Pestizide_Warnung neu

Ein langjähriger Kontakt mit Pestiziden kann im Alter zu Alzheimer führen. © Flickr/Greencolander/CC

Pestizide: Kaum erforschter Zusatzstoff gefährdet Gesundheit

Susanne Aigner /  Eine Fallstudie aus Kalifornien fordert mehr Transparenz bei Inhaltsstoffen von Pestiziden. Ein Beispiel ist die Chemikalie APNOHO.

Der in der Landwirtschaft verwendete endokrin wirksame Pestizid-Zusatzstoff APNOHO kann sowohl die menschliche Gesundheit als auch die Umwelt erheblich schädigen. So wurden im Zusammenhang mit dem Wirkstoff Störungen im Hormonsystem, Geburtsschäden und aquatische Toxizität nachgewiesen. Als «inert» werden diese Hilfsstoffe bezeichnet, weil sie auf Luft und Wasser kaum reagieren.

Um die Risiken für Mensch und Umwelt zu ermitteln, werteten kalifornische Wissenschaftler Daten aus dem kalifornischen Meldesystem für Pestizideinsätze der US-Umweltschutzbehörde (EPA) aus. Im Rahmen einer Studie quantifizierten sie landwirtschaftliche Flächen, die mit APNOHO-haltigen Hilfsstoffen behandelt wurden. Gleichzeitig beanstanden die Autoren, dass öffentliche Daten zur Verwendung und Toxizität vieler Hilfsstoffe, aber auch inerter Inhaltsstoffe bei Pestiziden schwer oder gar nicht zugänglich sind.

Auch im öffentlichen Raum und auf privaten Grundstücken

Pestizide mit APNOHO werden ausser in der Landwirtschaft auch in anderen Bereichen, wie zum Beispiel im öffentlichen Raum und auf Privatgrundstücken in grossem Umfang verwendet. Viele Produkte sind oft ein Mix aus mehreren Inhaltsstoffen. Die Hersteller von Agrochemikalien verwenden so genannte Alkylphenolethoxylate (kurz: APNOHO bzw. APEO) sowohl als inerte Zutat in Pestizidprodukten als auch als Zusätze in Hilfsstoffen. Diese sollen dazu dienen, die Pestizide zu emulgieren, zu verteilen bzw. wirksamer zu machen und werden separat verpackt und verkauft. Bevor Landwirte Pestizide ausbringen, mischen sie häufig diese Hilfsstoffe in den Tank des Spritzgerätes. Obwohl sie als so genannte inerte Inhaltsstoffe gelten, können einige die menschliche Gesundheit und Umwelt gefährden.

Die Autoren empfehlen den Wissenschaftlern:

  • In toxikologischen bzw. epidemiologische Studien zu Pestiziden sollten weit verbreitete Hilfsstoffe und inerte Inhaltsstoffe einbezogen werden. Derzeit werden geeignete toxikologische und statistische Methoden für chemische Gemische erst entwickelt.
  • Es sollen Namen und CAS-Nummern aller Inhaltsstoffe, die in den untersuchten Produkten enthalten sind, inklusive der Studien über Pestizid-Abbauprodukte und Hilfsstoffe, angegeben werden. Sind die Informationen nicht verfügbar, sollten die Forscher so weit wie möglich analytische Verfahren anwenden, um alle Inhaltsstoffe zu identifizieren.
  • Bei inerten Inhalts- und Hilfsstoffen in Pestiziden sollten möglichst In-vivo- oder In-vitro-Tests auf endokrine Aktivität durchgeführt werden. Nur wenige Pestizidchemikalien wurden bisher daraufhin untersucht. Der Grund dafür sind teilweise minimale Datenanforderungen.

Den Behörden und politischen Entscheidungsträgern empfehlen die Autoren:

  • Beim Registrieren von Pestiziden sollten nicht einzelne Inhaltsstoffe bewertet werden, sondern die Kombination all derjenigen Stoffe, denen Menschen und Ökosysteme beim Einsatz des Pestizides ausgesetzt sind.
  • Ausserhalb von Kalifornien sollten die Behörden beim Registrieren von Hilfsstoffen sowie in Berichten über die Verwendung von Pestizidmischungen Massstäbe anlegen, die mit denen in Kalifornien vergleichbar sind. Auf der Basis von kalifornischen Daten wurden inzwischen mehr als 500 Beiträge in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht.
  • Namen und Konzentration aller Inhaltsstoffe sollen auf den Etiketten von Pestizidprodukten und Sicherheitsdatenblättern angegeben werden. Das empfahl die American Medical Association bereits vor 25 Jahren. Nun ist es an der Zeit, dies wirklich umzusetzen.

APNOHO ist in mehr als 150 Hilfsstoffen beigefügt, landesweit in mindestens 650 Pestizidprodukten. Damit ist es das in Kalifornien am häufigsten verwendete Pestizid. Allerdings sind hier nur landwirtschaftliche Flächen erfasst, die mit APNOHO-haltigen Hilfsstoffen behandelt wurden. Weil die Chemikalie als inerte Zutat in Pestizidprodukten enthalten ist, ist die Gesamtverwendung wahrscheinlich höher.

Ausgehend von den Daten des California Department of Pesticide Regulation wurden APNOHO 2019 auf umgerechnet rund 4,2 Millionen Hektar als Hilfsstoff eingesetzt. Zum Vergleich: Rund 2,4 Millionen Hektar wurden mit dem Hilfsstoff Dimethylsiloxan behandelt, der am zweithäufigsten verwendet wird. Wird derselbe Standort mehr als einmal in einem Jahr gespritzt, werden die Zahlen der Anbauflächen entsprechend addiert. Die eingesetzte Menge hat sich seither von weniger als 500‘000 kg im Jahr 2000 auf mehr als eine Million Kilogramm in 2019 verdoppelt. Und dies trotz der Tatsache, dass die landwirtschaftliche Nutzfläche in Kalifornien im selben Zeitraum um 1,2 Millionen Hektar1 abgenommen hat.

Nonylphenolethoxylate (NPe) bezeichnen eine Gruppe künstlich hergestellter Chemikalien. Diese Verbindungen gehören zu einer breiteren Gruppe, die als Alkylphenolethoxylate (kurz: APNOHO bzw. APEO) bekannt sind. Alkylphenolethoxylate – genaue Bezeichnung: α-(p-Nonylphenyl)-ω-hydroxypoly(oxyethylen) – sind nichtionische Tenside, die unter anderem als Hilfschemikalie dienen. Sie werden ausser in der Landwirtschaft auch als Tenside in Waschmitteln eingesetzt. Gelangen NPE in Kläranlagen oder direkt in die Umwelt, werden sie zu Nonylphenol abgebaut. Aufgrund der gesundheits- und umweltschädlichen Eigenschaften bestehen in einigen Regionen seit fast 20 Jahren Beschränkungen in der Verwendung von NPE.

Inert: Als chemisch inert (lat. «untätig, unbeteiligt, träge») bezeichnet man Substanzen, die unter den jeweiligen Bedingungen mit Luft und Wasser nicht oder nur in verschwindend geringem Masse reagieren.

Endokrin: Endokrin aktive Substanzen sind Stoffe, die auf die normale Hormonaktivität Einfluss nehmen, sie stören bzw. beeinträchtigen können.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

1 In der Studie sind Flächengrössen in Acres angegeben. 1 Hektar = 2.471054 acres. Das ist im Text entsprechend umgerechnet.

Zum Infosperber-Dossier:

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Eine Meinung zu

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 6.10.2022 um 20:21 Uhr
    Permalink

    Wenn es in Kalifornien regnet… müssen wir da schon die Regenschirme öffnen ?

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