Die meisten apierbasierten Verpackungen problematischer als Kunststoff.IK

Papierbasierte Verpackungen sind problematischer als Kunststoff. © IK

Bei Lebensmittelverpackungen ist Papier schädlicher als Plastik

Pascal Derungs /  McDonald's und Papierproduzenten betreiben massives Lobbying, um Einwegpapier grünzuwaschen.

Lebensmittelverpackungen aus Papier stehen im Zentrum der europäischen Abfallkrise. Das jedenfalls ist das Fazit einer neuen Studie der unabhängigen Forschungsorganisation Profundo im Auftrag einer Koalition von Umwelt-NGOs (siehe Kasten). Papierverpackungen für Lebensmittel würden als nachhaltige Alternative zu Kunststoffen vermarktet, obwohl sie in der Regel selber mit Kunststoffen oder anderen chemischen Beschichtungen kombiniert würden. Zudem würden sie die globale Entwaldung und den industriellen Wasserverbrauch vorantreiben und nur selten rezyklierte Inhalte aufweisen. 

Im Detail ergab die Analyse, dass papierbasierte Verpackungen die grösste Quelle für Verpackungsabfälle in der EU sind (41,1 %). Mit insgesamt 32,7 Millionen Tonnen im Jahr 2020 übersteigen papierbasierte Abfälle die Summe der nächstgrössten Materialien: Kunststoff (19,4 %) und Glas (19,1 %). 

Die Lebensmittel- und Getränkeindustrie macht zwei Drittel des gesamten Verpackungsmarktes in Europa aus. Weltweit erreichen Lebensmittelverpackungen auf Basis von Papier und Karton einen Anteil von 37 Prozent aller Lebensmittel-Verpackungen. Der Bericht entlarvt papierbasierte Verpackungen als eine der Hauptursachen für die Entwaldung in Europa und auf der ganzen Welt. Rund 90 Prozent des Papierzellstoffs würden aus Holz hergestellt, und die Papierproduktion sei für etwa 35 Prozent aller gefällten Bäume verantwortlich.

Kartoffelbeutel aus Papier bei Coop.Fenaco.Coop
Kartoffelbeutel aus Papier bei Coop

Chemikalien behindern das Recycling und sind gesundheitsgefährdend

Der Bericht zeigt die Grenzen des Recyclings für papierbasierte Verpackungen von Lebensmitteln und Getränken auf. Lebensmittel- und Getränkeverpackungen würden fast immer mit Kunststoffen oder Chemikalien kombiniert, um sie wasserdicht oder fettbeständig zu machen. Das behindere den Recyclingprozess massiv. Es bedeute, dass Lebensmittelverpackungen in der Praxis häufig verbrannt oder deponiert würden. Recycling allein werde daher definitiv nicht ausreichen, um die wachsende Nachfrage der Verpackungsindustrie nach Frischfasern zu mindern. 

Die Kombination von Papier mit Kunststoffen und Chemikalien untergrabe zudem die Glaubwürdigkeit von Papierverpackungen in Bezug auf die Verbrauchersicherheit. Dorota Napierska, Expertin für Kreislaufwirtschaft bei der NGO Zero Waste Europe schreibt: 

«Wiederholte Labortests zeigen, dass gefährliche Chemikalien, einschliesslich solcher, die Krebs verursachen und unsere Hormone stören können, wie etwa PFAS, in Lebensmittelverpackungen aus Papier und Pappe enthalten sind und dass sie aus dem Verpackungsmaterial migrieren und in den Körper der Verbraucher gelangen.»

«Öko-Line»-Beutel ohne Aluminium, aber mit sonstiger Beschichtung.Stroebel
«Öko-Line»-Beutel ohne Aluminium, aber mit sonstiger Beschichtung

Papierverpackungen fördern die Verschwendung von Wald und Wasser

Aus dem Bericht geht hervor, dass Brasilien Europas grösster Zellstoff- und Papierlieferant ist und mehr liefert als die grössten Produzenten der Region – Schweden und Finnland. Brasilien habe seine Zellstoffproduktion in den letzten zwei Jahrzehnten verdreifacht und benütze dafür heute eine Fläche von 7,2 Millionen Hektar oder zweimal die Fläche von Belgien. Eukalyptus- und Kiefernplantagen in Brasilien würden dort die Wasserknappheit verschärfen, Waldbrände begünstigen und zum Verlust der biologischen Vielfalt führen. Innerhalb Europas seien finnische Wälder aufgrund von Überholzung zu einem Nettoemittenten von Kohlendioxid geworden. 76 Prozent der finnischen Waldlebensräume würden als bedroht eingestuft.

Einwegmaterial kann kein Mittel gegen die Abfallflut sein

Marco Musso, Senior Policy Officer für Kreislaufwirtschaft des Europäischen Umweltbüros, schreibt:

«Diese Studie schlägt Alarm vor der falschen Lösung, ein Einwegmaterial durch ein anderes Einwegmaterial zu ersetzen. Die Öffentlichkeit und die politischen Entscheidungsträger werden über die Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit von papierbasierten Lebensmittelverpackungen in die Irre geführt. Um Verschwendung glaubwürdig zu vermeiden, müssen sich die EU-Entscheidungsträger darauf konzentrieren, vermeidbare Verpackungen einzuschränken und gleichzeitig effiziente und bequeme Wiederverwendungssysteme zu fördern. Dies ist besonders wichtig im Lebensmittel- und Getränkesektor, der zwei Drittel des gesamten Verpackungsmarktes in Europa ausmacht.»

Sergio Baffoni, Kampagnenkoordinator des Environmental Paper Network, erklärt:

«Weltweit werden im Schnitt drei Milliarden Bäume pro Jahr für Papierverpackungen gefällt – Tendenz steigend. Die Europäische Kommission schlägt vor, alle Einwegverpackungen in Restaurants zu verbieten. Dies ist ein guter Ausgangspunkt, wenn es darum geht, den Druck auf die Wälder zu verringern. Um die wachsende Nachfrage nach Zellstoff einzudämmen, sollte die EU auch Einwegverpackungen auf Papierbasis zum Mitnehmen auslaufen lassen.»

EU überprüft Vorschriften

Die EU überarbeitet derzeit ihre Vorschriften, um dem unkontrollierten Wachstum von Verpackungsabfällen entgegenzuwirken. Die zitierte Analyse untersucht, ob Einwegpapier eine glaubwürdige Lösung für die wachsende Abfallkrise in Europa darstellen kann – ein Argument, das regelmässig in teuren und weitreichenden Lobbykampagnen von Verpackungsherstellern und Fast-Food-Marken vorgebracht wird. Hinter der Studie der unabhängigen Forschungsorganisation Profundo steht als Auftraggeberin eine NGO-Koalition aus dem Europäischen UmweltbüroZero Waste EuropeFernEnvironmental Paper Network und der Allianz «Kunststoff neu denken».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

  • Der Mehrweg-Verhinderer: McDonald’s’ EU-Lobbying: hier
  • Verschiedene Artikel über die bedenklichen PFAS: hier

Zum Infosperber-Dossier:

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