nationale makroökonomische Stabilität. In dieser starken Rolle des Büros im Inland unterscheidet sich Oberholzers Vorschlag auch von Keynes’ Vorschlag einer internationalen Zahlungsunion, welcher zwar den internationalen Handelsungleichgewichten entgegenwirkt, aber das Problem der Doppelzahlungen für die Importe und den Verlust an nationaler Währung nicht löst.  

Auch die Währungsspekulation würde verunmöglicht

Was buchhalterisch und technisch tönt, hat grosse Auswirkungen und bringt den einzelnen Schuldner-Ländern wesentliche Vorteile: Das System verhindert die Entstehung von Auslandsschulden und stärkt die inländische Wirtschaft. Zudem stabilisiert es den Wechselkurs: Weil das Büro jetzt für alle internationalen Transaktionen zuständig ist, werden die inländische und die ausländische Währung strikt voneinander getrennt.  Mit anderen Worten: Der Devisenmarkt wird abgeschafft und Spekulanten können den Wechselkurs nicht mehr durch den Kauf und Verkauf von Währungen beeinflussen.  Durch diese Absicherung gegenüber Aussen und zusammen mit der aktiven Investitionspolitik des Büros gegen innen ergeben sich neue und bessere Möglichkeiten für eigene und wirksame Entwicklungsstrategien. 

Diesen Vorteilen für die Entwicklungsländer stehen kurzfristig und vordergründig die Interessen jener gegenüber, die vom heutigen System profitieren: Von Auslandsschulden profitieren die Gläubiger, von Devisenspekulationen profitieren Spekulanten, von hohen Exportüberschüssen profitieren die Industrieländer, von der Rolle einer Leitwährung profitiert die USA. Es ist deshalb zu erwarten, dass ein solcher Reformvorschlag zunächst auf grossen Widerstand stossen wird. 

Langfristig werden jedoch auch die reichen Länder einsehen müssen, dass eine gute wirtschaftliche Entwicklung im Süden auch in ihrem Interesse liegt – zum Beispiel weil damit die Migrationsbewegungen reduziert werden könnten. Deshalb sollte es möglich sein, dass die reichen Länder eine Umstellung des Zahlungsverkehrs und eine Entwicklungsstrategie im Sinne von Oberholzers Vorschlag zulassen werden. Denn darin besteht eine der Stärken des Vorschlags: Es braucht keine aktive Handlung der reichen Länder zur Schaffung einer speziellen Währung (wie etwa bei Keynes’ Bancor). Es würde genügen, wenn derartige Versuche nicht schon im Keim durch Verweise auf alte und überholte Dogmen – wie z.B. jenes des freien Kapitalverkehrs oder der möglichst geringen Einflussnahme des Staates – unterdrückt werden. Jedes Entwicklungsland, welches einen solchen Weg gehen möchte, sollte vielmehr ermutigt und unterstützt werden, dies zu tun. 


Zum oben besprochenen Buch: Oberholzer Basil, Die globale Armut bekämpfen – Wirtschaftspolitische Strategien für Entwicklungsländer, Springer Verlag, Wiesbaden, 2021. Im Schweizer Buchhandel erhältlich meist für CHF 30.-.

Zu Basil Oberholzers wissenschaftlicher Studie: Oberholzer Basil (2020):  Development Macroeconomics: Alternative Strategies for Growth, Cheltenham and Northhampton: Edward Elgar, 352 Seiten


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor Reinhold Harringer ist in Pension. Es gibt keine Interessen-Kollisionen.
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

8 Meinungen

  • am 3.12.2021 um 11:03 Uhr
    Permalink

    Eine brilliante Idee.

  • am 3.12.2021 um 11:39 Uhr
    Permalink

    Grossartig, Herr Harringer, vielen Dank für Ihren Hinweis und Rezension. Für den Erfolg wird es sehr wichtig sein, dass das Buch auch in englischer Sprache erscheint. Der normale Bürger im Ausland wird sich kaum mit der akademischen englischen Ausgabe beschäftigen, höchstens nach Lektüre der Kurzfassung.

    Vielleicht hat Herr Oberholzer das Thema ‹globale Schulden› in seinem Buch ebenfalls erwähnt, denn das wäre ein weiterer und überlebenswichtiger Faktor: Rechnerisch ist nämlich das globale Finanzsystem seit längerem bankrott – die Schulden übersteigen die Zahlungsfähigkeit dermassen, dass eine Rückzahlung unmöglich ist. Wir machen aber weiter mit diesem bankrotten System.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 3.12.2021 um 14:15 Uhr
    Permalink

    Keynes in Ehren, aber der war schon alt, als er seine Theorien zur «General Theory …» entwickelte.

    Die Zahlungsmodalitäten dürften kaum den Hauptgrund der Verarmung ganzer Kontinente sein. Vielmehr sind es die Verschiebungen relevanter Handelsmargen im «ungleichen» Zahlungsverkehr.

    Symptome haben ihre Bedeutung, aber auch nicht mehr. Ich habe vor 30 Jahren ein Buch geschrieben zum Thema der insitutionalisierten Verschuldung afrikanischer Staaten und dabei die «Kondizionalitäten» der IMF- und Weltbank-Kredite als Hauptfaktor identifizirt. Es ist anzunehmen, dass in der Zwischenzeit Modalitäten des internationalen Zahlungssystems sowie des US-Sanktionsregimes zu diesem Mechanismus neue Elemente hinzugefügt haben. Dass die Schweiz dabei immer brav den Fusssoldaten spielt (eg. Sanktionen gegen Cuba, Iran…) ist zwar unschön, aber Teil der Realpoilitik.

    Manchmal habe ich das Gefühl, dass es sogar in der EU Leute gibt, die Afrikaner (und andere 3.Weltleute) als echte Handelspartner anerkennen möchten. Glencore — und das schweizer Stimmvolk — gehört zweifellos nicht dazu. Die EU tut alles, um normale Hanelsbeziehungen — auf Augenhöhe n.b. — zu verunmöglichen. Die Schweiz macht nicht viel dagegen. Die «grüne» Manie alles auf Lithium-Batterien aufzubauen, ist ein starker Motor in dieser Tendenz zu Neokolonialismus.

    Wo ist denn der gesunde Menschenverstand geblieben ?

    PS: Mein Buch wurde nie publiziert, weil es einen «veralteten» «strukturakistischen» Standpunkt vertrete.

  • am 3.12.2021 um 15:28 Uhr
    Permalink

    Mit fällt auf, dass bei diesen Erläuterungen die Remissen von Migrantinnen und Migranten überhaupt nicht erwähnt werden. Es handelt sich um Einkommen, die nicht im Zielland, sondern in der «alten Heimat» ausgegeben oder angespart, dem Wirtschaftskreislauf des Ziellandes also entzogen werden. Müssten diese nicht auch über das Büro laufen?

  • am 3.12.2021 um 22:28 Uhr
    Permalink

    Das ist ein eigenartiger Beitrag. Das als Lösung beschriebene «Büro» wäre pro Saldo einfach eine zusätzliche Bank, vermutlich mit einem staatlichen Eigentümer. Sie wäre wie jede andere Bank dem Bankengesetz unterstellt und Teilnehmer am SIC-Zahlungssystem der SNB. Warum das «Büro» nicht «Teil der inländischen Geldversorgung» wäre, ist nicht verständlich. Das Geld, welches das «Büro» vom Importeuer erhält, ist eine «Sichteinlage» und erhöht die Geldmenge M1. Falls der Importeur das Geld zu Lasten seines Kontokorrentguthabens bei seiner Bank oder mit Banknoten bezahlt, nimmt die Geldmenge M1 um den gleichen Betrag ab. Pro Saldo wird dem inländischen Geldkreislauf weder Geld entzogen noch zugefügt.
    Besonders eigenartig ist der Vorschlag, das «Büro» soll die erhaltene Sichteinlage für den Kauf von Konsumgütern oder Investitionen verwenden. Diese «realen Werte» «ersetzen» die Bankeinlage nicht, sondern sie werden durch die Bankeinlage (Schulden) finanziert. Das tönt sehr nach der Vollgeldidee, zu deren Vertreter Reinhold Harringer gehört.
    Das verbale Durcheinander im Beitrag von Reinhold Harringer wäre zu vermeiden, wenn der Autor alle beschriebenen Transaktionen in Konten für die verschiedenen Akteure mit Buchungssätzen aufzeichnen würde. Als ehemaliger Leiter eines Finanzamtes ist er mit den Methoden der doppelten Buchhaltung bestens vertraut.

  • am 4.12.2021 um 09:42 Uhr
    Permalink

    Das Buch von Jean Ziegler auf die Fragen seiner Enkelin «Was ist so schlimm am Kapitalismus?» zeigt auf, wie der Liberalismus, der Markt und die Hochfinanz und die Staaten versagen.

  • am 7.12.2021 um 21:39 Uhr
    Permalink

    «Lieber Herr Geiger
    vielen Dank für Ihre ausführlichen Bemerkungen.
    Nach Auffassung von Basil Oberholzer – und ich sehe das genau gleich – ist das «Büro» keine Bank wie Sie es darstellen. Und zwar deshalb, weil sie im Unterschied zu Banken keine Kredite vergibt und damit Geld schöpft, sondern «nur» Darlehen gewährt und das Schrumpfen der Geldmenge aus externen Defiziten verhindert. Die Tätigkeit des Büros verändert die Geldmenge daher nicht. (Das schliesst m.E. nicht aus, dass sich das Büro am internationalen Bankenverkehr beteiligt.) Es ist mir bewusst, dass diese Terminologie für Sie nach Vollgeld tönt. Darum geht es aber nicht, sondern es entspricht der heute weit verbreiteten Erkenntnis, dass die zentrale Funktion der Banken nicht im Gewähren von Darlehen, sondern im Geldschöpfen durch Kreditvergabe besteht.

    Was die Darstellung der einzelnen Vorgänge in den Bilanzen betrifft, so hat dies Oberholzer vor allem in seinem umfassenderen, englischen Buch getan. Aufgrund des deutschen Buches habe ich diese Vorgänge nachvollziehen können. Es liegt aber auf der Hand, dass Bilanzdarstellungen den Rahmen einer kurzen Rezension sprengen würden. Aber ich freue mich, wenn Sie sich weiterhin für Oberholzer’s Ideen interessieren.
    Freundliche Grüsse
    R.Harringer

  • am 9.12.2021 um 21:41 Uhr
    Permalink

    Lieber Herr Harringer,
    Ob das «Büro» eine Bank ist oder nicht, entscheidet sich nach dem Bankengesetz. Dort steht in Artikel 1 «Natürliche und juristische Personen, die nicht diesem Gesetz unterstehen, dürfen keine Publikumseinlagen gewerbsmässig entgegennehmen.»
    Also muss sich das «Büro» dem Bankengesetz unterstellen, sonst darf es gewerbsmässig keine Publikumseinlagen entgegen nehmen.
    Mit freundlichem Grüss
    Hans Geiger

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...