rollstuhl Unbenannt

Trotz Umbaus nicht wirklich rollstuhlgängig: die IC-2000-Züge der SBB. © SBB/Uni Heidelberg, Montage: Marco Diener

50 Bahnhöfe sind auch nach dem Umbau nicht rollstuhlgängig

Marco Diener /  Das Debakel weitet sich aus: Wie sich jetzt zeigt, sind die IC-2000-Züge in 50 von 68 Bahnhöfen nicht rollstuhlgängig.

Die Wahrheit kommt portionenweise ans Licht. Vor einem guten Jahr teilten die SBB euphorisch mit: «Der umgebaute IC 2000 ist barrierefrei.» Gleichzeitig mussten sie zugeben: «Einzelne Reisende im Rollstuhl haben gemeldet, dass sie an gewissen Halten nicht ein- und aussteigen konnten.»

Die Formulierung «an gewissen Halten» war beschönigend, denn es handelte sich um elf Bahnhöfe – darunter auch sehr wichtige wie Zürich HB, Olten, Aarau, Luzern oder Brig. Infosperber berichtete darüber.

Ein paar Monate später brachte Infosperber ans Licht, dass es sogar 21 Bahnhöfe betraf. Und nun zeigt sich, dass die IC 2000 an 50 von 68 Bahnhöfen, an denen sie halten, nicht rollstuhlgängig sind. Behinderte müssen, wenn sie ein- oder aussteigen wollen, Hilfe anfordern. Die Liste der 50 Bahnhöfe finden sie hier. Darunter sind zehn Bahnhöfe, an denen pro Tag über 100 IC-2000-Züge halten: Bern, Brig, Genf, Lausanne, Morges, Nyon, Olten, Thun, Visp und Zürich HB

Wie ist das möglich? Dass die eigens umgebauten IC-2000-Züge nun doch nicht rollstuhlgängig sind? Und dass auch die Sanierung der Perrons nichts gebracht hat? Die SBB sagen: «Es gibt sowohl bei Zügen als auch bei Bahnhöfen gewisse Toleranzen bezüglich der Normen. Punktuell kann die Kombination dieser Toleranzen leider dazu führen, dass für Reisende im Rollstuhl im IC 2000 an gewissen Bahnhöfen zum selbständigen Ein- und Aussteigen entscheidende Zentimeter fehlen.»

Toleranzen sind nötig:

  • Zugseitig, weil die Wagen einfedern, weil die Räder abgenützt sind, weil die Wagen in überhöhten Kurven wanken und weil beim Bau der Wagen gewisse Ungenauigkeiten unvermeidbar sind.
  • Perronseitig, weil die Gleise nicht exakt verlegt sind, weil der Schotter «arbeitet», weil die Gleise abgenützt sind und weil es beim Bau des Perrons zu Ungenauigkeiten kommen kann.

Wenn sich diese Toleranzen kumulieren, kommt es vor, dass die Spaltbreite von 7,5 Zentimetern und die Höhendifferenz von 5,0 Zentimetern nicht eingehalten werden. Die Folge: Rollstuhlfahrer und Rollstuhlfahrerinnen schaffen es nicht in den Zug.

Einsatzstrecken
Auf den Hauptstrecken unterwegs: die IC-2000-Züge.

Das Ganze ist ein Debakel für die SBB. Sie haben bereits über eine Milliarde Franken investiert, damit Züge und Bahnhöfe behindertengerecht werden. Und jetzt zeigt sich, dass die IC-2000-Züge doch nicht wirklich behindertengerecht sind. Wichtig zu wissen: Die IC-2000-Flotte ist bedeutsam. Die SBB haben 341 IC-2000-Wagen. Und sie sind – abgesehen vom Gotthard und vom Jura-Südfuss – auf allen wichtigen Strecken unterwegs.

Behinderten-Gleichstellungsgesetz: mit den Bahnhöfen in Verzug

Seit Anfang 2004 ist das Behindertengleichstellungs-Gesetz in Kraft. Darin ist festgeschrieben, dass Bauten, Anlagen und Fahrzeuge behindertengängig sein müssen. Betroffen sind auch Züge und Bahnhöfe. Die Übergangsfrist betrug 20 Jahre. Sie endete Ende 2023.

In der Schweiz gibt es rund 1800 Bahnhöfe und Eisenbahn-Haltestellen. Etwa 150 werden nicht umgebaut, da der Aufwand unverhältnismässig wäre. Weitere zirka 25 werden nicht umgebaut, weil sie demnächst geschlossen werden. Insgesamt 1630 Bahnhöfe und Eisenbahn-Haltestellen müssen aber behindertengängig werden.

Gemäss dem Standbericht des Bundesamts für Verkehr genügten ein Jahr nach Ablauf der Frist 498 von 1630 Bahnhöfen und Eisenbahn-Haltestellen den Anforderungen noch nicht. Das waren gut 30 Prozent. Darunter waren auch bedeutende Bahnhöfe wie Bern, Bülach ZH, Cham ZG, La Chaux-de-Fonds NE, Langenthal BE, Sargans SG, Schaffhausen, Sursee LU, Vallorbe VD oder Wetzikon ZH. Sie werden zum Teil erst 2035 rollstuhlgängig sein – mehr als zehn Jahre nach Ablauf der gesetzlichen Frist.


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