IndienStickerei

Luxuslabels sind keine Garantie für Sicherheitsstandards © Exotextil

Die versteckten Kosten der Luxusmode

Christa Dettwiler /  Offiziell halten sich Dior, Saint Laurent u.a. an Selbstverpflichtungen. Doch an Ort und Stelle sieht es häufig anders aus.

Es sind nicht nur Billig-Modemacher, die auf fleissige Hände in asiatischen Ländern zurückgreifen, auch Dior und Saint Laurent lassen ihre aufwändigen und arbeitsintensiven Stickereien vorwiegend in Indien anfertigen. 2019 exportierte das Land Stickereien im Wert von über 230 Millionen US-Dollar, 500% mehr als vor 20 Jahren. Zum Schutz der Kunsthandwerker schloss eine Gruppe von Luxushäusern 2016 das „Utthan-Abkommen“ ab – darunter Labels wie Gucci, Saint Laurent, Fendi, Dior oder Burberry – doch rechtlich bindend ist es nicht. Eine gross angelegte Recherche der New York Times hat ergeben, dass der Grossteil der Stickereien nach wie vor in unkontrollierten Fabriken hergestellt wird, die selbst indischen Sicherheitsstandards nicht genügen. Mit ein Grund: Die Mitgliedschaft im „Utthan-Abkommen“ verursacht Mehrkosten für Löhne oder Sicherheitsvorkehrungen, gleichzeitig drücken die Modehäuser die Kosten.

Teurer bedeutet noch nicht besser

Michael Posner, Professor für Ethik und Finanzen an der Stern School of Business an der New York Universität wird mit der Aussage zitiert: „Angesichts der Preise für die Mode entsteht der Eindruck, dass die Luxuslabels alles richtig machen. Und das macht sie immun gegen öffentliche Überprüfung. Trotz der Preise für Luxusgüter können die Arbeitsbedingungen entlang ihrer Lieferketten genau so miserabel sein, wie jene der Billigmode-Produzenten.“

Ab den 1980er-Jahren lagerten Luxusbrands ihre aufwändigen Stickarbeiten nach Indien aus, denn dort sind auch die hochqualifizierten Arbeitskräfte zu finden. Die Kunst des Stickens hat seit Mitte des 16. Jahrhunderts Tradition und wird von Generation zu Generation weitergegeben. Es sind vorwiegend muslimische Männer, die 17 Stunden täglich für karge Löhne meist in Slums arbeiten. Den gestickten Tigern und Schmetterlingen der Gucci-Kollektion, den verzierten Dior-Satteltaschen, den Roben von Lady Gaga und Jennifer Lopez sieht man das nicht an.

Das „Utthan-Abkommen“ sollte der zunehmenden Kritik an den Arbeitsbedingungen in der asiatischen Textilindustrie entgegenwirken. Es wurde mit indischen Export-Partnern der Modehäuser vereinbart, die meist ihre eigenen Fabriken betreiben. In der Hochsaison werden aufwändige Stickarbeiten jedoch oft an Kleinunternehmen ausgelagert, die keine Sicherheitsstandards kennen.

Die Löcher in diesem Abkommen sind auch Maximiliano Modesti aufgefallen, der in Mumbai eine Stickerei betreibt, die Chanel, Hermès und Isabel Marant beliefert. Gegenüber der New York Times sagte er, die vereinbarten Löhne seien zu tief ($ 225 pro Monat), er bezahle seinen Angestellten 50% mehr. Und er fand es eigenartig, dass das Abkommen Arbeitsstunden von nicht mehr als 11 Stunden an maximal 6 Tagen pro Woche vorsieht, wo doch jeder wisse, dass diese Regel höchst flexibel angewandt werde, wenn Luxuslabels Stickereien in letzter Minute brauchten.

Sicherheitsstandards werden nicht eingehalten

Ein Augenschein bei sechs Subunternehmen ergab denn auch ein ernüchterndes Bild. Kaum einer der Kunsthandwerker hatte eine Krankenversicherung oder eine Rente, die Arbeitszeit überschreitet regelmässig die vereinbarte Obergrenze. Und in keinem der Ateliers, die die Times-Journalisten besuchten, wurden die Sicherheitsstandards eingehalten. Ein Manager berichtete, wie er dazu aufgefordert worden war, die Utthan-Kontrolleure anzulügen. Vor einer Inspektion musste er sogar seine Angestellten in ein Gebäude mit besseren Standards verlegen. „Ich wurde aufgefordert, niemandem etwas zu sagen.“ Er zeigte den Reporterinnen Rechnungen von Gucci und Dior, darunter eine Bestellung für 15 schwarze bestickte Tüll-Kleider, die 6 000 Arbeitsstunden in Anspruch nahmen. Ein weiterer Subunternehmer gab 30 000 Dollar aus, um in eine Fabrik umzuziehen, die Utthan- Vorschriften entsprach. Als er deswegen die Preise erhöhen musste, vergaben die Modehäuser ihre Aufträge an günstigere Anbieter.

Das „Utthan-Abkommen“ versprach, die indischen Sticker zu schützen und zu fördern. Aber Interviews mit mehr als einem Dutzend Handwerkern zeigten ein anderes Bild. Letzten Sommer tat sich eine Gruppe zusammen, um in einem Utthan-Betrieb, der auch für Saint Laurent arbeitet, höhere Löhne durchzusetzen. Ihnen drohte die Entlassung, und jede Minute, die sie mit Gewerkschaftsleuten verbrachten, wurde ihnen vom Lohn abgezogen. Von einem Lohn, der unter dem im Abkommen vereinbarten Minimum lag.

Pankaj Attarde, ein Veteran der Stickerei-Branche in Mumbai, sagte zur New York Times, es sei Zeit, dass die Welt über die Misere der indischen Sticker aufgeklärt würde und über ihren ausserordentlichen Beitrag zur Luxusmode. „Wir müssen Transparenz und Fairness in das System bringen, wenn diese Industrie überleben soll. Warum ist Utthan so geheimniskrämerisch, wenn die Einhaltung der Vorschriften doch das Leben der Arbeiterinnen verbessern soll?“


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