Blackout: Das europäische Stromnetz ist fragiler als gedacht
Der Konsument ist es gewohnt, dass der Strom zuverlässig fliesst. Aber die Stromnetze sind fragil. Der Aufwand, sie stabil zu halten, wird meist unterschätzt – bis es einmal so richtig schiefläuft. Wie gerade in Spanien und Portugal. Dort und in Teilen Frankreichs war am Montag die Stromversorgung grossflächig ausgefallen.
Ohne Strom geht in der modernen Gesellschaft kaum noch etwas. Der öffentliche Nahverkehr ist beeinträchtigt, die Handynetze sind nur eingeschränkt verfügbar, das Internet ist kaum noch zugänglich, der elektronische Zahlungsverkehr kommt zum Stillstand und zwingt Geschäfte oder Restaurants zum Schliessen. Die spanischen Atomkraftwerke werden heruntergefahren und mit Strom aus dieselbetriebenen Generatoren gekühlt. Die meisten Krankenhäuser verlassen sich auf ihre Notstromaggregate.
Ohne Strom läuft in modernen Zeiten nicht mehr viel
Das ist eine bedenkliche Situation. Vor allem, weil es unter Umständen Tage dauern kann, bis sich die Versorgung mit elektrischer Energie wieder normalisiert hat. So kommt es, dass die Gerüchteküche über die Ursachen nur so brodelt. Verschwörungstheoretiker sorgen mit Sabotagegerüchten, etwa einem Cyberangriff, für Klicks. Extreme Temperaturschwankungen in Spanien hätten zu einer Störung der Höchstspannungsleitungen im Land geführt, vermutet der portugiesische Netzbetreiber Rede Eletrica Nacional. Eduardo Prieto vom spanischen Pendant Red Eléctrica glaubt, wegen ungewöhnlicher Schwankungen hätten sich die europäischen Stromsysteme nur noch bedingt miteinander synchronisieren lassen.
Petr Korba, Professor für elektrische Energiesysteme an der ZHAW, glaubt Hinweise darauf ausmachen zu können, dass der ausserordentliche Stromausfall auf die falsche Einstellung der Leistungselektronik zurückzuführen war. Im Grunde genommen ist aber wohl das eingetreten, wovor der gerne belächelte Kritiker Herbert Saurugg in der Vergangenheit immer wieder warnte: ein Blackout infolge eines steigenden Stromverbrauchs, einer alternden Infrastruktur und verschiedener anderer Faktoren.
Das Stromnetz ist ein überaus fragiles Gebilde
Ein Stromnetz stabil zu halten ist aus mehreren Gründen eine anspruchsvolle Aufgabe, die durch die Energiewende und den steigenden Anteil erneuerbarer Energien noch komplexer geworden ist. Denn Strom ist ein flüchtiges physikalisches Phänomen, das sich nur bedingt speichern lässt. Folglich muss im Netz stets ein ziemlich exaktes Gleichgewicht zwischen erzeugter und verbrauchter Energie herrschen. Bereits kleine Abweichungen können zu Frequenz- oder Spannungsschwankungen führen, welche Geräte beschädigen oder im schlimmsten Fall einen Netzzusammenbruch verursachen können.
Das europäische Stromnetz

Das wird mit dem zunehmenden Aufkommen von erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarstrom nicht einfacher. Schliesslich sind sie wetterabhängig und die gewonnene Energie schwankt stark. Das erschwert die Planung und Steuerung des Netzes. Besonders im Winter oder bei so genannten Dunkelflauten kann es zu Engpässen kommen, wenn also weder Wind noch Sonne ausreichend Strom liefern.
In diesem Rahmen hilft es nicht gerade, dass konventionelle Kraftwerke (beispielsweise betrieben mit Kohle, Gas oder Kernenergie) unbeliebter geworden sind und tendenziell abgeschaltet werden. Schliesslich fehlen sie dann bei der Stabilisierung der Netze, etwa für den Erhalt der normalen Frequenzen und der üblichen Spannung. So müssen diese Funktionen durch neue Gerätschaften wie Batteriespeicher oder auch spezielle Regelmechanismen ersetzt werden.
Erneuerbare Energien sorgen für Unwucht im System
Wegen der dezentralen Einspeisung erneuerbarer Energien (etwa Windstrom aus dem Norden oder Solarstrom aus dem Süden) müssen grössere Strommengen über längere Strecken transportiert werden. Das erhöht die Auslastung der Netze und macht sie anfälliger für Störungen und Überlastungen. Die Steuerung wird wegen der zunehmenden Zahl dezentraler Produzenten und neuer Verbrauchsmodelle (etwa E-Mobilität oder Wärmepumpen) und die Notwendigkeit, unverzüglich auf Schwankungen zu reagieren, immer komplexer. Dazu sind moderne IT-Systeme und Echtzeitanalysen nötig.
Dazu kommt, dass Anlagen zu Erzeugung erneuerbarer Energien meist über eine so genannte Leistungselektronik (Steuerung elektrischer Energie mithilfe schaltender elektronischer Bauelemente) ans Netz angebunden werden. Diese verursacht zusätzliche technisch-physikalische Herausforderungen. Solche erschweren die Regelung und Stabilisierung des gesamten Stromsystems zusätzlich.
Insgesamt sind sich Fachleute darin einig, dass die europäischen Stromnetze schneller als bisher ausgebaut, modernisiert und mit neuen Technologien ausgestattet werden müssen. Zum Beispiel durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und digitaler Netzführung. Der Ausbau komme nur zu schleppend voran, was die Versorgungssicherheit zusätzlich belaste, argumentieren sie.
Das gilt wohl vor allem auch für Spanien. Das Land erzeugt inzwischen 43 Prozent seines Stroms aus Wind- und Sonnenenergie, aber die Netz- und Speicherkapazitäten haben mit der rasanten Entwicklung der erneuerbaren Energien nicht Schritt gehalten.
Spanien braucht einen besseren Anschluss, Frankreich blockt
Nach Angaben des in Dortmund ansässigen Übertragungsnetzbetreibers Amprion, der in Koordination mit dem Schweizer Pendant Swissgrid die Rolle des Frequenzwächters für Kontinentaleuropa übernimmt, war es am Montag um 12.32 Uhr zu einem «Frequenzeinbruch im europäischen Stromverbundnetz» gekommen. Die Balance zwischen Stromangebot und -nachfrage sei lokal aus dem Gleichgewicht geraten. Daraufhin hätten sich Spanien und Portugal vom restlichen, stabil gebliebenen Verbundnetz in Europa getrennt.
Spanien ist Teil des europäischen Verbundnetzes, welches die Übertragungsnetze des Kontinents miteinander verbindet. Normalerweise gilt: Je grösser das Netz, desto besser lassen sich Störungen beherrschen. Fällt irgendwo ein Kraftwerk aus, kann die fehlende Kapazität aus einer anderen Region geliefert werden. Damit das Netz stabil bleibt, muss das Angebot jederzeit mit der Nachfrage übereinstimmen. Nur dann bleibt die Frequenz stabil bei 50 Hertz, und das Netz bricht nicht zusammen.
Das Problem: Der mangelnde Ausbau der Stromleitungen zwischen der iberischen Halbinsel und Frankreich ist schon seit vielen Jahren ein Streitpunkt zwischen den Ländern. Spanien beklagt seit langem, aufgrund seiner schlechten Anbindung an Frankreich eine «Energieinsel» und damit «stromtechnisch» fragil zu sein. Das Land Spanien würde gerne seinen Ökostrom exportieren. Frankreich dagegen baut auf seine Atomkraftwerke und ist nicht sonderlich motiviert, die teuren Fernleitungen zu bauen.
Blackout in der Schweiz unwahrscheinlich?
Das Risiko eines flächendeckenden, länger andauernden Stromausfalls (Blackout) in der Schweiz wird von Experten als sehr gering eingeschätzt. Die Schweiz verfüge über ein sehr sicheres, engmaschiges Stromnetz und hohe Sicherheitsvorgaben für Energieanbieter sowie für die Netzbetreiber wie Swissgrid. Im internationalen Vergleich sei das Schweizer Stromnetz besonders robust und gut mit den europäischen Nachbarländern verbunden, was die Versorgungssicherheit zusätzlich erhöhe, heisst es weiter. Laut nationalen Risikoanalysen und Einschätzungen des Bundesamts für Bevölkerungsschutz (Babs) ist ein grösserer Stromausfall in der Schweiz etwa einmal in 30 Jahren zu erwarten. Die wahrscheinlichsten Ursachen wären Naturgefahren (etwa Eisbildung, Sturm) und technische Defekte, aber auch Sabotage oder Cyberangriffe seien denkbar.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
ARD Tagesschau Jörg Marksteiner, WDR 14.03.2024 16:56: «Beim Energiekonzern RWE ist der Gewinn im vergangenen Jahr fast eine Milliarde Euro höher ausgefallen als erwartet – auch wegen hoher Strompreise. »
Hauptzeile des Artikels: «Blackout: Das europäische Stromnetz ist fragiler als gedacht» Könnte das möglicherweise die Ursache sein, warum die grossen Energieerzeuger auf die Idee gekommen sein könnten zu sparen, weil aus gewinntechnischen Überlegungen die Erkenntnis kam, wenn ständig Geld ausgegeben werden muss, um das Stromnetz instandzuhalten werden die Gewinne schmäler und so werden nur die nötigsten Wartungsarbeiten durchgeführt. Die Profite sausen ungebremst in die Höhe. Die Anleger jubeln und den Stromkonsumenten wird geraten Kerzen und Streichhölzer zu horten, damit der nächste Blackout etwas erhellt wird und der Gewinn-Durchblick im Dunkeln bleibt.
Gunther Kropp, Basel
Kommunikation ist die wichtigste Eigenschaft für jedes stabile System. Mir scheint die zentrale Regulierungsbehörde die geeignetste Institution, um die Kommunikation zu normieren (vereinheitlichen). Leider hat der Gesetzgeber die Aufgaben nur unvollständig zugeteilt. Er versucht eher Vorschriften und Gesetze zu erlassen.