Paris. The Eiffel Tower

In Paris wachsen neben dem Eiffelturm, vor allem Defizite, Schulden - und nun auch das politische Chaos. © jovannig/Depositphotos

Frankreich: Das keynesianische Schlaraffenland ist am Ende

Christof Leisinger /  In Paris herrscht politisches Chaos, weil man Probleme zu lange mit Defiziten und Schulden übertüncht hat, statt sie zu lösen.

Der Zusammenbruch der Regierung von Sébastien Lecornu noch vor ihrer Vereidigung am Montag hat Frankreich tiefer in die schon eine Weile andauernden politischen Turbulenzen gestürzt und die Finanzmärkte erschüttert.

Lecornu war Emmanuel Macrons dritter Premierminister, seit der Präsident im vergangenen Jahr vorgezogene Neuwahlen ausgerufen hatte, um die extreme Rechte zu stoppen. Es war die kürzeste Amtszeit eines Premierministers seit 1958. Nun bleiben nur noch wenige gangbare politische Optionen, die politische Verunsicherung nimmt zu.

Frankreich gibt seit Jahrzehnten notorisch mehr aus als es einnimmt

Das alles vor dem Hintergrund steigender Kreditkosten für den französischen Staat – und genau das ist der kritische Punkt. Die Staatsschulden haben in den vergangenen Jahren strukturell immer weiter zugenommen und haben inzwischen ein Rekord-Niveau von 116 Prozent des Bruttoinlandprodukts erreicht.

Das Land treibt von den Bürgern zwar rekordverdächtig hohe Steuern und Abgaben ein, trotzdem aber gibt es notorisch immer mehr aus als es einnimmt. Unabhängig davon, wer regiert, geht die Schere zwischen Staatseinnahmen und -ausgaben immer weiter auf, die Finanzierungslücke des Staates wird immer grösser.

frankreich gibt ständig zu viel aus
Frankreich: Die Einnahmelücke wird immer grösser, obwohl der Staat die Bürger ausnimmt wie Weihnachtsgänse. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik.

Das Primärdefizit nimmt im Trend zu. Dieser Negativsaldo in der öffentlichen Finanzwirtschaft zeigt an, dass die Einnahmen eines Staates nicht mehr ausreichen, um seine Kernaufgaben wie etwa das Bildungswesen, das Militär oder auch die Polizei zu finanzieren. Er ist das Ergebnis dessen, wofür Frankreich schon immer berüchtigt war: Für seine Bürokratie und für die hohe Staatsquote.

Etablierte Parteien versprechen gerne das Blaue vom Himmel

Das Land steht in einer langen Tradition des «keynesian deficit spending»: Die Regierung gibt mehr Geld aus, als sie durch Einnahmen generiert, eine Schuldenbremse gibt es nicht. Die Maastricht-Kriterien Europas sind längst zu einer Lachnummer verkommen. Die etablierten politischen Parteien hatten auch bei wechselnden Mehrheiten keine Skrupel, den Wählern das Blaue vom Himmel zu versprechen, die Staatsausgaben immer weiter zu erhöhen und immer neue Schulden zu machen. So schreibt der französische Staat seit mehr als 40 Jahren ununterbrochen rote Zahlen, im Rahmen der Corona-Krise sogar besonders ausgeprägte.

Staatspräsident Emmanuel Macron hatte vor seiner Wahl im Jahr 2017 zwar versprochen, das Land wieder in Schwung zu bringen. Er lockerte zunächst das Arbeitsrecht, senkte die Unternehmenssteuern, er führte eine leichte Rentenreform durch, er wollte in innovative Technologien investieren und den Staatsapparat verkleinern. Allerdings verhedderte er sich im Subventionsdschungel und heute arbeiten nicht weniger, sondern mehr Beamte für den französischen Staat.

Das französische Rentensystem steht unter starkem finanziellem Druck und gilt als wenig solide, weil es zu den grosszügigsten in Europa zählt. Laut offiziellen Zahlen beliefen sich die Ausgaben für Renten zuletzt auf über 330 Milliarden Euro pro Jahr, was etwa 14 Prozent des französischen Bruttoinlandsprodukts entspricht. Bereits jetzt werden Defizite durch staatliche Zuschüsse und Steuern ausgeglichen, weitere notwendige Reformen stossen auf enormen politischen Widerstand.

Wähler wollen verwöhnt werden, wollen aber die Konsequenzen nicht tragen

Ähnlich wie andere Staatschefs scheitert Macron vor allem daran, die Mentalität der Bevölkerung zu ändern. Viele Franzosen halten die Idee von einem schlanken Staat für unsozial. Sie widersetzen sich militant allen Versuchen, Exzesse des Wohlfahrtsstaates zu reduzieren. Sozialer Frieden liess sich in der Vergangenheit nach Protesten erst wieder herstellen, nachdem der Staat Milliarden in die Hand genommen hatte, um die rebellierenden Interessengruppen ruhigzustellen. Milliarden, die er nicht erwirtschaftet und eigentlich nicht hat, nachdem er schon die Friedens-, Energie- und Billiggeld-Dividenden der vergangenen Jahre verfrühstückt hat. 

Der Widerstand gegen dringend nötige strukturelle Veränderungen kommt in der Regel von der linken als auch von der rechten Seite des politischen Spektrums. Beide können aus einem zunehmenden Reservoir unzufriedener Bürger schöpfen. Die Wähler setzen immer öfter auf obskure Protestparteien, obwohl diese meist kein vernünftiges Rezept für die Lösung der in den vergangenen Jahrzehnten entstandenen Strukturprobleme der meisten westlichen Staaten haben.

primärsaldo frankreich
Frankreichs Primärdefizit nimmt im Trend zu. Die Einnahmen reichen nicht mehr, um Kernaufgaben wie etwa das Bildungswesen, das Militär oder auch die Polizei zu finanzieren. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik.

Aber ihre Wut lässt sich einfach erklären: Hohe Steuern, hohe Abgaben, hohe Staatsausgaben, hohe Sozialtransfers, hohe Budgetdefizite, hohe Staatsschulden, hohe Konsumenten- und Vermögenspreise, enorme Zuwanderung, grosse Finanzierungslücken im Rentensystem und ein wucherndes Staatsunwesen auf der einen Seite.

Und auf der anderen wächst die Wirtschaft nur noch schwach, sind die Einkommen und Vermögen einseitig verteilt, verfällt die Infrastruktur und das allgemeine Sicherheitsgefühl geht vor allem auch in einer geopolitisch fragil gewordenen Welt immer mehr verloren.

Schiffbruch mit keynesianischer Wirtschafts- und Finanzpolitik – nicht zum ersten Mal

Auf dieser Basis klingt es beinahe schon zynisch, wenn bekannte keynesianische Ökonomen wie Joseph Stiglitz, Paul Krugman oder die Zeitgenossen einschlägig ausgerichteter Wirtschaftsforschungsinstitute in Frankfurt, Berlin oder auch der Schweiz den «Neoliberalismus» für die Strukturkrise der westlichen Industriestaaten verantwortlich machen. In Wirklichkeit war es wohl eher der «real existierende Keynesianismus», der massgeblich zur Entstehung der enormen und langfristig nicht haltbaren Zustände beigetragen hat.

Mit der keynesianischen Wirtschafts- und Finanzpolitik hatten die westlichen Industrieländer zwar schon in den 1970er Jahren Schiffbruch erlitten, als die Stagflation jener Zeit ihre Grenzen aufzeigten. Dennoch lebte der keynesianische Anspruch, die Wirtschaftszyklen steuern zu können, bis in diese Tage uneingeschränkt fort. Nun aber schwächen die Konsequenzen in Form hoher Defizite, Schulden und enormer Strukturprobleme die Demokratie. Es sei denn, die etablierten Parteien schenken den Wählern reinen Wein ein: Der (soziale) Luxus der vergangenen Jahrzehnte ist nicht mehr finanzierbar.  


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