In Bergwiesen zwitschert es immer seltener
Im tieferen Mittelland sieht man in den letzten Jahren hier und dort wieder Blumenwiesen, blühende Böschungen und Streifen. Wer sich in höheren Lagen bewegt, erlebt das Gegenteil: Die vielfältige Vegetation, die Lebensraum für Vögel, Falter und andere Insekten bot, wurde eintöniger, bedingt durch eine intensivere Bewirtschaftung. Wiesen werden fetter, grasreicher und artenärmer. Sie werden auch früher gemäht.
Charakteristische Wiesenvögel wie das Braunkehlchen, das sich aus den intensiv genutzten Mittelland-Wiesen verabschiedet und ins Berggebiet zurückgezogen hatte, wird seit etlichen Jahren auch dort verdrängt: Der Bodenbrüter bräuchte Flächen, die erst nach Mitte Juli gemäht werden, sonst werden beim Schnitt sein Nest zerstört und die Jungen getötet, teils auch das brütende Weibchen.
Braunkehlchen weggemäht
Das Unterengadin ist eines der grossflächigsten Wiesengebiete der Schweiz. Dort konnte sich eine der grössten Populationen des Braunkehlchens halten. Noch gibt es grossartige Wiesen, für deren Pflege die Bauernfamilien grossen Respekt verdienen. Aber sie werden weniger.
Die schleichende Veränderung ist von aufmerksam Beobachtenden optisch und akustisch deutlich wahrnehmbar: Blumenwiesen werden eintöniger und Insekten rarer; das Zwitschern des Braunkehlchens erklingt seltener und ist teils ganz verstummt. Der Vogel fällt der früheren Mahd zum Opfer. Es ist der Preis für den offensichtlich herrschenden Zwang zur rationelleren Nutzung mit höherer Heuausbeute.
Mehr Vieh zieht eine breitere Verwertung von Hofdünger nach sich, aber auch Meliorationen sind nach wie vor ein Hebel für die Intensivierung, beispielsweise indem teilbetonierte Fahrwege den Zugang für Jauchewagen und Mähmaschinen erleichtern.

Kein Platz mehr für Wiesenbrüter
Daten der Vogelwarte Sempach belegen die negative Entwicklung für die wichtigsten Wiesenbrüter, zu denen auch Baumpieper und Feldlerche gehören. Eine bereits 2011 veröffentlichte Studie quantifiziert die Intensivierung der Flächen und den Rückgang der Brutvogelreviere zwischen 1987/88 und 2010 für eine repräsentative Auswahl von Wiesen und Weiden im Kulturland des ganzen Engadins. Resultat: Innerhalb von nur zwölf Jahren nahm die Fläche magerer Standorte zu Gunsten fetterer Standorte deutlich um 15 Prozent ab. Das geschah hauptsächlich in Tallagen des Oberengadins und in siedlungsnahen Fluren des Unterengadins. Der Zeitpunkt der ersten Mahd verschob sich bei über siebzig Prozent der 58 verglichenen Teilflächen nach vorne.
Die Folge der landschaftlichen Veränderung war schon damals eine eigentliche Umwälzung der Vogelwelt, wie es in der Studie heisst. Die Wiesenbrüter erlitten massive Einbussen: die Feldlerche um 58 Prozent, der Baumpieper um 47 Prozent und das Braunkehlchen um 46 Prozent. Zugelegt haben Arten, die an Gehölze gebunden sind, wie zum Beispiel die heute allgegenwärtige Mönchsgrasmücke. Die Vogelarten, die gemäss der «Umweltziele Landwirtschaft» als Indikatoren für eine gute Entwicklung im Kulturland gelten, schwanden um ein Drittel.

Vor dem 15. Juli nicht mähen
In den für das Braunkehlchen wichtigsten Wiesenflächen des Unterengadins engagiert sich die Vogelwarte Sempach für dessen Überleben. «Die beste Methode, um dem Braunkehlchen die Zukunft zu sichern, wäre eine verbindliche Regelung, vor dem 15. Juli nicht zu mähen», sagt der Projektleiter Engadin, Ueli Nef.
Die Vogelwarte setzt sich in Zusammenarbeit mit den kantonalen Behörden für dieses Ziel ein. Zurzeit herrscht noch ein Flickenteppich: Teils gibt es Verträge mit Bauern, die bereit sind, erst ab Mitte Juli zu mähen. Teils wurde im Rahmen von Meliorationen eine entsprechende Pflicht ins Grundbuch eingetragen.
Daneben läuft ein aufwändiges Nestschutzprojekt in Flächen, für die keine der erwähnten Massnahmen gelten und die aufgrund ihrer Lage früher gemäht werden können: Freiwillige und Mitarbeitende der Vogelwarte beobachten die Vögel während der Brutsaison, um Neststandorte ausfindig zu machen. So können die Landwirte ein Stück Wiese um ein identifiziertes Nest stehen lassen, wofür sie entschädigt werden.

Erschwerend für den Schutz ist der Umstand, dass flügge Jungvögel vor der Mähmaschine nicht unbedingt wegfliegen, sondern in der Wiese Schutz suchen. Dem Projekt sind weitere Grenzen gesetzt, weil die Kontrollgänge einen enormen Zeitaufwand bedeuten. 2024 wurden 37 Neststandorte identifiziert. Aus 32 flogen Jungvögel aus. Das Monitoring der Vogelwarte im Unterengadin zeigt, dass es für den Wiesenbrüter mehr gesicherte Brutflächen geben muss: Der Bestand ist seit 2006 um 10 Prozent gesunken. Es braucht also noch einen deutlichen Rutsch, damit das Braunkehlchen in dieser Ecke der Schweiz weiter singt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Habe im voralpinen Appenzeller-Land eine fast 2 Hektar grosse, reine Öko-Fläche. Diese wird wie im obigen Beitrag spät und mit Schon-Flächen gemäht.
Der in fast 40 Jahren mit Pro-Spezie-Rara-Hochstammbäumen aufgebaute Baumgarten trägt schon ganz schön Früchte. Die Vielfalt der Vögel, welche sich in dieser Zeit angesiedelt haben ist recht gross. Sie lassen mir in mageren Jahren fast keine Erträge mehr zur Selbstversorgung. Irgendwie teile ich gerne mit ihnen. Dafür erfreuen mich die jungen Neuntöterlein jährlich mit ihren Flugübungen. Einmal konnten wir sogar, während in Zürich die Street-Parade abging, dieses spezielle Ereignis unter der Pergola geniessen.
Hinzu kommen die Vogelkonzerte, welche anfangs Jahr den Frühling ankündigen und mich durch alle Jahreszeiten begleiten. Das gipfelte in einem leider einmaligen Geburtstags-Ständchen eines Grünspechts. Jetzt warte ich auf das Wiedererscheinen des Kuckucks und den Gesang einer Lerche.
Sie schreiben, die Bergwiesen werden immer eintöniger, d.h. die Artenvielfalt im Alpenraum nimmt ab. Aber genau das Gegenteil ist der Fall !
Denn immer mehr Alpwiesen werden nicht mehr gemäht und genutzt, sie wachsen zu bzw. werden im Laufe der Jahre zu (Schutz)Wald.
Als interessierter Biologe und Geologe kann ich durch meine häufigen Wanderungen durch unsere Alpen nur sagen: So viele seltene Pflanzen und Insekten wie die letzten Jahre gab es vorher nie und nimmer, das bestätigt auch ein Freund von mir, der Studierter Biologe ist und auf Schmetterlinge und Raupen spezialisiert ist. Die Artenvielfalt im Alpenraum hat deutlich zugenommen. Auch die Arve breitet sich derzeit erfreulich aus, obwohl der Bund (WSL) genau das Gegenteil behauptet,
Die politische Propaganda schreckt anscheinend vor nichts zurück!