Whinchat. Saxicola rubetra. Male. Spring.

Männliches Braunkehlchen: Auch Bergwiesen sind für die Bodenbrüter kein sicherer Brutort. © brszattila@gmail.com/Depositphotos

In Bergwiesen zwitschert es immer seltener

Beatrix Mühlethaler /  Bergwiesen boten Vögeln, die aus den intensiv bewirtschafteten Tallagen wichen, sichere Brutorte. Das gilt immer weniger.

Im tieferen Mittelland sieht man in den letzten Jahren hier und dort wieder Blumenwiesen, blühende Böschungen und Streifen. Wer sich in höheren Lagen bewegt, erlebt das Gegenteil: Die vielfältige Vegetation, die Lebensraum für Vögel, Falter und andere Insekten bot, wurde eintöniger, bedingt durch eine intensivere Bewirtschaftung. Wiesen werden fetter, grasreicher und artenärmer. Sie werden auch früher gemäht. 

Charakteristische Wiesenvögel wie das Braunkehlchen, das sich aus den intensiv genutzten Mittelland-Wiesen verabschiedet und ins Berggebiet zurückgezogen hatte, wird seit etlichen Jahren auch dort verdrängt: Der Bodenbrüter bräuchte Flächen, die erst nach Mitte Juli gemäht werden, sonst werden beim Schnitt sein Nest zerstört und die Jungen getötet, teils auch das brütende Weibchen. 

Braunkehlchen weggemäht

Das Unterengadin ist eines der grossflächigsten Wiesengebiete der Schweiz. Dort konnte sich eine der grössten Populationen des Braunkehlchens halten. Noch gibt es grossartige Wiesen, für deren Pflege die Bauernfamilien grossen Respekt verdienen. Aber sie werden weniger. 

Die schleichende Veränderung ist von aufmerksam Beobachtenden optisch und akustisch deutlich wahrnehmbar: Blumenwiesen werden eintöniger und Insekten rarer; das Zwitschern des Braunkehlchens erklingt seltener und ist teils ganz verstummt. Der Vogel fällt der früheren Mahd zum Opfer. Es ist der Preis für den offensichtlich herrschenden Zwang zur rationelleren Nutzung mit höherer Heuausbeute. 

Mehr Vieh zieht eine breitere Verwertung von Hofdünger nach sich, aber auch Meliorationen sind nach wie vor ein Hebel für die Intensivierung, beispielsweise indem teilbetonierte Fahrwege den Zugang für Jauchewagen und Mähmaschinen erleichtern.

Beton im Ramosch
Melioration oberhalb Ramosch im Engadin: Beton macht die Zufahrt leichter. Aber die feuchtigkeitsliebende Flora neben der Fahrspur ist weg.

Kein Platz mehr für Wiesenbrüter   

Daten der Vogelwarte Sempach belegen die negative Entwicklung für die wichtigsten Wiesenbrüter, zu denen auch Baumpieper und Feldlerche gehören. Eine bereits 2011 veröffentlichte Studie quantifiziert die Intensivierung der Flächen und den Rückgang der Brutvogelreviere zwischen 1987/88 und 2010 für eine repräsentative Auswahl von Wiesen und Weiden im Kulturland des ganzen Engadins. Resultat: Innerhalb von nur zwölf Jahren nahm die Fläche magerer Standorte zu Gunsten fetterer Standorte deutlich um 15 Prozent ab. Das geschah hauptsächlich in Tallagen des Oberengadins und in siedlungsnahen Fluren des Unterengadins. Der Zeitpunkt der ersten Mahd verschob sich bei über siebzig Prozent der 58 verglichenen Teilflächen nach vorne. 

Die Folge der landschaftlichen Veränderung war schon damals eine eigentliche Umwälzung der Vogelwelt, wie es in der Studie heisst. Die Wiesenbrüter erlitten massive Einbussen: die Feldlerche um 58 Prozent, der Baumpieper um 47 Prozent und das Braunkehlchen um 46 Prozent. Zugelegt haben Arten, die an Gehölze gebunden sind, wie zum Beispiel die heute allgegenwärtige Mönchsgrasmücke. Die Vogelarten, die gemäss der «Umweltziele Landwirtschaft» als Indikatoren für eine gute Entwicklung im Kulturland gelten, schwanden um ein Drittel. 

Gemähte fette Bergwiese
Viele Bergwiesen werden fetter und zu früh gemäht. Vögel, die in den Wiesen brüten, sind die Opfer.

Vor dem 15. Juli nicht mähen

In den für das Braunkehlchen wichtigsten Wiesenflächen des Unterengadins engagiert sich die Vogelwarte Sempach für dessen Überleben. «Die beste Methode, um dem Braunkehlchen die Zukunft zu sichern, wäre eine verbindliche Regelung, vor dem 15. Juli nicht zu mähen», sagt der Projektleiter Engadin, Ueli Nef. 

Die Vogelwarte setzt sich in Zusammenarbeit mit den kantonalen Behörden für dieses Ziel ein. Zurzeit herrscht noch ein Flickenteppich: Teils gibt es Verträge mit Bauern, die bereit sind, erst ab Mitte Juli zu mähen. Teils wurde im Rahmen von Meliorationen eine entsprechende Pflicht ins Grundbuch eingetragen. 

Daneben läuft ein aufwändiges Nestschutzprojekt in Flächen, für die keine der erwähnten Massnahmen gelten und die aufgrund ihrer Lage früher gemäht werden können: Freiwillige und Mitarbeitende der Vogelwarte beobachten die Vögel während der Brutsaison, um Neststandorte ausfindig zu machen. So können die Landwirte ein Stück Wiese um ein identifiziertes Nest stehen lassen, wofür sie entschädigt werden. 

Nest von Braunkehlchen
Beim Mähen verschont: ein Nest von Braunkehlchen

Erschwerend für den Schutz ist der Umstand, dass flügge Jungvögel vor der Mähmaschine nicht unbedingt wegfliegen, sondern in der Wiese Schutz suchen. Dem Projekt sind weitere Grenzen gesetzt, weil die Kontrollgänge einen enormen Zeitaufwand bedeuten. 2024 wurden 37 Neststandorte identifiziert. Aus 32 flogen Jungvögel aus. Das Monitoring der Vogelwarte im Unterengadin zeigt, dass es für den Wiesenbrüter mehr gesicherte Brutflächen geben muss: Der Bestand ist seit 2006 um 10 Prozent gesunken. Es braucht also noch einen deutlichen Rutsch, damit das Braunkehlchen in dieser Ecke der Schweiz weiter singt. 


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