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Der Volkseigene Betrieb (VEB) Sachsenring in Zwickau: Hier stahl Thomas B. 25 Trabis. © ZDF

Der Mann, der 25 Trabis aus der Fabrik stahl

Pascal Derungs /  Der Trabant war in der DDR heiss begehrt. Die Lieferfrist betrug bis zu 17 Jahre. Trotzdem stahl ein Angestellter 25 Stück.

1988 geht ein Raunen durch den Arbeiter- und Bauernstaat: Die Staatspresse vermeldet, dass Thomas B., ein Angestellter des Automobilwerks VEB Sachsenring in Zwickau, über acht Jahre lang insgesamt 25 fabrikneue Trabis entwendet hat. Es ist der grösste systematische Autoklau in der Geschichte der DDR. Die ZDF-Dokumentation «Der Trabi-Krimi» zeichnet in Spielszenen und anhand der Prozessakten sowie Aussagen von Kollegen die Geschichte dieses unglaublichen Kriminalfalls nach.

Beim Vorzeigearbeiter wächst die Unzufriedenheit

Thomas B. ist ein unbescholtener Arbeiter. Als Auto-Schlosser hat er die fertigen Trabis, die vom Fliessband rollen, auf Mängel zu checken und diese notfalls zu beheben. Diese Arbeit macht er gut, bei den Kollegen ist er beliebt. Sein politischer Werdegang gibt keinen Anlass zur Kritik: er macht mit bei der FDJ, dem Staatsverband «Freie Deutsche Jugend», beim FDGB, dem «Freien Deutschen Gewerkschaftsbund» und bei der «Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft». Auch den obligatorischen Wehrdienst leistet er ohne Makel. 1981 wird er als «Aktivist der sozialistischen Arbeit» ausgezeichnet, weil er mehr leistet als die Norm verlangt.

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Endmontage des Trabi.

Einzig der Einheitspartei SED tritt er nicht bei. Doch Thomas B. ist unzufrieden mit seinem Verdienst: 1100 Ostmark plus 250 für die drei Kinder. Das entspricht dem Durchschnittslohn eines Arztes in der DDR. Er will sich mehr leisten können. So wie einige Verwandte, die ihm von seinen Eltern immer als Vorbild hingestellt werden. Doch seine Arbeit in der Fabrik bietet keine Aufstiegsperspektiven, und mit Lohnerhöhungen kann er auch nicht rechnen.

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Funktionskontrolle.

Auch in der DDR gilt: Gelegenheit macht Diebe

1980 klaut Thomas B. den ersten Trabanten vom Fabrikgelände. Es ist ein Neuwagen mit kleinen Mängeln, die vor der Auslieferung an die staatliche Vertriebsorganisation noch behoben werden müssten. Zum Ende seiner Spätschicht um 22 Uhr montiert er ein selbstgebasteltes rotes Nummernschild, wie es für die Überführung zur Verkaufsstelle vorgeschrieben ist. Dann wartet er ab, bis ein anderes Fahrzeug das Fabrikgelände verlässt und hängt sich hinten dran.

So passiert er unbehelligt den unaufmerksamen Wachtposten an der noch offenen Barriere. Er fährt den Trabi in seine Garage. Dort behebt er die kleinen Mängel und verkauft das Auto später auf einem privaten Automarkt. Die Behörden dulden diesen Markt, denn sie wollen die Bevölkerung nicht verärgern. Sie wissen, dass die staatliche Produktion die gewaltige Nachfrage nach Personenwagen alleine nicht befriedigen kann.

Die Sehnsucht nach Wohlstand bricht sich Bahn

Der Trick funktioniert reibungslos. Die Entwendung bleibt unbemerkt. Zu lasch sind die Kontrollen in der Zwickauer Fabrik. Schon bald klaut Thomas B. weitere Fahrzeuge, das Risiko, dass er erwischt wird, bleibt minim. Die Gelegenheit macht ihn zum Seriendieb. Mit dem vielen Geld aus den Verkäufen finanziert er sich und seiner Familie einen für DDR-Verhältnisse aufwändigen Lebensstil. Er gönnt sich einen teuren Farbfernseher und andere Luxuswaren aus Spezialgeschäften und immer wieder extravagante Familienferien in Bulgarien und Ungarn.

Durchschnittliche DDR-Werktätige können davon nur träumen. Seiner Frau erzählt Thomas B., dass er dieses zusätzliche Geld dank vieler privater Reparaturaufträge verdiene. Grosszügig spendiert er seinen Kollegen Zigaretten und protzt mit seinem Lieblingsspruch «über Geld spricht man nicht, das hat man». Trotzdem wird niemand aus seinem Umfeld misstrauisch. Nur zu gern glaubt man die Geschichte vom Arbeiter, der sich mit Köpfchen und aus eigener Kraft zu Wohlstand emporarbeiten kann.

Argwohn und Denunziation beenden das Luxusleben

Zum Verhängnis wird Thomas B. seine wachsende Gier. Sein 25. Auto klaut er am 31. März 1988, obwohl in seiner Garage noch das letzte steht. Er muss den neuen Wagen draussen parkieren, nur notdürftig mit einem Nummernschild seines Anhängers getarnt. Eine argwöhnische Anwohnerin informiert die Volkspolizei. Diese macht den Übeltäter schnell dingfest. Er ist geständig und wird wegen «Diebstahls am sozialistischen Eigentum» verurteilt.

Im Verhör gibt er zu Protokoll: «Wenn ich das Risiko bei einem Autodiebstahl im VEB Sachsenring vergleiche, so muss ich sagen, dass die Gefahr des Erwischtwerdens bei einem Kaufhallendiebstahl bedeutend grösser ist. Ich kann ehrlich sagen, dass ich nie den Mut gefunden hätte, irgendeinen Kaufhallendiebstahl auszuführen, davor hätte ich zu viel Angst.» Nach der Wende im Jahr darauf wird seine Haftstrafe reduziert. 1992 kommt er auf Bewährung frei. In seinem alten Umfeld lässt er sich nicht mehr blicken, den Kontakt zu seinen früheren Kollegen vermeidet er.

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Auf zur Testfahrt.

Bis zuletzt begehrt

Der Trabant – zu Deutsch der Begleiter – war ein Kind des kalten Krieges. Ende der 1950er-Jahre begann seine Produktion auf Geheiss der Staatsführung. Weil der Westen den Stahlexport in den Osten verboten hatte, bekam der Trabi seine charakteristische Karosserie aus Duroplast, und die Spitznamen «Plastebomber» sowie «Rennpappe». Das Geknatter seines 2-Takt-Motors und der scharfe Geruch seiner Abgase waren unverwechselbar.

Bei den Menschen in der DDR war der Trabi bis zuletzt heiss begehrt, obwohl er technisch während dreier Jahrzehnte stagnierte. Einer Nachfrage von drei Millionen Autos stand die jährliche Produktion von nicht einmal 200’000 Fahrzeugen gegenüber. Bis zu 17 Jahren dauerte die Lieferzeit eines Trabi.

Trotzdem: Noch im Jahr 1988, ein Jahr vor dem Mauerfall, war jedes zweite Auto auf den Strassen der DDR ein Trabi. Er bot ein Stück Freiheit, Mobilität und Privatsphäre. Er war ein zentrales Symbol der Lebenswelt des real existierenden Sozialismus und der ostdeutschen Identität.

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Testfahrt in der Steilwandkurve.

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Eine Meinung zu

  • am 24.09.2023 um 12:15 Uhr
    Permalink

    1350 Mark (wahrscheinlich plus das Gehalt der Ehefrau) waren ein sehr guter Verdienst. Das Problem der DDR-Bürger war nicht zuwenig Gehalt, sondern dass es die wirklich interessanten Sachen für Ostmark gar nicht zu kaufen gab. Folge war ein ausschweifender Tauschhandel mit allem möglichen; man kam damals noch sehr gut an Antiquitäten und Oldtimer heran, die heute für Normalverdiener unerschwinglich sind. Die absoluten Kings waren Leute mit Westverwandtschaft oder Reisekader.

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